Dieser Artikel taucht ein in die Geschichte eines kleineneren, aber sehr besonderen Champagnerhauses in Reims: Charles Heidsieck. Es ist die Geschichte einer Familie, vielmehr eines Mannes und seines Strebens nach Glück. Dabei erfährt man eine ganze Menge über das Champagnermachen, warum Heidsieck nicht gleich Heidsieck ist und wieso Denver den Champagner gerettet hat. Ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienen hat dieser Beitrag eine ungefähre Lesezeit von 12 Minuten.
Champagner ist ein Getränk, welches häufig über den Namen auf der Flasche funktioniert. Allzu häufig – leider – sind Champagnertrinker Etiketten-Trinker und beschäftigen sich viel mehr mit dem Effekt der Marke als mit dem Wein im Inneren der Flasche. Die Region der Champagne – und ihre Menschen – funktioniert da völlig anders. Das laute Bling-Bling der Konsumenten findet hier (fast) keine Wiederspiegelung, schließlich wird hier gearbeitet. Der Reichtum und die Bedeutung der Häuser finden sich zumeist hinter großen Mauern, tief in den Kellern der jeweiligen Maison. Ein gutes Beispiel dafür ist die Maison Charles Heidsieck in Reims.
Ein Morgen in Reims
Es ist ziemlich warm an diesem Dienstagmorgen im Juni. Kurz nach 9 Uhr zeigt das Thermometer schon 25°C und ich stehe vor einer der großen Mauern, wie sie so typisch sind für Reims. Nur auf einem Schild an der Straße lässt sich erkennen, dass dies die Anschrift der Maison Charles Heidsieck ist, bei der ich um 9.15 Uhr eine Führung bekommen soll. Ein schweres, eisernes Tor trennt die Straße von dem dahinter liegenden Garten, in dem fleißig Wassersprenger für die nötige Erfrischung sorgen. Überaus freundlich werde ich hinein gebeten in den Garten und zu einem Pavillon geführt. Hier, im Schatten der Bäume ist es deutlich kühler.
Es ist ein ruhiger Ort, den man so hinter den großen Mauern nicht vermuten würde. Die Geräusche der Stadt bekommt man hier kaum mit. Es gibt keine offiziellen Touren bei Charles Heidsieck, hier darf man nur hinein, wenn man einen festen Termin bekommen hat. All dies macht diesen Moment noch ein Stück außergewöhnlicher. Es ist ein modern eingerichteter Verkostungsraum, der auf den ersten Blick signalisieren will, dass sich Charles Heidsieck abheben möchte als ein elaboriertes und vor allem distinguiertes Weinhaus. Schließlich steht man hier mit dem Namen Charles Heidsieck in einer langen Tradition. Einer Tradition, die vielleicht nicht immer einfach war und ist.
Heidsieck – ein Champagner-Imperium
Um die Besonderheit von Charles Heidsieck Champagner zu verstehen, muss man sich die Gründungsgeschichte des Hauses genauer anschauen. Schnell stellt man fest, dass dies jedoch nicht ausreicht. Mit der Gründung der Maison Charles Heidsieck im Jahre 1851 beginnt zwar die aufregende Geschichte des Hauses, doch eigentlich muss man weiter zurück bis in das Jahr 1785. Damals gründete Florens-Louis Heidsieck sein Champagernhaus Heidsieck et Cie.. Mit dem Tode Florens-Louis’ im Jahr 1828 zerbrach die Firma und wurde 1834 unter den drei Erben zerstückelt. Damals war Charles Heidsieck – der Held dieser Geschichte 12 Jahre alt und es sollte noch einige Zeit dauern, bis er die Bühne des Champagners betreten würde. Vorher ist es der Streit der drei Erben, welche die Geschicke des Namens Heidsieck prägen sollte. Henri-Louis Welbaum, Frédéric-Auguste Delius und Christian Heidsieck – diese drei wurden sich nicht einig, wie und in welcher Art das Haus zu führen sei und so zerschlug sich die Unternehmung in verschiedene einzelne Häuser. Dies ist dann mit langen Entwicklungen die Geschichte von Heidsieck Monopole und Piper-Heidsieck.
