Diese zweiteilige Artikelreihe beschäftigt sich mit der Geschichte des Champagners von der Zeit der Gründung Reims und einem niemals sterbenden Mythos bis in das 18. Jahrhundert. Es ist eine Reise in die politischen Hintergründe der Region und zu Gott. Ein gewisser Dom Perignon spielt eine genauso wichtige Rolle wie die Engländer. Ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienen hat dieser erste Teil der Geschichte des Champagners eine ungefähre Lesezeit von 18 Minuten.
Die Ursprünge des Champagners
Eine historische Einordnung des vielleicht berühmtesten aller Weine ist ein spannendes Projekt, denn Champagner ist nicht nur die Verkörperung von Luxus und Eleganz, schließlich steht wie kaum ein anderer Wein Champagner auch für besondere Momente der Politik und des Zeitgeschehens. Genauso ist auch die Geschichte des Champagners und mit ihm die Geschichte einer ganzen Region so vielschichtig und aufreibend – und bedingen sich doch auch so sehr. Denn ein Wein kann niemals ohne die Geschichte seiner Region und seiner Menschen verstanden werden.
Am Anfang stand ein Mythos
Den Weinanbau in der Region verdanken wir – wie so oft den Römern. Sie haben hier in ihre nördliche Provinz die Reben gebracht. Doch es ist nicht nur der Wein, mit dem sie die Gegend prägen sollten, es ist auch eine Geschichte über die Entstehung einer der wichtigsten Städte der Region: Reims. Die Legende besagt, dass Reims eine Art Gegenentwurf zu Rom sein sollte, denn Remus, der Bruder Romulus’ fühlte sich ob der Namensgebung der italienischen Kapitale nicht ausreichend gewürdigt und gründete weit im Norden einen wichtigen Handlungsknoten. So schön und spannend diese Legende klingt, so falsch ist sie jedoch auch, entstammt der Name Reims doch von den Remern ab, einem Unterstamm der heutigen Belgier. Und dennoch ist der Einfluss der Römer nicht nur für die Stadt von entscheidender Bedeutung, sondern auch für das Kulturgut Champagner, denn neben den Trauben verdanken wir ihnen auch die eindrucksvollen und gigantischen Crayeres – jene Kalkkeller, in denen der Champagner zur Perfektion reift.
Kreide und Architektur
Es sind vor allem die Keller unter Reims, die in diesem besonderen Stil errichtet wurden. Domartige Ausgrabungen, die mehrere zehn Meter in die Tiefe gehen und sich ausbreiten. Die hier abgebaute Kreide nahm man für die Errichtung der eindrucksvollen Prunkbauten der immer weiter anwachsenden Handelsstadt. Auch wenn Épernay nunmehr auch eine prunkvolle Stadt ist, so ist Reims trotz der eigentlich entfernten Weinberge die Hauptstadt der Champagne. Hier entwickelte sich über viele Jahrhunderte ein Handelszentrum, welches von Franzosen und Römern, Engländern und Deutschen, Schweizern und vielen anderen Nationen besucht wurde.
Reims war eine der größten Städte des römischen Imperiums, was sich auch an den Monumentalbauten wie dem Porte de Mars andeutet, einem der größten Triumphbögen der Römer. Doch die beeindruckendste Architektur – das mögen mir die Erbauer der Kathedrale, zu der wir noch kommen werden, verzeihen – befindet sich unter der Stadt.
Es sind heute insgesamt über 600 Kilometer Keller unter der gesamten Champagne zu finden, die auch völlig berechtigt Teil des UNESCO Weltkulturerbes sind, schließlich wurden die ersten von ihnen auch vor 2000 Jahren errichtet. Es ist eine Stadt unter der Stadt, die vor allem in Kriegszeiten Schutz bot. Heute beheimaten die langen Keller Millionen von Flaschen und die eindrucksvollsten Kreidekeller finden sich hier in Reims. Es sind jene der Häuser Charles Heidsieck, Ruinart, Veuve Clicquot, Taittinger und Pommery welche in dem besonderen Domstile der Crayeres gebaut wurden.
