Dieser ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienene Artikel ist eine Liebeserklärung an den weißen korsischen Aperitif der Firma L.N. Mattei, dessen Kennenlernen einer Bar in Frankfurt am Main zu verdanken ist. Ein Nischen-Produkt, das die große Bühne könnte – aber irgendwie eher als Geheimtip passt. Die durchschnittliche Lesezeit beträgt hier 5 Minuten.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten in eine Beschreibung einzusteigen, deren un-erklärtes Ziel es ist, die Lieblingsprodukte eines Jahres zu beschreiben. Historische Anekdoten, einfühlsame Zitate oder geschmackliche Erläuterungen. Alles dies wäre bei den Produkten von Cap Corse möglich, sinnvoll und vielleicht zielführend. Doch manchmal ist der Weg das Ziel und eine finale Tatsache das Ergebnis eines glücklichen Zufalles. So war es auch bei den Produkten von L.N. Mattei.
Das Frankfurter Hanky Dory und ein erstes Mal
Es war eine jener Nächte, deren Ausgang unerwartet anders war, als man es sich vorher dachte. Zumindest als es der Terminkalender vorsah. Eines jedoch direkt vorneweg: so verhält es sich mit den meisten Nächten in den Bars von Frankfurt am Main. Zur damaligen Zeit war Vermouth Soda mein favorisiertes Getränk. Es ist eigentlich immer noch eines der meistbestellten Drinks meiner Person und das hat einen entscheidenden Vorteil: Man kann die ganze Nacht genüsslich durchtrinken, hat angenehm leicht einen sitzen – ist jedoch nie völlig betrunken und der nächste Tag auch frühzeitig erträglich. Einzig und allein Barleute könnten dazu neigen, bei der Bestellung die Augen zu verdrehen, ist dieser Drink doch kaum eine Herausforderung ihrer mixologischen Passion.
Ich saß also im Hunky Dory in Frankfurt. Eine wundervolle Bar, geführt vom charmanten Armin Azadpour, deren Ambiente ziemlich genau meiner Vorstellung eines wohligen und zugleich lebendigen Wohnzimmers für genussvolles Leben entspricht. Ein Ort, der aus jeder Pore liquide Tiefsinnigkeit atmet und der einen mit den vielen kleinen und liebevollen Details verführen kann. Eines davon ist mit Sicherheit das Rückbuffet, vor dem in akkurater Lockerheit Drinks gerührt und geschüttelt werden.
Bei einem Schluck Antica Soda fiel mein Blick auf eine ziemlich altmodisch anmutende Flasche, deren blaues Etikett geziert war von allerlei Text und kleinen Verzierungen. Die Neugierde war geweckt und ich bat Armin darum, mir doch ein paar Worte über dieses Produkt zu erzählen und den ein oder anderen Blick zu erlauben. Schnell hatte ich ein Glas vor mir mit einem Probeschluck und es begann in diesem Augenblick eine liquide Liaison, die den Sommer überstehen würde. Es war das erst Mal, dass ich L.N.Mattei zu sehen und zu schmecken bekam. Cap Corse Soda wurde zu einem meiner Lieblingsgetränke.
Ein weißer Wein mit dem Hang zur Tradition
L.N.Mattei ist ein klassischer Quinaquina, also ein Vertreter jener legendär-vergessenen Aperitif-Weine, die man kaum noch antrifft und den kaum noch Menschen kennen. Es ist einer jener Gewürzweine im Schatten des Vermouths, deren Bedeutung für die Geschichte gemixter Drinks jedoch unermesslich ist. Ganze Abhandlungen könnten über Martinis, Vespers und Kina Lillet geschrieben werden – ja ganze epochale Liebeserklärungen. Und genau darum soll es auch hier gehen. Sowohl was die Liebeserklärung als auch die (geschmackliche) Bedeutung anbelangt.
Der Name L.N.Mattei Cap Corse ist eine Einschwörung auf Herkunft und Tradition, verbindet er doch die Geschichte einer Familie mit der Geschichte und der Tradition eines Ortes. Hergestellt wird dieser Quinaquina seit Ende des 19. Jahrhunderts auf der zu Frankreich gehörenden Insel Korsika – und zwar ganz im Norden. Die berühmte korsische Spitze ist eben jenes Cap Corse, dem der Aperitif seinen Namen verdankt. In dieser malerischen Gegend wird 1849 der spätere Weinbauer Louis Napoleon Mattei geboren und hier fühlt er sich Zeit seines Lebens verwurzelt. Es ist das Essen und die Getränke seiner Heimat, die Seeluft und die kulturelle Vielfalt, die ihn prägen und damit auch seinen berühmten Wein.