Die Geburt eines neuen Hauses
Im letzteren Haus arbeitete auch Charles-Henri Heidsieck, der Vater von Charles Camille Heidsieck – unserem Helden. Dieser heiratete Amélie Henriot, deren Eltern ebenfalls ein Champagnerhaus betrieben und mit seinem Schwager sollte er 1851 endlich sein eigenes Haus gründen. Mit seinem Namen: Charles Heidsieck. Während sein Schwager für die Weinbereitung zuständig war, oblag es Charles, den kaufmännischen Teil der Unternehmung zu leiten. Eine Aufgabe, die seinem forschen Charakter wohl deutlich besser entsprach als die demütige Arbeit im Weinberg und im Keller.
“We manage to bring together the best of both sides of champagne with the extremely pleasant and refreshing aspect of young champagne, combined with all the power and complexity of mature champagne.“
Cyril Brun – Chef de Cave
Die Familie Heidsieck war eine jener typischen Handelsgeschlechter, wie man sie zur damaligen Zeit in Reims häufig antraf. Charles wuchs mit seiner Familie in Zeiten auf, die durch klassische Reimser Traditionen und Werte geprägt waren. Es waren keine Bauern und auch keine Winzer, also mussten die Trauben zugekauft werden – etwas, das heute völlig normal geworden ist für die großen Häuser, die Grand Marques de Champagne. Von ihnen ist Charles Heidsieck heute im Übrigen das kleinste Haus. Aber Größe ist bekanntlich nicht immer das entscheidende Kriterium. Aktuell sind es 60ha Rebfläche, die im Besitz der Maison sind.
Charles Heidsieck – Ein Mann und sein Champagner
Schnell wurde Charles Heidsieck klar, dass er seinen Champagner nicht nur im heimischen Markt veräußern konnte. Dieser war gut bedient und auch die umliegenden Nationen – allen voran Preußen, Österreich, England und Russland hatten ihre Märkte schon geöffnet und wurden von Konkurrenten beliefert. Ein neuer, noch unerschlossener Markt musste her und diesen sah der abenteuerlustige Charles in den englischen Kolonien jenseits des Atlantiks. Amerika versprach, sich im 19. Jahrhundert ins Unermessliche zu entwickeln und da wollte er dabei sein.
So reiste Charles Heidsieck 1852 – nur ein Jahr nach der Gründung seines Unternehmens – das erste Mal in die Neue Welt, um dieser die Großartigkeit seines Champagners zu präsentieren. Es war vor allem sein jugendliches und dandyhaftes Auftreten, welches ihm an der amerikanischen Ostküste schnell den Status eines Lieblingsgastes auf Partys und Empfängen einbrachte; doch auch im Süden wurde er alsbald immer beliebter. Wem kann man es auch verdenken – bei einem solch fantastischen Wein. Schnell wurden Handelsverträge geschlossen und ein Vertreter in New York gefunden. Der Verkauf von Champagner stieg rasant und es waren eben diese Weine aus dem Hause Charles Heidsieck, die der amerikanischen Society Champagner als erstes näherbrachten.
Vieles war natürlich an die persönliche Rolle von Charles geknüpft, der sich und seinen Wein hervorragend zu verkaufen wusste. Seine Popularität gipfelte darin, dass man ihm den Namen Champagne Charlie verlieh, der sogar von großen Magazinen aufgegriffen wurde. Es wurde ein Lied unter diesem Namen komponiert und auf der Weltausstellung 1859 wurde sein Champagner als einer der Besten ausgezeichnet. Diese Geschichte hätte – wie gute Dinge eben immer so sind – wohl ewig weitergehen können. Hätte.