Ein politisches Zentrum Frankreichs
Doch nicht nur architektonisch war Reims eine Metropole. Vielmehr war diese Stadt, die heute keine 200.000 Einwohner mehr hat, ein politisches Zentrum Frankreichs. Hier wurde im Jahre 496, in einer kleinen Kirche durch den Heiligen Remigius, dem Bischof von Reims der König Chlodwig I. getauft. Mit diesem Akt begann die eigentliche Geschichte des Frankenreiches und ab 987 eine Tradition, die sich bis zum Ende der französischen Monarchie hielt. In diesem Jahr wurde Hugo Capet, der Begründer des Geschlechts der Kapetinger hier zum König von Frankreich gekrönt, nachdem der letzte Karolinger König Ludwig V. verstorben war. Nach ihm wurden bis zur französischen Revolution alle weltlichen Oberhäupter Frankreichs hier inthronisiert.
Aus einer Verbundenheit mit dem Ort, an dem die Krone des mächtigen Reiches empfangen wurde, hielten auch die Weine der Region – damals allesamt still und ohne Perlage – Einzug an dem in Paris befindlichen Hofe. Dies geschah vor allem zum Ärgernis des burgundischen Klerus, der stets davon überzeugt war, einfach die besseren Weine zu machen. Eine tatsächliche Bewertung der damaligen Qualitäten lässt sich keinesfalls objektiv vornehmen, doch schlussendlich haben sich ja viele Generationen später die Weinmacher beider Regionen darauf geeinigt, völlig unterschiedliche Stilistiken zu erzeugen. Bis dies jedoch allgemeingültig war, sollte noch viel Zeit vergehen und auch unendliche Debatten darüber, welcher Wein der bessere sei. Das einfache Volk im Übrigen war zur damaligen Zeit vom Genuss der Weine ausgeschlossen; ihnen blieb – wenn überhaupt – Ale und Bier.
Zeugen der Macht
Wie bedeutend Reims und die Region südlich der Handelsstadt war, bezeugt vor allem die Kathedrale. Ein – heute wieder aufgebautes – imposantes Bauwerk, welches kein stummer Zeuge der aufregenden Geschichte ist, sondern diese förmlich in den Raum zu erzählen vermag.
Auf den Mauern der ersten Kirche aus dem 5. Jahrhundert – jener, in der Chlodwig getauft wurde – begann man im Jahre 1211 mit dem Bau der Kathedrale, nachdem die davor stehende Kirche bei einem Brand nur ein Jahr zuvor völlig zerstört wurde. Das nahezu perfekte Beispiel einer hochgotischen Baufassade erzählt die abwechslungsreiche Geschichte der Region und gibt auch Hinweise auf die Bedeutung des Weinbaus hier. Das jedoch schönste Detail der Fassade findet sich am linken Portal der Westseite, neben dem Haupteingang: der lächelnde Engel. Es gibt keine andere Figur an oder in dem Gebäude, welche ehrlicher und vor allem erfrischender lächelt als dieser eine Engel – wahrscheinlich weiß er um die freudige Wirkung der Weine seiner Region. Und wahrscheinlich erfreut er sich auch an der Tatsache, dass Reims nach vielen Kriegen und häufiger Zerstörungen wieder strahlt im Glanz der Moderne und vor allem nicht zu einer Museumsstadt geraten ist, sondern vielmehr lebt und von jungen Menschen bevölkert wird – dazu jedoch an anderer Stelle mehr, hier geht es um die historische Entwicklung der Region und mit ihr der, ihrer Weine.
Der Kampf um Prestige
Der schon angedeutete Wettstreit mit dem südlichen Nachbarn im Burgund skizziert die Ernsthaftigkeit, mit der Weinbau und Weinbereitung hier in Frankreich betrieben wurden und auch noch bis heute werden. Bestimmte Lagen der Champagne erfreuten sich damals schon einem hervorragenden internationalen Ruf. Vor allem Hautvillers und Aÿ waren weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt für ihre exquisiten Weine, aber auch Bouzy oder Ambonnay. Dies lag neben der tatsächlichen Qualität der Weine vor allem wieder an der geopolitischen Lage. Die Champagne war während des 100jährigen Krieges eines der Hauptschlachtfelder und 1358 Aufmarschgebiet der Engländer, die angeblich über 3.000 Fässer Wein aus den Kellern stahlen und damit erstmals unter der Führung von Edwart I. in Kontakt mit Champagner kamen. Wie sich später herausstellen wird, sollen vor allem die Engländer entscheidend für die weitere Entwicklung der berühmten Weine gewesen sein. Dieser friedlichen Beeinflussung geht jedoch eine militärische Besatzung im 14. Jahrhundert voraus, welche erst durch Karl VII. beendet wurde. Er und seine Armee – beflügelt durch eine gewisse Johanna von Orleon vertrieben die Engländer und brachen das gewachsene Bündnis zwischen jenen und dem burgundischen Herzog Phillip, der die englische Unterstützung nutzen wollte, um seinen Geltungsanspruch in Paris zu festigen. Auch wenn England militärisch unterlag und seit dieser Zeit den unliebsamen Status des „ewigen Feindes“ besitzt, so war für die Weine des Landes diese Zeit der Besatzung eine gute Vorbereitung für die Durchdringung internationaler Märkte. Noch heute schließlich gilt London als einer der wichtigsten Umschlagplätze für Weine aus der Champagne, dem Burgund oder Bordeaux.
