In diesem Beitrag erfährst Du alles über die Geschichte und die Vielseitigkeit eines der populärsten Drinks überhaupt: den Negroni. Begib Dich auf eine Reise in den Süden und entdecke eine ganz eigene Welt mit einem feinen Hauch Bitter. Ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienen, hat dieser Beitrag eine Lesezeit von ca. 7 Minuten.
Negroni – ein Wort, ein Drink, bei dem ich sofort ins Schwärmen gerate. Eine simple und zugleich treffende Liebesbekundung für etwas so Einfaches, das jedoch zugleich so unendlich komplex zu sein scheint. Negroni ist nicht nur ein Wort oder ein Drink – Negroni steht vielmehr für ein Versprechen auf etwas wirklich Gutes. Es schürt eine Erwartung wie sie größer nicht sein kann – nämlich die auf einen perfekten Aperitif-Drink. So viel zum Prolog.
Bartenders Choice
Fragt man Bartender, auf welchen Drink sie sich einigen könnten, wenn Sie nur noch einen einzigen trinken dürften – für den Rest aller Zeiten; so würde vermutlich weit mehr als die Hälfte eben jenen Negroni nennen. Er ist in den letzten Jahren zu einer Art geheimen Erkennungszeichen unter Menschen geworden, für die ein elaboriertes Genussverhalten selbstverständlich ist. Es ist der Drink, der immer geht, den man eigentlich auf der ganzen Welt kennt und den jeder zubereiten kann. Er ist das perfekte Beispiel für respektable Simplizität und Vielseitigkeit. Die Bartender der Bar Fritz’n in Potsdam haben es treffend auf den Punkt gebracht, als sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, die eine Spirituose zu finden, die in einem Negroni nicht funktioniert – bisher im Übrigen zum Glück recht erfolglos. Doch bevor wir uns zu sehr in den Details des Negronis verirren – einer der vielleicht schönsten Irrwege der Welt – vertiefen wir uns in seine Geschichte, die in Florenz beginnt, Anfang des 20. Jahrhunderts.
Amerikanische Wurzeln und europäischer Geist
Seine Ursprünge hat der Negroni in Florenz und somit ist er eine der wenigen Cocktailklassiker mit europäischen Wurzeln. Doch ganz so einfach ist das nicht, denn selbst hier im alten Europa entstehen keine Drinks ohne den Einfluss der größten aller Cocktail-Nationen: den USA. Auch wenn die Prohibition es nie geschafft hat, den Alkohol aus dem Leben der Amerikaner zu vertreiben, so hat sie doch zu einer kleinen Diaspora amerikanischer Barleute geführt. Sie begannen, ihre Kunst überall auf der Welt feilzubieten und etablierten so „Cocktails“ auf dem ganzen Globus. Es dauerte nicht lange und Drinks im amerikanischen Stile waren en vouge. Wobei es zu einem immer wieder spannenden Zusammenspiel zwischen amerikanischer Stilistik und europäischen Produkten kam, erschienen doch zur damaligen Zeit viele Vermouths, Bitterliköre und andere Aperitif-Weine auf dem Markt. Diese wurden miteinander gemixt und so entstand sukzessive ein komplett neues Universum an Apero-Drinks, deren feine, bittere Noten den Appetit anregten und zu einer Leichtigkeit der Gemüter führten.
Mailand oder Turin…
Noch bevor man die berühmteste aller Negroni-Geschichten erzählt, sollte man sich zwei – eigentlich drei unterschiedliche Drinks anschauen, ohne die diese Geschichte wohl niemals hätte erzählt werden können. Zum einen ist da der Milano-Torino. Eine jener fantastischen Kompositionen aus gleichen Teilen Campari (aus Mailand) und Martini Rosso (aus Turin). Das Ganze in einem Tumbler auf Eis und mit einem Stück Orange garniert. So weit so gut.
Gary – Gaz – Regan hat in seinem großartigen Buch über den Negroni jedoch einen zweiten Drink herausgearbeitet: den Torino-Milano (sollten sie jetzt latente Andreas Möller Assoziationen bekommen, so möchte ich mich an dieser Stelle auf das ehrlichste entschuldigen, aber wie Madrid in diese Verwirrung passt, kann ich mir keinesfalls erklären – den Gedankensprung jedoch bekomme ich sehr schnell). Hierbei handelt es sich eigentlich um ein ähnliches Getränk, nur dass statt des roten Vermouths, der eine grundlegende Süße mit sich bringt, ein Amaro Verwendung findet – im Übrigen im gleichen Verhältnis und mit gleicher Darbietungsform.
Auch wenn beide Drinks auf den ersten Blick sich zum Verwechseln ähneln, so unterscheidet sie doch die jeweilige Tendenz hin zum süß-herben, bzw. zum dezidiert bitteren. Und irgendwie ist es ja genau diese verführerische Kombination, die einen Negroni ausmacht.