Von Likören, Medizinen und internationalem Erfolg
Die Geschichte der Unternehmung Mattei beginnt frühzeitig mit einem kleinen Getränkestand, an dem Louis Säfte und Weine verkauft. Alsbald erweitert er das Angebot um kräftigere alkoholische Produkte und Tabakwaren und 1872 – im Alten von 23 Jahren – erwirbt er in Bastia eine kleine Fabrik, in der er eine Mosterei und eine Destillerie baut. Dies ist der Grundstein für die Produktion der Quinaquina. Doch er beginnt nicht sofort mit der Herstellung des heute berühmten Aperitifs, der kulturell so eng mit seiner Heimat verbunden ist, dass ihn auf Korsika alle nur Cap Corse nennen. Zuerst produziert er Cédratine, den so typischen korsischen Zitronenlikör aus wilden Cédrat-Zitronen, welche aus dem asiatischen Raum hierhergebracht wurden und heute vor allem als Zitronat-Zitronen bekannt sind.
Seinen vin du cap corse au quinaquina, der ab 1894 Cap Corse genannt wurde produziert er seit 1884. Es ist eine Mischung aus Weinen – vorwiegend Vermentium und Muskat-Weine, die zu Mistelle vergoren werden. Jener typische Gewürzwein wird mit hochprozentigem Alkohol aufgesprittet, so dass dieser nicht völlig durchgärt. Dies ermöglicht die Arbeit ohne jedwede Zugabe von Zucker. Er mischt – der Zeit und den imperialen Bestrebungen Frankreichs entsprechend Chinin mit in den Wein, um ein Fiebermittel zu kreieren, welches auf den tropischen Reisen des französischen Expansionsheeres reichlich zum Einsatz kommt.
Um die Jahrhundertwende wird aus dem Heilmittel, welches auf Vermouthkraut verzichtet eine bedeutende Zutat der immer populärer werdenden Cocktails in der neuen Welt. Nach dem Ende der amerikanischen Prohibition – welche uns viele berühmte Drinks schenkte – exportierte L.N.Mattei über 1 Mio. Flasche seiner Grand Reseve Weine, die vor allem in kräftigen Short-Drinks als Vermouth-Substituent eine große Rolle spielten. Später kam neben den Grand Réserve Qualitäten, die nunmehr das Flagschiff des Portfolios ausmachen die Le Seul Vrai Weine mit dazu. Jene „einzig wahren“ Aperitifs sind etwas süßer und weniger bitter und damit für den Genuss auf Eis oder pur gedacht, wohingegen die klassischen, großen Quinaquinas bewusst für den Einsatz im Cocktail genutzt werden.
Oh, bittere Süße!
Auch wenn die Gewürzweine eine immer stärker wachsende Kategorie sind, Quinaquinas sind bis heute eher stiefmütterlich behandelt durch die Industrie und werden vor allem in kleiner, regional beschränkter Handwerklichkeit hergestellt. So auch im Fall der Produkte von L.N. Mattei. Es ist der Firma Perola zu verdanken, dass diese Produkte den Weg in unsere Rückbuffets gefunden haben. Als Martini-Trinker und großer Freund von Aperitif-Weinen ist meine Dankbarkeit da noch ein Stück weit ausgeprägter, stellt doch der Grand Réserve eine der wenigen wirklichen Alternativen zum verlorenen Kina Lillet dar.
Geschmacklich ist es ein Balance-Akt zwischen der Restsüße des Mistelle, welches der Grundwein ist, der dann mit ausreichend Chinin und über 30 Botanicals aromatisiert wurde. Es ist ein Wandeln zwischen natürlicher Süße und frischer Bitterkeit, deren Strukturen getragen wird durch frische Zitrusnoten und floralen, blumigen Akzenten. Gerade der 17%Vol.ige Grand Réserve besitzt dabei eine tiefe Kraft, die unaufgeregt daherkommt und mit Aromen von weißem Pfeffer und frischer Kühle aus dem Chinin überzeugt.
Der etwas leichtere (15% Vol.) Le Seul Vrai ist hingegen deutlich süßer und etwas dicker in seiner Textur, so dass er ideal auf Eis genossen werden kann und einen perfekten Einstieg in einen sommerlichen Nachmittag voller Meeresfrüchte und später Wildgerichte darstellt.
Beide – sowohl der Cap Corse Grand Réserve als auch der Le Seul Vrai sind eine wundervolle Ergänzung der Hausbar und sollten unbedingt probiert werden. Und wenn man nicht sofort eine Flasche davon bekommt, dann ist das ein perfekter Grund, Armin im Hunky Dory in Frankfurt zu besuchen – auf ein Glas Cap Corse Soda. Nur die Nacht kann dann eventuell etwas länger werden. Lohnen und schmecken wird es bestimmt!
Allgemeine Informationen
- Hersteller: L.N. Mattei
- Alter: k.A.
- Alkoholgehalt: 15% Vol. (Le seul vrai) & 17% Vol. (Grand Réserve)
- Farbstoff: ja
- Kühlfiltration: k.A.
Vielen Dank an Perola für die Bereitstellung einer Flasche. Außer Cap Corse ist hier nix geflossen.