Die Wirren der Revolution
Es ist eine bewegende und vor allem aufregende Zeit, in der Charles Heidsieck seine fünfte Reise nach Amerika unternimmt. Diese tritt er auch nicht ganz freiwillig an, sondern weil es Schaden zu minimieren gilt. Sein Agent aus New York hatte ihm gemeldet, dass die Erlöse des Verkaufs nicht nach Frankreich ausgezahlt werden könnten. Dies wäre – auf Grund eines sonderlichen Gesetzes – verboten. Kurz und knapp bedeutete dies: er hatte seine komplette Auslandsinvestition verloren und stand, da er sich fast nur auf den amerikanischen Markt konzentrierte, kurz vor dem Bankrott. Es gibt bis heute die Vermutung, dass der New Yorker Agent die Wirren der Zeit nutzen wollte und sich das Geld selbst eingesteckt hat.
Es muss eine gewaltige Menge gewesen sein, angeblich knapp 300.000 Flaschen, die bis dahin in der neuen Welt verkauft wurden. Doch nun lag dieser mächtige Markt im Krieg – mit sich selbst. Gerade deshalb war diese Reise, die er antrat, so gefährlich.
Von Baumwolle und Uniformen
Sie sollte ihn von New York nach New Orleans führen – mitten durch die Kämpfe; denn in New Orleans hatte er bei einem Partner Sicherheiten hinterlegt, die er nun dringend benötigte. Trotz der gewalttätigen Konflikte des Bürgerkriegs kam er Ende April, Anfang Mai 1862 in New Orleans an. Doch auch hier bekam er kein Geld. Stattdessen bot ihm ein Händler ein Lagerhaus voller Baumwolle als Entschädigung an. Auf den zweiten Blick betrachtet war dies kein schlechter Deal, denn durch den Bürgerkrieg blieben die Lieferungen nach Europa zum großen Teil aus. Diese Baumwolle also würde ihm sein Geschäft retten.
Im 230 km entfernten Mobile in Alabama lässt er unter seiner Aufsicht die Baumwolle auf zwei Schiffe mit dem Ziel Frankreich verladen. Doch auch dieser Strang der Geschichte endet abrupt, werden doch beide Lieferungen vor der Küste Amerikas von Kriegsschiffen versenkt und der Konflikt zwischen Amerikanern, Engländern und Franzosen wurde immer undurchsichtiger und immer gefährlicher. Das Land, welches seine Unternehmung so erfolgreich und ihn reich machte – dieses Land musste er schnellstmöglich verlassen.
Gefängnis, Napoleon und Lincoln
Von Mobile aus, floh er nach Süden. Über New Orleans sollte es nach Mexiko gehen und von dort in die sichere Heimat. Man bat ihn, auf diesem Wege diplomatische Post zu transportieren und eben jener Gefallen sollte ihm zum Verhängnis werden. Auf seiner Reise wurde er an der Metropole des Mississippis von den Unionisten aufgegriffen und dabei fand sich in der Diplomatenpost eine Menge Informationen über Uniformen und deren Beschaffung für die Streitkräfte der Konföderation. Es waren Belege einer französisch-konföderierten Wirtschaftsbeziehung, die man auf Seiten der US-Streitkräfte zu verhindern suchte. General Benjamin F. „Beast“ Butler – der Sieger in der Schlacht um New Orleans – hielt dies für einen ausreichenden Beweis der Spionagetätigkeit des Franzosen. Ein legitimer Grund, um Charles Heidsieck ins Gefängnis zu stecken.
Die Tragweite dieser Handlungen jedoch erwuchs sich in größere Dimensionen und sollte als „Heidsieck incident“ in die junge Diplomatengeschichte der USA eingehen. Es war Napoleon III. persönlich, welcher sich beim amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln für die Freilassung seines Landsmannes einsetzte – und dies mit Erfolg. Charles Heidsieck kam 1862 aus der US-amerikanischen Gefangenschaft frei und reiste zurück in seine Heimat. In Frankreich angekommen stand er jedoch vor den finanziellen Ruinen seines Schaffens und war ein gebrochener und armer Mann.