Die Auseinandersetzung zwischen den Champenoise – welche stets an der Seite der französischen Könige standen und dem Burgund wurden nicht nur militärisch-politisch ausgetragen, sondern auch in Form des Ringens um Prestige in der Weinherstellung. Es waren vor allem diese beiden Regionen, welche stets im Konflikt lagen, wenn es darum ging, wer den besseren, den bekömmlicheren oder im Zweifelsfall auch den gesünderen Wein machte. Antreiber dieser letzten Debatte waren zumeist die königlichen Hof-Ärzte, die je nach ihrer Herkunft Champagner-Weine oder eben jenen aus Burgund den Vorzug gaben und dem amtierenden König jene zur Leibespflege – im Sinne einer inneren Anwendung – darboten.
Zumeist waren beide Weinregionen an den Tafeln in Versailles vertreten, doch 1575 wurde erstmals ausschließlich Champagner – immer noch als Stillwein – bei den Banketten Heinrich III. serviert. Dies war ein ungemeiner Auftrieb für die Region und manifestierte die Stellung der Weine der Champagne. Sorgte der royale Fokus doch auch für eine deutliche Ansammlung von Experten auf dem Gebiet der Weinbereitung und auch für ein gesteigertes Interesse, noch bessere Weine zu kredenzen.
Nicht nur unter Heinrich III. wurde stiller Champagner zu dem In-Getränk der Zeit. Als 1610 Ludwig XIII. gekrönt wurde, setzte er den Champagner-Absolutismus fort, welcher in den Eskapaden seines Erben – Ludwig XIV. – gipfelte. Angeblich trank der junge König kaum etwas Anderes. Bis in das vinophil entscheidende Jahr 1694, als mit Guy-Crescent Fagon ein neuer Leibarzt die Bühne betrat, welcher burgundische Wurzeln hatte. Schnell wurde kommuniziert, dass der Sonnenkönig fortan nur noch die Weine des Burgunds trinken würde, wären diese doch feiner und vor allem weniger von Säure geprägt – ein Fakt, der die Besonderheit des Terroirs und des heutigen Champagners auszeichnet. So begann der Wettstreit aufs Neue und wurde schlussendlich aufgelöst durch die Auseinanderentwicklung der jeweiligen Stile.
Ein besonderer Bund – le Ordre des Côteaux
Zur Hochzeit der sonnenköniglichen Champagner-Ektase taten sich einige junge Herren ihrer Zeit zusammen, um die Großartigkeit der Weine der Champagne zu verkünden. Unter Ihnen die herausragenden Persönlichkeiten des Commandeur de Souvré, der Marquis de Sillery, der Duc de Mortemart, der Marquis de Saint-Evremond oder Comte d’Ollone. Diese illustre Ansammlung an Gourmands und Weinkennern kann mit Fug und Recht als eine der ersten Zusammenschlüsse von Feinschmeckern der Weltgeschichte betitelt werden. Ihr Ziel war es, das Beste der französischen Regionen zu erkunden und diesem zu frönen. Es war eine dekadente Art des Ernährens, aber zumindest ein Vorläufer unserer heutigen regionalen Fokussierung bei Speisen. Und vor allem waren die Herren allesamt große Freunde des Champagners, so dass ihr Orden heute wieder besteht und ein Zusammenschluss von Connaisseuren ist, deren Aufgabe darin besteht, die Großartigkeit der Weine der Champagne in die Welt zu tragen. Wieder aufleben ließen den Orden 1956 unter anderem François Taittinger und Roger Gaucher und nunmehr ist er essenzieller Bestandteil der Kommunikationsstrategie des Comité Interprofessionnel des Vins de Champagne.
