Der Manhattan Cocktail ist einer meiner absoluten Lieblingsdrinks. Doch darüber hinaus prägte er die Geschichte der Cocktails wie kaum ein anderer und steht für ein Lebensgefühl zwischen Chesterfield-Sessel, Zigarrenrauch und Großstadtatmosphäre. Diese liquide Ikone aus nur drei (vier) Zutaten gehört dem heiligen Pantheon der amerikanischen Drinks an und ist bis heute stilprägend. Alles, was Du über den Manhattan Cocktail wissen musst, erfährst Du hier in 8 Minuten.
New York City – vom Hafen in ein neues Leben
Auf der Suche nach Arbeit und einem neuen Leben kamen zwischen 1870 und 1900 rund 12 Millionen Einwanderer in die USA und New York war das goldene Tor in ihr neues Leben. Für allein 70% aller Migranten war die Stadt am Hudson River der Ausgangspunkt für den Neuanfang. Es waren vor allem Europäer – aus England und Irland, Deutschland und Italien. Mit ihnen stieg die Einwohnerzahl der Stadt in den letzten 50 Jahren des 19. Jahrhunderts von drei auf sieben Millionen an. Aus dem ehemals kleinen niederländischen Hafen wurde nun ein neues, multikulturelles und diverses New York.
Ab den 1860er Jahren stieg vor allem die italienische Immigration deutlich an und es entstand ein Bezirk, der durch ihren kulturellen Einfluss geprägt wurde: Little Italy. Bis heute zu finden in der Lower East Side von – richtig: Manhattan. Der kulturelle Einfluss der italienischen Einwanderer war auf vielerlei Ebenen bedeutsam – was die Drink-Kultur anbelangte, war es vor allem der rote, süße Vermouth, den sie aus Ihrer Heimat im Gepäck hatten.
Old Fashioned war gestern – heute ist es der Cocktail mit Vermouth
Bevor wir die wohl berühmteste Geschichte zur Entstehung des Manhattan Cocktails erzählen, geht es um die Relevanz dieses Drinks. Denn mit Fug und Recht kann der Manhattan als der erste moderne Cocktail angesehen werden.
Die Geschichte um den Old Fashioned und seine wohl erste Erwähnung – damals einfach als Cock-tail bezeichnet – im heute unter Bartendern legendären The Balance ad Columbian Repository vom 13. Mai 1806 wurde an vielen Stellen schon erwähnt und ist es ganz gewiss wert, auch hier irgendwann einmal erzählt zu werden. Schließlich gilt diese belebende Kombination aus „spirits of any kind, sugar, water, and bitters“ (ebd.) als die Ur-Form des klassischen Cocktails. Und schaut man sich die ersten Barbücher an, so sind es Abwandlung eben jener Rezeptur, die abhängig von der gewählten Spirituose neben vielen anderen Drinks die Barkarten der damaligen Zeit bestimmten.
Damals hieß der Old Fashioned einfach „nur“ Cocktail. Erst mit dem Aufkommen des italienischen Vermouths wurde aus dem Cocktail etwas Altes. Etwas von gestern. Etwas, das eher old fashioned war. Eine Geschichte, die wohl jeder kennt und für die es unzählige Beispiele gibt. Da kommt etwas neues und zack – gehört man zum alten Eisen. Dies nennt man Wandel. Und wenn dieser Wandel in Form von Vermouth und somit auch in Form eines Manhattans daherkommt, dann möchte ich davon bitte viel haben!
Vermouth – vom verbesserten Cocktail zum neuen Klassiker
Mit den ersten Importen aus Italien und zeitnahen eigenen Versuchen, amerikanischen Vermouth herzustellen, wurde dieser fortifizierte und gewürzte Wein schnell zum Liebling der Bars, Clubs und Restaurants.
Es war anfänglich der Vermouth Cocktail, der 1869 erstmalig und recht einfach als auf Eis servierter und mit einer Zitronenzeste garnierter roter Vermouth beschrieben wurde. Im Laufe der Zeit gesellten sich dem Vermouth gerne noch Bitters und Sirup (vorwiegend Gomme-Sirup) hinzu. Doch stets gehörte dem Vermouth die ungeteilte Aufmerksamkeit der restlichen Komponenten. Dies änderte sich im Jahre 1884 mit dem Manhattan Cocktail. Nun wurde der Vermouth zum Partner und später zum schmückenden Beiwerk einer Spirituose. Damit entstand nicht nur ein Klassiker – wie wir später noch sehen werden – es entstand vielmehr eine ganz neue Kategorie.
Doch bevor es soweit gewesen sein wird, springen wir noch einmal in der Zeit zurück.