…egal, hauptsache Americano
Doch noch sind wir nicht bei dieser liquiden Instanz, dafür bedarf es noch einen bedeutenden Schritt, oder besser gesagt eines berühmten Aperitifs: dem Americano. Hier offenbart sich schon die kosmopolitische Ader italienischer Aperos. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Mischung aus Campari, rotem Vermouth und Soda, welches diesen Drink verlängert und damit absolut tagestauglich macht.
Wenn man sich nun jedoch dieses Rezept anschaut, dann ist ein Americano eigentlich nichts weiter als ein Milano-Torino mit Soda. Und schlussendlich ist dies wohl auch der Weg, denn angeblich wurde der Milano-Torino in den 1860er Jahren in Mailand, in Gaspare Camparis Bar erfunden und dort später umbenannt in Americano, da er besonders bei amerikanischen Touristen beliebt war. Dieser Drink wurde alsbald populär, und zwar so sehr, dass er in Ian Flemings allerersten James Bond Roman Casino Royal auftauchte mit dem kleinen neckischen Hinweis, dass Gin oder Vodka nichts wären, um tagsüber genossen zu werden. Aperitif-Kultur auf höchst literarischem Niveau! Nicht nur auf der literarischen Bühne erlebte der Americano eine außerordentliche Beliebtheit, auch im realen Leben verbreitete sich der Werbeträger für Gasparo Camparis roten Bitterlikör rasant. Und so fand er natürlich auch seinen Weg nach Florenz, jener Metropole in der Toskana, die heute als Geburtsort unseres Negronis gilt.
Ein Graf und seine Geschichten
Der Americano gilt gemeinhin als der Vorläufer des Negronis und ein gewisser Graf Camillo Negroni als sein Erfinder. Dieser Graf, seines Zeichens vor allem Lebemann und Playboy kam gebürtig aus der Gegend um Florenz. Nach einigen Eskapaden zog es ihn – oder man trieb ihn – in die neue Welt, aus der er später wieder in seine Heimat zurückkam. Mit dabei die Lust auf Cocktails. Er galt in den 1920er Jahren als Stammgast im florentiner Café Casoni und des dortigen Bartenders Fosco Scarselli. Jener mixte ihm für gewöhnlich eben jenen Americano. Dies jedoch erschien ihm an einem nicht näher zu bezifferndem Tag als zu wenig stark und so bat er den Barmann, seinen Americano doch etwas abzuwandeln und vor allem stärker zu machen.
Dieser substituierte dabei einfach das Wasser durch Gin – ein Gedankengang, der natürlich vollkommen logisch ist – und siehe da: ein neuer Drink war geboren. Und um diesem einen Namen zu geben, benannte man ihn einfach nach seinem ersten Besteller: Negroni.
Es ist eine grundsätzlich unspektakuläre Geschichte, doch zumeist sind es die einfachen Dinge, die besonders sind. Schnell wurde dieser Hausdrink bekannter und im Laufe der Zeit zu dem Drink schlechthin, wenn es um die Verarbeitung des immer berühmter werdenden Bitterlikörs Campari ging. Der Negroni wurde sozusagen zum Signature-Drink des leuchtend roten Likörs und dies völlig zurecht, denn die Rezeptur ist erstaunlich einfach und eigentlich in jeder Bar und auch daheim realisierbar. Und ganz nebenbei präsentiert ein Negroni in seiner Leuchtkraft die Farbintensität des Camparis wunderbar.
Sensorische Demokratie
Die Einfachheit der Rezeptur wurde an verschiedenen Stellen schon erwähnt. Weitläufig bekannt ist sie eine ausbalancierte Trilogie aus rotem Vermouth, Campari und Gin. Jede Ingredienz zu gleichen Teilen in einem Tumbler auf Eis verrührt und mit einer Scheibe Orange garniert. Und so unterschiedlich die einzelnen Zutaten auch sind, in dieser Balance hat jede Einzelne von ihnen den Raum, sich zu präsentieren. Es ist die vielleicht demokratischste Rezeptur eines Drinks und sie lässt auch erhebliche Varianten zu. Für den Fall, dass die bitteren Noten des Camparis etwas reduziert werden sollen, empfiehlt sich eine Verschiebung zu Gunsten des Gins auf 40 ml Gin, 30 ml roten Vermouths und 20 ml Campari – wobei man grundsätzlich mit der Standardrezeptur von je 30 ml pro Zutat die direkteste und auch klassischste Variante hervorbringt.
Rezeptur
- 30ml Gin
- 30ml roter Vermouth
- 30ml Campari
Alles in einem Tumbler auf Eis verrühren und mit einer Orange garnieren.