Der ursprüngliche Name der Vereinigung war „Les trois Côteaux“ – die drei Weinberge. Es waren damit Aÿ, Hautvillers und Avenay gemeint, deren Weinqualität damals als absolutes Maß galt. Erst im Laufe der Zeit und der Vergrößerung der Gemeinschaft geschuldet wurde daraus der Orden der Weinberge – le Ordre des Côteaux.
Stille Perfektion – die frühen Weine der Champagne
Doch was waren das eigentlich für Weine, die damals schon den Ruf der Region förderten und die von Königen geschätzt und von aller Welt umkämpft waren? Mit den schäumenden Weinen unserer Zeit hatten Sie wenig zu tun, soviel steht fest. Gekeltert wurden hier sowohl weiße als auch rote Rebsorten, auch schon jene drei Weine, die heute für den Champagner so wichtig sind, allen voran jedoch Pinot (Noir). Auf Grund der nördlichen Lage – lange galt die Champagne als das nördlichste Anbaugebiet für Wein – wurden vor allem die Rotweine jedoch nie so intensiv in ihrer farblichen Ausprägung, wie jene des Burgunds zum Beispiel. Von daher lässt sich in den Quellen immer wieder die Beschreibung von „Oeil de Perdix“ finden, also der Farbe des Rebhunhauges entsprechend. Damit sind blasse Rosé- und Rottöne gemeint, wie sie bei gemeinsamer Fermentation von roten und weißen Trauben und einer generell geringen Farbextraktion, während der Maischung mit den Schalen eintritt. Noch heute benennen einige kleinere Häuser ihren Rosé-Champagner mit diesem historischen Namen.
Entgegen der Meinung der Winzer aus dem Burgund waren zur damaligen Zeit die Rotweine der Champagne äußerst gefragt. Päpste und Könige waren treue Kunden und einige erwarben sogar Weinberge, um die sichere Versorgung zu garantieren. Es sind vor allem die Namen Aÿ und Bouzy, welche hier an vorderster Stelle genannt werden müssen, wo die vielleicht besten Rotweine der Champagne hergestellt wurden. Noch heute gibt es einige kleine Winzer, die sich auf diese Tradition berufen. Auch das große Haus Bollinger stellt einen Rotwein her, der nunmehr als Côteaux Champenoise verkauft wird und ein toller Rückblick in die Vergangenheit ist. Heute jedoch ein ganz klares Nischenprodukt mit Seltenheitswert.
Gottes Werk und Teufels Beitrag
Die wichtigste Unterscheidung zu heutigen Weinen jedoch ist die Tatsache, dass Champagner damals – bis Mitte / Ende des 17. Jahrhunderts heran zumeist ein stiller, nicht schäumender Wein war. Zumindest wurde diese Stilistik bewusst erzeugt. An dieser Stelle tritt das Terroir mit seiner besonderen klimatischen Bedingung entscheidend hervor. Die nördliche Lage der Champagne versetzte die gärenden Weine in einen Winterschlaf, welcher teilweise die Fermentation unterbrach und die Aktivität der Hefen einstellte. Wurde es im Frühjahr nun wieder war, so begannen die Weine weiterzugären, waren jedoch teilweise schon abgefüllt und in halbwegs druckstabilen Gefäßen eingelagert. Dabei entstand die heute so geschätzte Kohlensäure, welche sich als feine, elegante Perlen darbietet. Damals jedoch wollte man dies keineswegs erzeugen. Ziel war es stets, große Weine zu produzieren – Stillweine.
Da man sich die Entstehung der Perlage zur damaligen Zeit nicht erklären konnte, erklärte man diese schäumenden Weine schlichtweg zu Teufelswein, den es zu verhindern galt. Dieser Aufgabe widmete sich unter anderem ein Mönch in der Abtei von Hautvillers. Aber diese Geschichte wird im nächsten Artikel genauer betrachtet.
Eine Abtei, ein Mönch und endlich Perlen – Wie Champagner zu seiner Perlage kam
Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne – manchmal ein großer und manchmal ein kleiner. Dem Beginn der Weine der Champagne – wie wir sie heute kennen – wohnt eine Menge kleiner Zauber inne. Und es dauerte lange Zeit, bis man diesen verstand. Während die ersten Weine der Champagne als Stillweine gekeltert wurden, begann sich Ende des 17. Jahrhunderts diese Welt zu verändern. Die Weine bekamen ihre heute so verzückende Perlage und diese Neuschöpfung verbindet sich zumeist mit dem Namen eines der berühmtesten Mönche Frankreichs, ja des berühmtesten Mönches der Weinwelt: Dom Perignon. Doch was ist Wahrheit und was ist Geschichte hinter den vielen kleinen Wundern der Flaschengärung, welche Champagner heute kennzeichnet?
