Dieser Artikel greift die besondere Aperitif-Wein-Kategorie der QuinaQuina auf. Diese besonderen Gewürzweine stellen eine wichtige Komponente der Bar dar, die zwar für einige Dinks unerlässlich, aber in der heutigen Zeit kaum bekannt ist. Ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienen, hat dieser Beitrag eine durchschnittliche Lesezeit von 5 Minuten.
Wir leben – und das muss man ohne Umschweife sagen und auch zugeben – in Zeiten, in denen es mehr Spirituosen und Liköre gibt als jemals zuvor. Es ist quasi ein mixologisches Schlaraffenland, in denen nebst Milch und Honig allerlei Exotisches, Seltenes und Besonderes fließt. Der hand crafted Mezcal aus dem kleinen Dorf im Süden Mexikos, der aus seltenen Fässern gewonnene Scotch und dieser Likör mit dem besonderen Kraut, das man erst vor zwei Jahren auf einer Reise tief in den Amazonas entdeckt hat. Kurz und knapp: es gibt eigentlich kaum etwas, das es nicht gibt. Und notfalls produzieren Bartender und Köche auf der ganzen Welt dies in Hightech-Apparaturen wie einem Sous Vide-Garer oder in einem Rotationsverdampfer selbst. Und dann gibt es die Dinge, die es irgendwie dennoch nicht gibt. Die es gab, und denen man heute hinterher trauert. Ein solches Produkt ist – oder besser gesagt war: QuinaQuina.
Von Peru nach Europa
Der Name QuinaQuina leitet sich ab und verweist auf das so bitter schmeckende Chinin, das wir vom Tonic kennen, welches – vor allem in Bezug auf Gin & Tonic – noch heute eine wichtige Rolle in unserem Trinkverhalten spielt. Seinen Ursprung hat Chinin in Südamerika, genauer gesagt in Peru. Zumindest dort lernen es die europäischen Entdecker kennen. Gewonnen wird das bittere Mittel aus der Rinde des Cinchona-Baumes, zu deutsch: Chinarindenbaum. Mit dem großen Reich der Mitte auf dem asiatischen Kontinent hat dies jedoch nichts zu tun. Vielmehr ist der Name royaler Abstammung und bezieht sich auf Anna Condeza de Chinchón, die zur damaligen Zeit die Frau des spanischen Vizekönigs von Peru war. Diese erkrankte der Legende nach 1638 an Malaria und wurde durch ein Wundermittel, welches auch die bittere Rinde enthielt, geheilt.
Die gute alte Medizin
Wie so oft in der Geschichte liquider Besonderheiten steht also auch hier die heilende und medizinische Wirkung am Anfang und erst später das Genussmoment. Der mystische Erfolg der Chinarinde sorgte alsbald für eine gesteigerte Nachfrage im alten Europa und demzufolge einer Ausbeutung der natürlichen Ressource. Es waren die Niederländer, welche weitblickig genug waren – mal wieder die Niederländer, schließlich verdanken wir diesen auch Cognac und Bordeaux-Weine – und die natürliche Ressource nachhaltig anpflanzten. Sie erwarben Mitte des 19. Jahrhunderts Samen und pflanzten große Chinarinden-Plantagen in Indonesien an, um eine gesicherte Versorgung zu garantieren.
Erst die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg waren technisch in der Lage, das Chinin – welches so wichtig wurde im Kampf gegen die Malaria – synthetisch herzustellen. Dieser besondere Fakt der Geschichte jedoch sollte in einem Artikel über Tonic genauer betrachtet werden, ist doch natürliches Chinin in dieser Sparte von Getränken ein deutlich populäreres USP.
Also ein Vermouth?
Ist QuinaQuina damit also eigentlich nichts anderes als ein Vermouth? Die Antwort auf diese einfache Frage ist am Ende auch sehr einfach: Jein. Vielmehr ist QuinaQuina ein dem Vermouth sehr ähnliches Produkt und artverwandt, aber doch von einer deutlich anderen Aromatik. Es verhält sich dabei wahrscheinlich ein bisschen wie Gin und Aquavit – beides durch definierte Schlüssel-Botancials beeinflusste Destillate – deren Grundprinzip jedoch sehr ähnlich ist.
Vermouth und QuinaQuina sind beides aufgesprittete Gewürzweine. Während beim Vermouth das namensgebende Wermutkraut die Hauptrolle spielt, ist es bei QuinaQuina eben jenes Cinchona. Ähnlich ist es im Übrigen bei den Americanos. Jene Kategorie – dessen Name sich von Amer ableitet und ‚bitter‘ bedeutet und wahrlich nichts mit Amerikanern zu tun hat – wird auf die gleiche Weise hergestellt, hat jedoch Enzian als aromatisches Leitmotiv.