Die Rettung heißt Denver
Wäre dies das Ende der Geschichte des dynamischen und imposanten Charles Heidsieck, so wäre mein Besuch an diesem Juni-Morgen wohl nicht realistisch. Es ist dem – wie so oft – historischen Zufall geschuldet, dass diese Story ein Happy End bekommt. Einige Monate nach seiner ruhmlosen Rückkehr nach Frankreich besuchte eine US-amerikanische Delegation das Haus Charles Heidsiecks. Im Auftrag des Bruders des ehemaligen New Yorker Agenten überbringt diese ihm ein Päckchen. In einem beiliegenden Brief bedauert er die Handlungen seines Bruders zutiefst und bot Charles Heidsieck als Entschädigung für das Geld Grundbesitz in Colorado an.
Zur damaligen Zeit befand sich auf dem Gebiet eine kleine Siedlung mit dem Namen Denver, die erst wenige Jahre zuvor – 1858 – gegründet wurde. Trotz eines verheerenden Brandes, welcher die kleine Stadt großenteils zerstörte, wuchs Denver weiter an und spätestens seit dem Silberrausch ab den 1880er Jahren gab es kein Halt mehr. Und dieses Land gehört Charles Heidsieck.
Das Land war weitaus mehr wert, als gedacht und mit dem Verkauf der Grundrechte war es möglich, das Champagnerhaus Charles Heidsieck zu neuem – altbekanntem Hoch zu führen. Als Charles Heidsieck 1893 starb, war seine Maison eine der bedeutendsten Namen im weltweiten Champagnerbusiness – wieder.
Die Macht und die Last von Namen
Doch genau dieser Name ist es, der stetiger Erklärung bedarf, um das Image des Hauses zu schützen. Während Piper-Heidsieck und Monopole heute eher als Einstiegsqualitäten in den Supermärkten zu finden sind, bleibt man seiner Linie bei Charles Heidsieck treu: nämlich exquisiten Champagner zu machen, für eine ausgelesene Kennerschaft. Häufig fällt es den Unwissenden schwer, die einzelnen Häuser auseinander zu halten und zu verstehen, dass Charles Heidsieck bis auf den Namen und eine gemeinsame Geschichte nichts verbindet mit den anderen beiden Häusern. Dieser Aufgabe ist man sich bewusst und wird – aus meiner Sicht – ihr auch gerecht.
Ein geschützter Ort und ein Champagner für jene, die das Besondere lieben
Neben der Qualität der Weine ist es vor allem das Auftreten der Marke Charles Heidsieck, die stets darauf abzielt, die Besonderheit herauszustellen. Ein einfacher Besuch der Maison, wie es bei vielen anderen großen Häusern der Champagne möglich wäre, ist es hier nicht. Man empfängt keine unangekündigten Gäste und die Termine werden strikt vergeben. Das Ziel ist es, einem ausgewählten Publikum die ausreichende Zeit zu widmen, die es bedarf, in die Welt und den Champagner von Charles Heidsieck einzutauchen. Die hohen Mauern, der Garten und der Verkostungspavillion sind allesamt Symbole einer noblen Zurückhaltung. Das bekannte Champagner-Bling-Bling möchte man hier bewusst vermeiden. Es ist dies nicht nur eine Respektsbekundung vor der harten Arbeit, die hinter jeder einzelnen Flasche Champagner steckt, es ist vor allem eine bewusste Abwendung vom gängigen Bewusstsein zu Champagner.
Charles Heidsieck ist kein Wein für rauschende Partys mit leuchtenden Etiketten. Auf Nachfrage wird deutlich gemacht, dass man die Weine der Maison auch gar nicht in solchen Etablissements sieht. Es ist vor allem ein Champagner für die gehobene Gastronomie und den Genießer, der sich viel mehr für den Inhalt einer Flasche interessiert als für das Etikett.