Hautvillers und ein Blick über die Champagne
Reist man heute von Reims nach Hautvillers, so fährt man durch viele Wälder. Die direkte Umgebung südlich von Reims besteht zum größten Teil aus Wald oder Getreideflächen. Es stellt sich wieder einmal die Frage, wo hier eigentlich der Wein wächst für die berühmtesten Luxusweine der Welt. Man folgte der N51 bis Saint Imoges und biegt dann rechts ab auf die D71, welcher Bestandteil der Route Touristique du Champagne ist – jenem Straßennetz, das dem Weinreisenden garantiert die schönsten und auch wichtigsten Orte der Champagne offenbart. Und auch diese vielversprechende Straße führt lange Zeit durch Wälder. Dunkle, scheinbar unendlich tiefe Wälder. Doch irgendwann lichtet sich der Wald abrupt und es öffnet sich das weite Marne Tal. Das Ortseingangsschild von Hautvillers ist so etwas wie der Eintritt in die Welt unendlicher Weinberge.
Das kleine Örtchen, welches heute nicht einmal 800 Einwohner zählt, scheint das Eintrittstor in die Champagne zu sein. Nicht nur historisch – quad esset demonstrandum – sondern auch oder vor allem regional. Auf einmal offenbaren sich Weinberge bis zum Horizont. Das Marne Tal, eine der berühmten Weinbaugebiete der Champagne liegt erschlossen vor einem und man beginnt die Dimension zu erahnen. Eine Größe in vielerlei Hinsicht.
Eilt herbei Brüder – ich trinke Sterne!
Eine Marketingabteilung
Groß ist der Ort nicht, doch so wichtig für die Champagne, wie uns all die Erzählungen klar machen wollen, denn hier findet sich die berühmte Abtei von Hautvillers, jener Ort, an dem von 1668 bis 1715 ein Mönch die Verwaltung innehatte, dessen Name heute auf einer Flasche steht, die für all das luxuriöse steht, das diesen Wein ausmacht: Dom Perignon. Doch warum ist gerade diese Abtei, diese Lage und dieser Mönch in die Geschichte des Champagners eingegangen? Eine erste Antwort liegt in der Lage von Hautvillers.
Macht und Weinberge
Das Kloster, welches wundervoll über dem Marne Tal liegt, wurde um 650 gegründet. Die Geschichte besagt, dass der Erzbischof Nivard von Reims einer Taube folgte, die ihm diesen Ort zeigte. Nach den Glaubensregeln des heiligen Benedikt errichtete er hier ein Kloster. Dieses wurde im Laufe der Geschichte immer wieder zerstört. Normannen, Engländer und Hugenotten brannten es bis auf die Grundmauern nieder und doch wurde es immer wieder aufgebaut, denn dieser Ort war besonders. Nicht nur auf Grund seiner religiös-politischen Bedeutung, auch war es ein lukrativer Platz, denn die Ländereien zu Füßen der Abtei waren sehr ergiebig. Schließlich war die Bauernschaft gezwungen, der Kirche Tribut zu zahlen in Form von Zehnten und anderen Abgaben. Konnte dies nicht erfolgen, so wurde über kurz oder lang das Land in Besitz genommen, was dazu führte, dass der Landbesitz des Klosters immer größer wurde. Auch Kreditschulden wurden im Notfall mit Land beglichen. Die Abtei zeichnet sich also nicht nur durch eine – für den Weinbau – perfekte Lage aus, sondern hatte auch viel Grund, auf dem dieser betrieben werden konnte.
Ein gestrenger Vorsteher und ein Perfektionist
In diese wohlbefindliche Lage kommt Pierre Perignon, ein Mönch im Alter von knapp 30 Jahren und wird alsbald verantwortlich für die Geschicke des Weinbaus und der Weinbereitung im Kloster. Viel ist nicht bekannt über den Mönch – wohl jedoch werden viele Geschichten erzählt. Einige davon glaubhaft, viele nicht und dennoch scheint dieser Mann, der erstaunlich alt wurde, so unsagbar wichtig für die Geschichte des Champagners.