Manhattan – ein Ort wie gemacht für die Entstehung einer Ikone
Es muss kalt gewesen sein in den späten Septembertagen des Jahres 1865, als sich einige Männer in dem schon damals legendären Delmonico’s trafen. Im Übrigen eines der ersten Restaurants der USA – gegründet 1837 und trotzt einiger Schließungen bis heute an der originalen Adresse in der Beaver Street zu finden.
In den Stunden der untergehenden Sonne diskutierten die Männer über Politik, die wieder erstarkte republikanische Partei unter Präsident Andrew Johnson und die Notwendigkeit einen (eher demokratischen) Club zu gründen. Einen Club für wahre Gentlemen, wie Sie in New York zu finden waren. Dieser Club sollte Heimat für die erlesenste Schar an Connaisseuren und Männern des öffentlichen Lebens der Stadt werden. Ein Club, der nicht nur durch Nachnamen bestimmt würde und durch die Zugehörigkeit zu einer etablierten Clique – in diesem zu gründenden Club sollte es um Visionen gehen. Um modernes Denken in allen Belangen.
Dieser Club erhielt den Namen Manhattan Club. Und in der legendärsten aller Geschichten zur Entstehung des Manhattan Cocktails spielt dieser Club natürlich die entscheidende Rolle.
Die Geschichte von Jenny Jerome
Die meisterzählte Geschichte zur Entstehung des Manhattan Cocktails datiert sich auf den 29. Dezember 1874. An jenem winterlichen Tag wurde im Manhattan Club eine Party zu Ehren des gerade neu ernannten Gouverneurs von New York, Samuel Jones Tilden gegeben. Und aus irgendeinem nahezu unerfindlichen Grund soll eine gewisse Jennie Jerome – besser bekannt als Lady Randolph Churchill an diesem Abend zugegen gewesen sein. Ihr soll – so findet man es in vielerlei Erzählungen – der erste Manhattan Cocktail gewidmet worden sein.
Eine großartige Geschichte, der man gerne glauben würde. Doch leider sprechen die Fakten dagegen. Besagte Lady Churchill gebar nämlich einige Tage zuvor am 30. November 1874 einen Jungen in England, der am 27.12.1874 getauft werden sollte. Dies lässt sich so genau belegen, da dieser Sohn niemand geringeres war als der spätere britische Premierminister Winston Churchill.
Zwar wurde an diesem Abend ein Drink aus amerikanischem Whiskey, italienischem Vermouth und Bitters ausgeschenkt, doch es gibt keinerlei Belege, dass dies die Geburtsstunde des Manhattan Cocktails war und auch Winston Churchills Mutter war auf jeden Fall nicht zugegen.
Ein gewisser Mann namens Black
Die von Cocktailhistorikern am meisten vertretene These zur Geburt des Manhattan Cocktails ist eine Geschichte über einen gewissen Mr. Black.
Diese Geschichte findet ihre erste Erwähnung in einem Buch aus dem Jahre 1923: Valentine’s Manual of New York. Ein damaliger Bartender aus dem Hoffman House (eine der berühmtesten Bars New Yorks, in der selbst Harry Craddock mixte) erzählt dort, dass der Manhattan Cocktail von einem Mann namens Black nur etwa 10 Türen unterhalb der Houston Street am Broadway erfunden wurde und möglicherweise der berühmteste Drink seiner Tage war.
„probably the most famous drink in the world in its time”
Valentine’s Manual of New York
In den 1870er gab es unter der Adresse 439 Broadway einen Ort, der recht bekannt für seinen Lunch und die Drinks war. Geführt wurde dieser von einem gewissen George Black und bekannt war er als Manhattan Inn. Es ist recht naheliegend, dass hier – an diesem längst vergessenen Ort in Lower Manhattan eben jener Drink erfunden wurde, der den Grundstein legte für eine ganze Dynastie an Drinks und der bis heute zu den berühmtesten Drinks der Welt gehört.
Am Ende wird sich die Geschichte nie ganz erzählen lassen, doch wie verlockend ist es, mit einem guten Manhattan einzutauchen in die Geschichte der Stadt, die niemals schläft?! Denn am Ende ist es so, wie es viele Jahre später Frank Sinatra singen wird:
If I can make it there I’ll make it anywhere
Frank Sinatra
Doch kommen wir nun zum eigentlichen Drink.
Manhattan – wenige Zutaten, viel Relevanz.
Wie sooft in der Bar sind es vor allem die vermeintlichen einfachen Rezepturen, die voller Tücke und Anspruch stecken. Vor allem solch ein klassischer Dreiteiler – wobei die Wahl des Eises relevant ist und als Schmelzwasser die vierte Ingredienz darstellt.
Whisky – aber welcher?