Ein Leben für den Cocktail
Eines jedoch eint alle drei Unterarten: Sie waren, sind und werden wohl auf immer essenzielle Bestandteile von Cocktails sein. Der berühmteste unter ihnen ist der Vesper Cocktail, die James Bond zu verdankender Variante des berühmten geschüttelten Martinis. Ihn trank der britische Doppelnull-Agent erstmalig 1953 und benannte ihn nach seiner reizenden Partnerin Vesper Lynd.
„Just a moment. Three measure of Gordon’s, one of vodka, half a measure of Kina Lillet. Shake it very well until it’s ice-cold, then add a large thin slice of lemon-peel .Got it?“
James Bond
Ein Zitat für die liquide Ewigkeit und für viele Bartender der jungen Generationen ein Quell nie versiegender Irritationen. Es ist dabei weniger die Tatsache, dass dieser Martini aus Gin und Vodka gemixt wurde, noch dass er geschüttelt zubereitet wird. Es ist vielmehr der Name Lillet, der hier dem historisch versierten Genießer ein andächtiges Lächeln, dem jungen unerfahrenen Trinker höchstens Verwirrung ins Gesicht zaubert.
Die Sehnsucht nach Kina
Wenn wir heute über Lillet reden, denken die meisten wohl – im Übrigen völlig zu recht – an die berühmten Weinaperitifs. Lillet – der „raffinierte Aperitif für Genießer“ und Freunde der französischen Lebensart. Es gibt ihn in weiß und rot, in rosé und als Jahrgangsvariante, doch eines ist er mit Sicherheit nicht – bitter wie Chinin. Und er heißt auch nicht mehr Kina Lillet. Was also steckt hinter diesem Namen, der die Älteren von uns so verzaubert? Ganz einfach: ein Rezeptwechsel.
Lillet – gegründet 1887 – war eines der bekanntesten QuinaQuina-Marken der Welt. Die Basis dieser berühmten Aperitif-Weine war weißerBordeaux. Doch irgendwann verschwand das Bittere – als Geschmack der Massen – und dem allgemeinen Gusto war es nach süßeren Produkten. Dies geschah rund 100 Jahre später. Im Jahr 1987 stellte man die Produktion von Kina Lillet ein. Es war damals nicht die Zeit herber Drinks – Vodka und tropische Mixturen mit allerlei Sirupen und Säften beherrschten die Karten der Bars dieser Welt.
Nicht nur Lillet erging es so. Viele Flaschen, deren Namen eng mit der Geschichte des QuinaQuina verbunden sind verschwanden – oder staubten zumindest dick ein. Byrrh (gegründet 1866) oder Dubonnet (schon 1846 erstmalig hergestellt) sind nur einige Namen, die in Vergessenheit gerieten. Mal ganz ehrlich, wann hatten Sie ihren letzten St. Raphael?
Die retrospektive Renaissance
Vielleicht wären all diese wundervollen Produkte irgendwann einfach verschwunden. Aus dem Auge, aus dem Sinn – das kennt man ja. Doch es kam – glücklicher Weise – anders! Anfang der 2000er Jahre begann etwas, dessen Ende heute noch nicht abzusehen ist: eine Renaissance der Barkultur. Um den ganzen Planeten herum begannen ambitionierte Bartender die alten Cocktailbücher wieder hervorzuholen und Namen wie Jerry Thomas, Harry Johnson oder Frank Newmann machten die Runde und mit ihnen all die wundervollen alten Drinks.
Eben jene alten Drinks erforderten eine Menge alter Produkte, teilweise in Vergessenheit geraten – aber zum Glück noch produziert; teilweise gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Das bekannteste Beispiel: eben jener Kina Lillet.
Milch und Honig – und QuinaQuina
Doch wo ein Wille ist, da ist auch eine produzierende Industrie. Die Nachfrage alter Klassiker wurde immer größer und so fanden immer mehr klassische Produkte den Weg zurück in die Bar-Regale. Sei es der berühmte Old Tom Gin bei den Spirituosen, oder halt die Vermouths, Americanos und QuinaQuinas.
Byrrh gibt es seit einigen Jahren wieder in Deutschland zu kaufen, Dubonnet wird als kleiner Digestif auf Eis gerührt genossen und so manche Produkte tauchen scheinbar aus dem völligen Dunkeln auf. Die Quinas von L.N. Mattei von Korsika zum Beispiel.
Sicherlich, viele dieser neu aufgelegten Produkte sind nicht im Ansatz so bitter wie die ursprünglichen Varianten, aber es ist ein Anfang. Der Anfang einer wundervoll bitteren Revolution, welche zu einer Welt führt, in der Milch und Honig fließt. Und QuinaQuina.