Nicholas Faith beschreibt Dom Perignon als einen äußerst strengen Vorsteher, dessen Begriff von Nächstenliebe klar im Sinne der Abtei stand. Er war streng – zu den Bauern, seinen Mitmönchen und vor allem sich selbst gegenüber. Unter seiner Ägide wuchs der Grundbesitz von 10ha auf 21ha an, was mit einem unglaublichen Machtanstieg einherging. Heutzutage alles Grand Cru Lagen. Das meiste, was wir über Dom Perignon wissen entstammt Sekundärquellen, wovon die Aufzeichnungen von Dom Grossard, dem letzten Benediktiner-Vorsteher von Hautvillers vor der Revolution entscheidend sind und die Notizen von Armand Silvestre – einem Dokumentensammler des 19 Jahrhunderts. Ein wirkliches Porträt jedoch von Dom Perignon ist nicht überliefert und auch der Mythos, er wäre blind gewesen ist eher fragwürdig. Nicht jedoch seine Errungenschaften in Bezug auf Champagner – oder etwa doch?
Über Wahrheit und Mythos
In seiner Aufzeichnung vermerkt Dom Grossard, dass es der berühmte Dom Perignon gewesen sei, der das Geheimnis entschlüsselte, was hinter Schaum- und Stillwein stand und die Menschen vor ihm nur wussten, wie man die vin gris bereitete. Ein Satz, der sowohl Wahrheit als auch Mythos enthält. Um zu verstehen, worin die Bedeutung von Dom Perignon lag, muss man die Weine seiner Zeit kennen, oder sich zumindest bewusst machen, wie sie nach aktueller Quellenlage gewesen sein müssten.
Was wir mit Sicherheit wissen ist, dass Mitte des 17. Jahrhunderts eine kleine Eiszeit in Europa einsetzte. Diese sorgte dafür, dass die Weine vermehrt im Herbst ihre Gärung einstellten und diese im Frühjahr fortsetzten. Es muss also zu einer Vielzahl von sogenannten Teufelsweinen gekommen sein. Damals jedoch wusste man noch nicht, warum Weine auf einmal schäumen. Diese Weine waren gegen den eigentlichen Plan und so galt es, diese zu verhindern. Da die Abtei von Hautvillers auf den Verkauf von Weinen – und auch auf ihren Ruf angewiesen war, ist es nur natürlich, dass es das Hauptziel war, diese Art der Weine zu vermeiden. Progressivität und klösterliche Strenge sind selten bis nie koexistent – da macht auch ein Pierre Perignon keine Ausnahme. Und dennoch gilt er als der wichtigste Evolutionär des Champagners.
Evolution statt Revolution
Edward Hyams hat zu der gesamten Entstehungsgeschichte in seinem fantastischen Abriss der Sozialgeschichte von Wein die vielleicht kürzeste, aber dafür treffendste Aussage über Champagner gemacht: dieser habe sich selbst erfunden. Dabei spielt er direkt auf die notwendige Terroir-Situation an, die für die Entstehung der schäumenden Weine verantwortlich ist. Unter diesem Gesichtspunkt und dem der weiteren historischen Entwicklung kann man nur von einer Evolution der Weinbereitung sprechen, deren katalyse Momente geprägt sind durch bestimmte Situationen oder Menschen, die aber rückblickend eine logische Reaktion auf die generelle Entwicklung der Welt darstellen.
Weiße Weine von dunklen Trauben
Die von Dom Grossard beschriebenen vin gris waren die Weine des frühen 17. Jahrhunderts. Hergestellt durch klassische Korbpressung und vinifiziert nach dem Wissen der Zeit. Dadurch entstanden grau-rote Weine, zumeist blasser Intensität. Man wusste damals wenig über die Farbgebung und die Prinzipien von Maischestandzeiten, sowie der dabei einsetzenden Farbextraktion aus den Weinbeerenschalen. Diese Weine waren ausgesprochen gut – für ihre damalige Zeit, aber nicht gut genug für einen Perfektionisten wie Dom Perignon. Er setzte es sich zur Aufgabe, farbreine Weine zu erzeugen. Und genau dies ist eine der beiden wichtigsten Leistungen des Mönches aus Hautvillers – er verstand es im Laufe der Zeit, wie man aus dunklen Beeren weißen Wein herstellte – eines jener magischen Momente, die Champagner noch heute auszeichnet.