Verborgene Schätze
Doch was sind das für Weine, die voller Selbstbewusstsein ins Glas kommen und denen man nachsagt, sie wäre mit die Besten der Champagne? Um dies zu ergründen, geht es tief hinab in die Crayeres von Charles Heidsieck. Hinab in eine Welt, deren Ursprung weit vor der Gründung aller Champagnerhäuser liegt. Irgendwo zwischen dem Tertiär und dem Beginn römischer Architektur in Reims. Es sind die weißen Kreidekeller der Stadt, die weltberühmte Heimat für Millionen von Flaschen und eine gänzliche Parallelwelt – eine Stadt unter der Stadt.
Über Treppen geht es 20 Meter hinab in die Tiefe, deren Grundlage der Kalkabbau der Römer vor über 2.000 Jahren ist. Konstante 10°C hat es hier unten und eine ebenfalls sehr konstante Luftfeuchte – perfekte Bedingungen also, für die Reifung der Weine. Der Status des Weltkulturerbes der UNESCO ist etwas Besonderes – nur fünf Keller in der gesamten Champagne dürfen diesen führen: Ruinart, VeuveClicquot, Taitinger, Pommery und eben Charles Heidsieck. Nur diese fünf verfügen nämlich über jene besonderen Crayeres.
„The purchase of champagne will make you happy, will make a bad day a beautiful day, through its visual element even before its great taste.“
Cyril Brun – Chef de Cave
Es ist eine beeindruckende Stimmung hier unten. Abwechselnd durchschreitet man die Gänge – die Galerien – und die Crayeres, jene kegelförmigen Höhlen, an deren Decke ein kleiner Kreis Licht hineinfallen lässt in die ansonsten illuminierte Situation. Es ist ruhig hier unten, wo viele tausend Flaschen reifen – eine Ruhe, die an Erhabenheit und Dichte wohl kaum zu übertreffen ist. Natürlich hat man die Keller derart gestaltet, dass diese ihre Wirkung beim Besucher erzielen und dennoch: zu wissen, dass es nicht allen Champagner-Reisenden möglich ist, hier unten zu stehen, macht diesen Moment nochmals besonderer. Vor allem, wenn man in der Schatzkammer der Maison steht, in der neben den legendären Champagner Charlie Abfüllungen auch die großen Jahrgänge nebeneinander liegen. Einer von ihnen – 1985 – gilt als einer der besten des Hauses.
Doch nicht nur den Inhalt der Flasche bestimmen die Keller durch die Reifung mit – auch das Äußere ist ihnen zu verdanken. Die Flaschenform – ikonisch für Champagner und ebenfalls unter anderem bei Krug zu finden, lässt sich aus der Form der Crayeres ableiten. Die Frage was zuerst da war, die Flasche oder diese Erklärung bleibt an dieser Stelle unbeantwortet. Doch dies ist in diesen Momenten egal. Es ist eine atemberaubende Schönheit, die sich hier im Arrangement aus Kalk, Licht und Flaschen entwickelt – eine Schönheit, die man nie in seinem Leben vergessen wird und die man wohl mit jedem Schluck Champagner immer wieder aufs Neue beschwören kann.
Apropos Champagner! Neben der Besichtigung der Keller gilt es natürlich auch, einen genaueren Blick auf die Weine des Hauses zu werfen. Es sind 106 Stufen, die es benötigt, um aus den Kellern wieder an die Erdoberfläche zu gelangen.
Klassische Weine
Die Weine der Maison Charles Heidsieck sind in sich klassischer Champagner-Natur. Ein Team von sechs Weinmachern arbeiten am Stil des Hauses, der sehr stark von der grundsätzlichen Philosophie geprägt ist. War Charles Heidsieck – der Dandy des Champagners – noch ein lauter, schriller und umtriebiger Zeitgenosse, so sind die Weine, welche seinen Namen tragen eher ruhig, klassisch und verzichten mit Absicht auf jeden Kitsch und allerlei Bling-Bling. Es ist ein erwachsener Stil, dessen Grundtenor die Eleganz ist. Dafür steht wie kaum eine andere Abfüllung die klassische brut sans année, die jahrgangslose Standardcuvée. Dieser Blend – der strukturell klassisch je ein Drittel Pinot Noir, Chardonnay und Pinot Meunier in sich vereint und dessen Reservewein-Anteil – deren Alter rund 10 Jahre beträgt – um die 40% beträgt; reift für mindestens vier Jahre (Standard in der Champagne sind 15 Monate) in den Flaschen. Bis zu 60 Weine werden dafür assembliert.
