Dieser Artikel ist ein kleiner, vorläufiger Reisebericht aus der Champagne – eben jener Region um Reims und Epernay, aus welcher der berühmteste Schaumwein der Welt kommt. Es ist ein erster Atemzug jener Luft des Marne-Tals, die tausende Rebstöcke beatmet und es ist ein erster Fussabdruck auf dem weißen Stein, der der Region nicht nur seinen Namen gab. Es ist in erster Linie der Beginn einer wundervollen Reise. Ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienen, hat dieser Beitrag eine ungefähre Lesezeit von 5 Minuten.
Wenn jemand eine Reise tut, so sagt der Volksmund, dann hat er was zu erzählen. Dem ist keinesfalls Etwas entgegenzusetzen. Zu ergänzen jedoch schon, denn wenn jemand eine Reise unternimmt, dann hat er – oder natürlich auch sie – eine Aufgabe. Ein Ziel. Mag dieses Ziel irgendwo zu verorten oder metaphysisch sein, mag es erreichbar sein oder nicht – es ist zumeist notwendig. Das Ziel meiner letzten Reise war die Champagne – eine wundervolle Landschaft, deren Schönheit allein schon eine Reise wert wäre, doch die Gründe lagen tiefer. Ich war auf der Suche nach einer Idee. Ich bin immer noch auf der Suche, aber der Idee schon ein Stückchen näher – es ist die Suche nach der Idee von Champagner.
Auf der Suche nach einer Idee
Champagner ist mehr als ein Wein. Champagner ist aber auch mehr als ein Ort – Champagner ist so vieles. Und so vieles Verschiedene für unterschiedliche Leute. Champagner ist auch die Idee von Luxus, von Handwerk und Terroir. Champagner ist nichts ohne seine Geschichte und die Geschichte der Menschen seiner Region. Ich bin also in die Champagne gefahren, um ein Bündel Ideen zu finden die am Ende ein etwas genaueres Bild dessen ergeben, was sich mit zierlicher Erotik im Glas präsentiert. Und diese Reise sollte keinen besseren Ausgangspunkt finden als Reims, jene Stadt, die so unabdingbar mit all dem verbunden zu sein scheint und doch abseits liegt.
Ankunft in Reims
Wenn man in die Champagne von Osten aus reist und das Ziel Reims ist, so verwundert es einen sehr schnell, wo der Wein wachsen soll, der in dieser Region schlussendlich auf rund 33.500 Hektar Rebfläche angebaut wird. Es ist vor allem Getreide, welches hier wächst im Hinterland der Montagne de Reims. Was auf den ersten Blick verwundert, erklärt sich nur langsam, Stück für Stück, oder besser: Schluck für Schluck. Reims ist mit der Champagne verbunden wie kaum eine andere Stadt, doch mit einem anderen Hintergrund und vor allem ohne direkten Weinbau. Dafür mit Macht, Infrastruktur und Geschichte.
Reims galt viele Jahrhunderte als eine der wichtigsten Städte Nordeuropas. Nicht nur ihre günstige Lage für den Handel machte die Stadt zu einer Metropole, auch ihre politisch-religiöse Bedeutung; wurden doch in der Kathedrale Notre Dame de Reims, diesem prächtigen Monumentalbau, welcher schon 1211 begonnen wurde, die französischen Könige gekrönt. Dies wiederum auf Grund der Taufe von Chlodwig I. – der erste Frankenkönig und somit Begründer des Frankenreiches – Ende des 5. Jahrhunderts in einer Kirche an selbiger Stelle. Dieser politischen Sonderstellung folgte der Handel und damit die Menschen – Reims wurde zu einer Stadt von Bedeutung und Gewicht. Und ganz nebenbei ist Paris auch nur eine kurze Reise entfernt.
Eine wirtschaftliche Prosperität zieht natürlich auch Menschen an, denen Genuss wichtig ist und die sich erlesene Dinge leisten können – wie Wein zum Beispiel. Angebaut wird dieser in der Region schon lange vor seiner großen, sprudelnden Zeit und wie so oft beginnt seine Geschichte mit den Römern. Diese brachten in die Reben frühzeitig in die sonnenbeschienenen Hügel um Aÿ, Eperney und in das Tal der Marne. Es sind jene Orte, die berühmt sind für den Weinbau – Reims dagegen für den Handel. Es ist diese spannende Ambivalenz und Dynamik zwischen dem Land und der Stadt, die wichtig ist für ein grundsätzliches Verständnis der Champagne und damit auch für die Entwicklung der Weine.