Die Notwendigkeit der Assemblage
Die zweite wichtige Erkenntnis des Benediktinermönches war das Verstehen um die Notwendigkeit der Assemblage, also des Verschneidens unterschiedlicher Weine verschiedener Lagen. Mit dem Landgewinn der Abtei wurde die Weine, welche durch Abgabe oder Eigenanbau in die Keller kamen, immer unterschiedlicher; doch der zu verkaufende Wein sollte schließlich immer die Hautvillers Qualität haben. Also musste man es schaffen, dass viele verschiedene Weine zu den immer gleichen Qualitäten zusammengefügt wurden. Dieser ganz pragmatische Ansatz der Qualitätssicherung ob der Vielzahl an unterschiedlichen Grundprodukten führte zu der Wissenschaft der Assemblage – jener verbreiteten Grundphilosophie, für die die Champagne bis heute berühmt ist. Auch wenn nunmehr viele kleine Winzer genau das Gegenteil predigen – eine Entwicklung, die später genauer beleuchtet werden soll; so ist es eben jene Assemblage, die die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Geschichte des Champagners darstellt.
Eilt herbei Brüder – die Engländer verstehen die Sterne
Es ist wohl einer der meistzitierten Sätze, wenn es um Champagner geht: eilt herbei Brüder, ich trinke Sterne! Diese Formulierung jedoch wird Dom Perignon wohl nie ausgesprochen haben, schließlich war es Zeit seines Lebens sein Ziel, eben jene heute so erotisch anmutenden Sterne zu vermeiden, galten diese doch als das Werk des Teufels. Nun, oder wie wir heute wissen: vielmehr das Werk von Hefe. Das wirkliche Verständnis über die Funktion der Hefen verdanken wir Louis Pasteur, der in seiner 1876 erschienen Abhandlung über Bier die Grundfunktion dieser Mikroorganismen innerhalb des Gärprozesses beschrieb. Doch wie man zuverlässig schäumende Weine herstellt, beschrieb über 200 Jahre zuvor – eigentlich parallel zur Schaffensperiode von Dom Perignon – Dr. Christopher Merret. Am 17.Dezember 1662 hielt er vor der Royal Society in London – deren Mitbegründer er war – einen Vortrag über die Herstellung von schäumenden Weinen. Er hatte erkannt, dass durch die Zugabe von Zucker in den Wein dieser wieder zu arbeiten begann und in abgeschlossenen Systemen – Flaschen – die Perlen entstehen. Jenes Teufelswerk im Auge der Franzosen war etwas Vortreffliches für die Engländer.
Was jedoch bringt die Engländer – jene Nation, die mit Frankreich gefühlt seit Anbeginn der Zeit im Clinch liegt dazu, sich intensiv mit den Weinen auseinanderzusetzen – insbesondere denen der Champagne? Nun, es ist ein gewisser Marquis Charles de Saint Evremond, einer der Begründer des „Les trois Côteaux“. Dieser französische Edelmann geriet in die Missgunst seines Königs – Ludwig XIV – und ging ins englische Exil. Dort war er aufgrund seiner französischen Lebensart ein gern gesehener Gast am Hofe und erfüllte – ohne jegliche Absicht – die Aufgaben eines Botschafters für französische Produkte. Ein Faible, für das der gehobene englische Adel äußerst berühmt war. Und dementsprechend waren es vor allem französische Weine, die dort genossen wurden. Wenn man jene also in der Champagne in die Flaschen gab und nach England schiffte, dann begannen diese dort mit Einbruch des Frühlings wieder zu gären und so lernten die Engländer schnell die Bläschen im Wein als etwas Besonderes zu verstehen. Und da England damals eine bedeutende Weltmacht auf allen Gebieten war, beschäftigte man sich auch mit der – zur damaligen Zeit – nötigen wissenschaftlichen Akribie mit eben jener Besonderheit. Man verstand vor den französischen Herstellern, was es mit den Perlen auf sich hat und noch viel weiter vor den Champenoise stellte man den persönlichen Gusto auf diese neuartige Stilistik um.
Ein neuer Geschmack – ein neues Glas
Doch nicht nur auf in Bezug auf die besonderen Perlen, die man allmählich verstand, haben die Engländern einen erheblichen Anteil am Erfolg des modernen Champagners. Sie waren es auch, die die dafür notwendigen, stabileren Flaschen herstellten und auch dieser evolutionäre Schritt folgt nur einem historischen Umstand – oder besser: zweien.