(An der us-amerikanischen Westküste reicht man den Negroni gerne als straight up drink – also auf Eis gerührt und dann in einer Cocktailschale ohne Eis serviert – dies macht den Drink deutlich wuchtiger)
Bewusste Dominanz
Trotz einer Gleichheit in der Menge ist es ganz klar der Campari, jener berühmte italienische Bitterlikör, der hier die Szenerie dominiert. Er ist es auch, welcher sakrosankt über der schier unendlichen Vielfalt an Zutaten steht und über jeden Zweifel erhaben ist. Ein klassischer Negroni verlangt nunmal nach Campari! Es gibt fantastische Interpretationen mit anderen Bitterlikören – allen voran Aperol; aber ein klassischer Negroni ist und bleibt ein Drink mit Campari. Spielen Sie dennoch! Ein White Negroni mit Suze zum Beispiel ist ein hervorragendes Getränk und sollte unbedingt probiert werden! Dies hier jedoch ist eine Liebeserklärung an die klassischen Negroni, jenen mit Campari.
Abgesehen von dieser Instanz lässt sich fantastisch mit den anderen beiden Zutaten spielen. Die Vielfalt, die zum Glück mittlerweile im Vermouth-Segment zu finden ist, erlaub hier viele detaillierte Finessen zu erzeugen. Noch überwältigender ist die Varianz in Bezug auf die verwandte Spirituose. Nicht nur das Angebot an Gins mit unterschiedlichen Stilistiken und Aromen macht diesen Drink so vielseitig, auch die Möglichkeit, jenen Gin durch anderen Hochprozenter zu ersetzen erzeugt spannende und wohlschmeckende Erlebnisse. Sei es Rum, rauchiger Scotch, Tequila oder Calvados – in dem roten Kleid des Negronis machen sie alle eine reizvolle Figur.
Mehr als ein Aperitif
Diese Vielfältigkeit der Interpretation ist es auch, die den Negroni zu mehr macht als nur zu einem Aperitif. Jene sollte man bekanntlich vor dem Essen trinken. Dort liegt ihre degustatorische Grundfunktion, doch ein Negroni passt immer. Tagsüber, vor dem Essen, nach dem Essen und irgendwie dazwischen auch. Er ist so vielseitig, dass er längst die Aperitif-Pflicht mit Bravour meistert und dazu noch in jedweder Kür zu überzeugen vermag. So verwundert es auch nicht, dass er mittlerweile seinen festen Platz in den Menükarten der internationalen Barszene fest innehat und dort auch bis spät in die Nacht genossen wird. Dies unterscheidet ihn von vielen Terrassen-Drinks und lässt ihn deutlich erwachsener wirken – ohne dabei seine Leichtigkeit zu verlieren. Und glauben Sie mir eines: die Bestellung eines Negronis nach Art des Hauses lässt den Barmann oder die Barfrau aufhorchen, denn eines ist der Negroni bei aller Vielseitigkeit mitnichten: ein trivialer Drink für jedermann.
Genuss und Gutes
Die Bestellung eines Negronis ist nicht nur eine sensorische Freude, einmal im Jahr ist es sogar für eine Woche eine gute Tat. Seit 2013 führt die Firma Campari in Zusammenarbeit mit dem Imbibe Magazin die Negroni Week durch. In sieben Tagen, mit drei Zutaten hat man einen einfachen Weg, etwas Gutes zu tun. Jedes Jahr im Juni werden Bars in der ganzen Welt dazu aufgerufen, an der Negroni Week teilzunehmen. Dabei erhält man von Seiten Camparis ein Unterstützungspaket und verpflichtet sich dafür, von jedem Negroni eine gewisse Summe an ein selbstgewähltes Projekt zu spenden. Im Jahr 2018 fand die nunmehr sechste Negroni Week zwischen dem 04. und dem 10. Juni in über 1.000 Bars – allein in Deutschland – statt.
Es ist eine fantastische Idee, mit einem großen Drink, einer leidenschaftlichen Kultur und fantastischen Barleuten ganz nebenbei etwas Gutes zu tun. Letztes Jahr (2017) kamen so global über eine halbe Million Dollar zusammen – und das mit einer ganz einfachen Drinkbestellung. Dieses Konzept verlangt Hochachtung! Darauf einen Negroni!
Epilog
Ein Wort, ein Drink und doch so viel mehr. Einen Negroni zu trinken ist wie das Eintauchen in etwas Pulsierendes, etwas Belebendes und zugleich doch so sehr Beruhigendes. Es ist eine jener liquiden Instanzen, deren Geschichte mehr dem Zufall geschuldet ist und die sich ganz ruhig und beständig entwickelte. Es ist die Geschichte einer ikonischen Likörflasche und zugleich die Geschichte vieler verschiedener Möglichkeiten. Auch wenn ein Negroni vielleicht nicht jedermanns Geschmack trifft, so sollte man ihn unbedingt probiert haben. Und ich verspreche Ihnen, es ist eine neue Welt, die Sie betreten, mit Ihrem ersten Negroni.