Große Weine, kleine Bläschen
Berühmt wurde die Region für ihre Weine schon weit vor den ersten sprudelnden Bläschen und einem berühmten Benediktinermönch aus Hautvillers. Durch die Bedeutung Reims und der Nähe zu den französischen Königen wurden natürlich auch die Weine der Region am Königshof getrunken. Damals noch als Stillweine und als große Konkurrenz zu den Weinen des Burgunds. Die südlichsten Gebiete der Champagne – die Aube – liegen näher am Burgund als an Reims. Diese viniziöse Besonderheit wird in einem folgenden Artikel noch genauer betrachtet.
Doch egal ob stille oder schäumende, die Weine der Champagne waren schon immer besonders – und auch besonders beliebt. So zieht es Jahr für Jahr tausende von vinophilen Pilgern in die Orte, deren Berühmtheit in der Welt des Weines weitaus größer ist als ihre tatsächliche Pracht. Es ist erstaunlich, mit welcher Bodenständigkeit, ja fast schon Einfachheit die Menschen hier leben und dabei Produkte erschaffen, die auf der ganzen Welt für Luxus, Glamour und Erfolg stehen.
Champagner bewegt die Menschen, Champagner begeistert und Champagner polarisiert – in seiner Heimat jedoch verbindet er vor allem. Der Wein verbindet nicht nur die Menschen, die ihn erzeugen untereinander, sondern vor allem mit der Natur und der Landschaft. Ist diese auch in sich so unterschiedlich, so wird einem schnell bewusst, wie bedeutend das Terroir dieser Region ist. Der kalkhaltige Boden im Norden und der Sandstein im Süden. Auch wenn viele Sommeliers nicht viel davon halten, dass man den Boden – in einem mineralischen Sinne – in einem Wein herausschmecken kann, wer einmal den feuchten Kalkstein in den Crayeres von Ruinart von den Fingerspitzen probiert hat, der findet eben jene Salzigkeit auch in den großartigen Weinen des ältesten aller Champagnerhäuser wieder.
Der Wein – in seiner Geschichte, seiner Machart und seinem Geschmack ist schier unendlich eng mit dem Terroir verbunden. Nicht nur dem Boden, sondern mindestens genauso intensiv mit dem Klima. Das nördlichste Anbaugebiet Frankreichs ist ein Gebiet der Extreme und so sehr diese Extreme die Weine fordern, so sehr fordern sie auch die Menschen, die jene Weine erzeugen. Und diese Abhängigkeit von den Launen der Natur merkt man ihnen an. Es ist ein ganz besonderer Schlag Menschen von jener Haltung, die Demut und Leidenschaft verkörpert und unendlich weit weg zu sein scheint von der Dekadenz nächtlicher Champagnerorgien in den großen Metropolen dieser Welt.
Geprägt durch die Geschichte, durch Arbeit und Leid
Diese eigene Art der Champenoise ist natürlich auch durch ihre Geschichte geprägt, denn nicht nur königliche Taufen und Feierlichkeiten wurden abgehalten. Die exponierte Lage der Region sorgte auch für Begehrlichkeiten und im Zweifelsfall waren es rein logische Gründe der militärischen Belagerung. Handelsrouten sind immer stark umkämpft und Kämpfe erlebte die Champagne mehr als genug. Von Atilla dem Hunnen über den 100jährigen Krieg bis zur fast kompletten Zerstörung der Stadt Reims im ersten Weltkrieg und dem unsäglichen Leiden in den Schützengräben, für die der Name Verdun das bewegendste Synonym ist. Die Champagne ist wie kaum eine andere Weinbauregion geprägt worden durch Krieg und Zerstörung. Genauso jedoch steht sie auch wie kaum eine andere Weinbauregion für Versöhnung und Hoffnung. Wie jede Flasche Champagner, deren Grund zumeist ein freudiger ist.
Der Beginn einer wundervollen Reise
Und so ist auch die Stimmung gelöst in der Region. Oder ganz konkret hier auf dieser Terrasse in dem kleinen Pub direkt vor der Kathedrale von Reims. Freundlich empfängt man die Gäste – auch wenn sie des Französischen kaum mächtig sind. Man ist sich seiner Internationalität bewusst. Und vielleicht auch ein wenig dem mahnenden Charakter der wieder aufgebauten Kathedrale, die wie kaum ein anderes Gebäude für Hoffnung und Glaube steht, als auch für Versöhnung.
Begeben wir uns von hier also auf eine Reise durch die Champagne, die Geschichte des berühmtesten aller Weine und hinein in kleine Orte zu Menschen, die diesen Wein zu dem machen, was er ist. Nämlich mehr als nur ein Wein, eine liquide Instanz voller verschiedener Ideen und Geschichten. Über den es mehr zu sagen gibt, als es eine kleine Reihe von Perlen in einem Glas je vermag.