Die Basis eines Manhattan, damals wie heute, ist die Spirituose Whisky. Die höchste historische Relevanz dabei hat ein roggen-dominierter Rye. Dies war zu jener Zeit die populärste Whisky-Sorte an der Ostküste, denn der aus Mais destillierte Bourbon war damals noch eher ein rauer Schnaps für Rednecks in den Wäldern auf dem Weg in den Westen.
Ein klassischer Rye Whisky sorgt für eine elegante Würze, die in vielen spannenden Details mit dem Vermouth interagiert. Doch auch wenn damals Bourbon keineswegs den Weg in die feinen Clubs der gehobenen Gesellschaft gefunden hätte, so ist die Qualität heute eine gänzlich andere. Durch die strukturelle Süße des mais-dominierten Bourbons wird der Manhattan weicher, runder und cremiger.
Für die Hausbar empfehle ich gerne einen Bulleit Rye oder einen Rittenhouse 100 Proof Rye. Beide sind recht gut und bezahlbar zu bekommen. Für den Bourbon ist Makers Mark immer eine sichere Bank oder natürlich Evan Williams Bottled in Bond.
In den 2000er Jahren – zu meiner Anfängerzeit hinter der Bar – gab es leider keine solch breite Auswahl an amerikanischen, geschweige denn roggen-dominierten Whiskys. Von daher war der Trick hinter einem guten Manhattan immer ein kanadischer Whisky – vorwiegend Canadian Club. Dieser war nämlich recht gut erhältlich. Da haben sich die Zeiten heute zum Glück geändert.
Einen spannenden Twist erhält man, wenn man sich der Vielfältigkeit schottischer Whiskies zuwendet. Dann jedoch spricht man nicht mehr von einem Manhattan Cocktail, sondern von einem Rob Roy (ein wirklich ausgezeichneten Drink findest Du hier)
Vermouth und die Frage wie perfekt es sein darf
Neben dem Whisky spielt der Vermouth die nächste wichtige Rolle und hier entscheidet sich der Stil des Manhattans.
Im Laufe der Zeit wurde – ziemlich analog zum Martini-Cocktail – der Geschmack trockener. War es anfänglich stets roter, italienischer Vermouth, so kam irgendwann auch der trockene, weiße, französische Vermouth in das Glas. Dies führte irgendwann dazu, dass sich drei grundsätzliche Stile etablierten.
Der klassische Manhattan ist der sog. Sweet Manhattan mit rein italienischem Vermouth. Dem gegenüber steht der Dry Manhattan mit trockenem, französischen Vermouth und ganz elegant dazwischen der sogenannte Perfect Manhattan mit je gleichen Anteilen trockenem und süßem Vermouth. Klassisch und die verbreitetste Variante ist und bleibt aber der Sweet Manhattan.
Auch hier ist die Auswahl riesig und man kann in nahezu allen Preiskategorien fantastische Produkte finden. Ich persönlich bin ein großer Freund von Carpano Antica Formula aber auch ein einfacherer Carpano Classico macht einen wahrlich großartigen Manhattan Cocktail.
Bittere und süße Details
Zwei weitere relevante Zutaten gilt es für den Manhattan Cocktail zu beachten. Zum einen ist da der Bitter. Dies ist recht einfach zu handhaben. Ich würde immer auf den klassischen Angostura Bitters gehen (hier unbedingt das Original mit dem gelben Deckel nehmen!). Dies ist kein Dogma aber die Flasche Angostura Bitters sollte man eh im Haus haben. Ein oder zwei Tropfen Orangen-Bitters tuen dem Drink auch einen kleinen Gefallen – sind aber nicht zwingend notwendig.
Spannender und diskutabler ist die Garnitur. Hier kristallisieren sich zwei Alternativen heraus, kann oder muss man sich doch zwischen Zitrusschale oder der berühmten Cocktailkirsche entscheiden.
Ehrlicherweise ist dies eine Stilfrage. Mit der Kirsche wird der Drink etwas süßer und erhält eine romantische Nuance von Kitsch, dahingegen kreiert man mit einer Zitrusschale eine etwas frischere und elegantere Variante.
Ich bevorzuge eine Orangenzeste, deren ätherische Öle über den Drink gegeben werden. Was die Kirsche anbelangt, so gilt es einzig und allein darauf zu achten, dass hier hochwertige Kirschen genommen werden und keinesfalls die fast schon leuchtenden Zuckerkirschen.
Auf einen guten Manhattan – meine Lieblingsrezeptur
Hat man für einen Manhattan alles zusammen, so ist die Rezeptur erstaunlich einfach.
- 50ml Whisky
- 20ml roter Vermouth
- 1-2 dashes Angostura Bitters
Alles in einem Rührglas auf wirklich kaltem, trockenen Eis verrühren und in eine vorgekühlte Coupette oder Cocktailschale geben. Mit der Orangenzeste aromatisieren und genießen. Dazu Sinatra auflegen, zurücklehnen und genießen.