Es sind cremige, weinige und unaufgeregte Aromen, die sich in diesem Wein zeigen, der immerhin 80% des Verkaufs des Hauses Charles Heidsieck ausmacht. Seine äußerst feine Perlage trägt deutliche Reifenoten in die Nase und offeriert ein Bouquet von Ananas und Pfirsich. Es ist ein großer Wein für den Einstieg und lässt erahnen, warum Connaisseure auf der ganzen Welt die Champagner von Charles Heidsieck als einen absoluten Geheimtipp bewerten.
Klassischer Stil
Auch wenn die Weine „un-modern erscheinen mögen, genau dieser Stil ist es, der das Haus auszeichnet. Keine überbordenden Eskapaden in der Nase oder im Geschmack, dafür Körper, Textur und ausgeprägte Aromen. Der Wein steht hier – ebenso wie beim verkosteten Rosé 2005 und dem Blanc de Millénaires 2004 absolut im Vordergrund. Dies lässt ihn auch so perfekt für Foodpairing erscheinen. Jeder dieser Champagner trägt in sich die Kraft und Energie, mit Speisen unterschiedlichster Art konkurrieren zu können.
Alles, was wir heute verkosten, verdanken wir in seiner Stilistik Daniel Thibault, dem ehemaligen Chef de Cave. Als dieser 1985 – mit der Übernahme durch Remy Martin – diese Position übernahm; entschloss er sich, den frischen Weinen eine deutlich höhere Dosis Reserve-Weine zu verpassen – die heute üblichen 40%. Es ist dies seine Idee einer brut sans année. Auch verdanken wir ihm die besondere Prestige Cuvée des Blanc de Millénaires, welche seither im Stahltank ausgebaut wird um anschließend 14 bis 15 Jahre auf der Hefe in Flaschen zu liegen.
Viel zu früh starb Thibault unverhofft im Jahr 2002 mit nur 55 Jahren. Nach einigen Jahren des Umbruchs ist es nun Cyril Brun, der die Verantwortung dafür trägt, dass man dem Stil treu bleibt, der seit so vielen Jahren nunmehr als die Handschrift des Hauses Charles Heidsieck bekannt ist. Auch wenn die Zeiten manchmal schwierig sein können. Waren es Anfang der 1980er Jahre noch 4 Millionen Flaschen, die weltweit verkauft wurden, so setzte man 2011 nur rund 300.000 Bouteilles ab. Aber auch dies passt zum Stil von Charles Heidsieck. Man verzichtet mehr oder weniger komplett auf Werbung und aufregende Aktivitäten und fokussiert sich auf die Bereitung der Weine.
Der besondere Moment
Als klassischer Aperitif-Champagner haben sie fast schon zu viel Kraft und Eigenheit, als Speisebegleiter jedoch sind sie prädestiniert. Reichhaltigkeit ist eines der Merkmale, dass man den Weinen in jeglicher Form zusprechen kann. Mit jeder einzelnen Abfüllung beweist man aufs Neue die Stilkonsistenz. Es sind Weine für ein gehobenes Genussniveau, Weine deren Erhabenheit nicht zu beliebigen Anlässen passt. Auch wenn ein Schluck Charles Heidsieck womöglich jeden Moment zu etwas Besonderem macht. So auch jenen Dienstagmorgen in Reims, an dem ich tief in die Geschichte und die Tradition der Maison Charles Heidsieck eintauchen durfte.