Italienische Auswanderer, die vor allem vor der Pest, den Auseinandersetzungen zwischen den italienischen Staaten und der spanischen Besatzungsmacht sowie dem Erbfolgekrieg von Mantua als Nebenschauplatz des 30jährigen Krieges flohen, kamen bis in das weit entfernte England und brachten ihre Handwerke mit. Darunter die kunstvolle Herstellung von Glas aus dem venezianischen Raum. Eine weitere wichtige Rolle in der Entwicklung des damals berühmten verre anglaise war ein royales Edikt von 1614, welches es verbot, für die Glasherstellung Holz zu nutzen. Dies lag daran, dass man Holz – allen Sorten voran Eichen – für die Herstellung der Schiffe der Marine benötigte. Wenn Wissen und technische Bedingungen stimmen, so entstehen bekanntlich gute Dinge; und daher waren es nordenglische Glasereien, die erstmalig enorm stabile Flaschen produzieren konnten. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass neben den Perlen auch ein gehöriger Druck entsteht. Heute haben wir um die sechs bar Druck in einer Flasche Champagner – damals waren es immerhin schon drei bar.
Doch nicht nur die Qualität des Glases ist entschieden durch die Engländer beeinflusst, auch die Form. Die berühmten Flaschen der heutigen Prestige-Cuveé von Moët & Chandon – Dom Perignon; oder der Maison Charles Heidsieck sind noch heute in dieser damals so typischen Form zu finden. Auch wenn man gerne darauf verweist, dass es die Form der unterirdischen Crayeres ist, die als Vorbild dieser Flaschen diente.
Der Verschluss
Wenn man nun allmählich zu verstehen beginnt, wie die Perlen in den Wein kommen, wenn man adäquate Flaschen produzieren kann und wenn es Menschen gibt, die diesen neuen Wein allmählich zu schätzen wissen; so muss man sich überlegen, wie man die Magie in den Flaschen behält. Einfache Tücher mit Wachs versiegelt oder Holzpropfen mit Hanf halten dem Druck nicht permanent stand, ein Produkt aus dem europäischen Süden schon. Aus Katalonien und Portugal bezogen die Engländer die Rinde der Korkeiche – Quercus suber – und setzten diese ab Anfang des 18. Jahrhunderts immer häufiger ein. Auch diese „Erfindung“ wird Dom Perignon zugeschrieben. Auch hierbei handelt es sich wohl um einen Mythos. Vor allem die englischen Handelsverbindungen mit der iberischen Halbinsel sind ausschlaggebend für den Export von Kork in den europäischen Norden. Im Jahr 1681 wird im Übrigen erstmals ein Stahlwurm erwähnt, der zum Öffnen verkorkter Flaschen geeignet ist.
Krieg bestimmt den Preis
Auch wenn man vielleicht nur mit einem Augenzwinkern die Bedeutung der Engländer für die Entwicklung des Champagners anerkennt, so sind sie auch wieder verantwortlich, wenn es darum geht, warum Champagner als globales Luxusprodukt geschätzt wird. England – vor allem London, gilt als zentraler Umschlagplatz für die Weine Frankreichs. Die Verbindung zwischen den Adelshäusern ist unbestreitbar und dennoch befinden sich diese Weltmächte stets und manchmal gefühlt auch ständig im Krieg miteinander. Vor allem nach dem Toleranzedikt von Nantes (1678), bei dem zwar eine Akzeptanz des calvinistischen Evangelismus ausgerufen wurde, der Katholizismus jedoch zur einenden Staatsreligion erklärt wurde, führte man eine Dauerfehde. Diese sorgte dafür, dass der gerade erst populär gewordene Champagner neuen Stils alsbald schwer zu bekommen war und sich dementsprechend verteuerte. Es wurde ein Getränk für die Reichen der Londoner Cafe Society, die damit dem Champagner einen Ruf verschufen, den er bis heute hat. Ein Wein für die Schönen, aber vor allem für die Reichen.
So beginnt die Geschichte des berühmtesten aller Weine auf ein Neues, auf eine schäumende Art und Weise, die sich nur langsam in der Heimat Frankreich durchsetzt. Dies vor allem auf Grund der gesteigerten Nachfrage aus dem Ausland. Dieser Teil der Geschichte wird in einem noch zu schreibenden Artikel betrachtet.
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