In diesem ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienenen Artikel geht es um die Geschichte hinter der berühmtesten Bitter-Marke der Welt: Campari. Du erfährst hier alles über die Entstehung, das leuchtende Rot und die populären Verzweigungen, die dieser Aperitif vor allem in den ersten Jahren genommen hat. Die durchschnittliche Lesedauer beträgt in etwa 7 Minuten.
Es gibt Dinge auf der Welt, die erkennt und benennt man mit etwas Übung äußert direkt und sofort. Der Sound eines alten Mustang Shelby GT, das Klingen eines Dupont Feuerzeuges oder das strahlende Rot von Campari. Es sind Produkteigenschaften, die vielleicht schon größer sind als das Produkt selber. Es sind Erkennungszeichen, für das Produkt als auch den Besitzer oder Konsumenten. Und manchmal sind es auch geheime Codes zwischen Menschen – zwischen Genießern. Hatte ich schon Campari gesagt?
Leuchtendes Rot und bittere Süße
Ich glaube, wenn man ganz ungezielt Menschen auf der Straße einen roten Likör, welcher herb schmeckt vor die Nase halten würde, würden die meisten diesen als Campari benennen. Sein leuchtendes Rot und seine einzigartige Aromakomplexität machen ihn definitiv einzigartig in der Welt der Aperitif-Liköre und das ist er auch. Nicht nur degusto, sondern auch von seiner Geschichte, steht er doch wie kein anderer Bitterlikör so sehr für eine Aperitif-Kultur im Sinne Bella Italias; sind doch wie an keinen anderen Likör Cocktails gebunden, die man auf der ganzen Welt kennt und schätzt. Es ist also eine Geschichte, welche sich zu erzählen lohnt.
Vom Kellner zur Berühmtheit
Die Geschichte Camparis muss man als eine logische Entwicklung der Geschichte italienischer Aperitifs verstehen, deren Grundgerüst die Geschichte des Vermouths ist. Auch wenn Artemisia absinthium darin keine Rolle spielt, so ist es die Vorliebe bitter-herber Aromen und auch ihre Funktion des Appetit-Anregens, welche Produkte wie Campari oder auch später Aperol zu Grunde liegt.
Konkret beginnt die Geschichte des Camparis mit der Geburt von Gaspare Campari 1818 in Cassolnovo. Hier in der Provinz Pavia, in der Lombardei wird der Junge als zehntes Kind einer Farmerfamilie geboren. Schnell muss er seinen Beitrag zum Überleben der Familie erwirtschaften und so zieht er 1842 ins rund 50 km östlich gelegenen Mailands, um sich dort als Spüler und Kellner zu verdingen. Unter anderem arbeitet er im Pasticceria Bass Caffè und im Ristorante Cambio. Hier kommt er mit der Welt der Liköre und Weine in Berührung und sein Interesse ist schnell geweckt. Hier wächst auch der Wunsch nach einer eigenen Unternehmung und so zieht er die Region seiner Eltern zurück, nach Novara; wo er ein eigenes Café eröffnet.
Hier beginnt Gaspara Campari um 1860 mit der Herstellung eines eigenen Bitterlikörs, welchen er seinen Gästen serviert. Da seine Inspiration auch aus dem Likörhandwerk der Niederlande geprägt ist, nennt er diesen erst einmal Bitter all’uso d’Hollanda. Schon früh scheint ihm bewusst zu sein, dass ein eigener Geschmack nicht ausreichend sein wird, um Bekanntheit zu erlangen und so färbt er seinen Likör unter Verwendung zermahlener Schildläuse rot – jenes Rot, welchem die Erotik eines Lippenstiftes nicht abzusprechen ist und das noch heute so sehr für den Mailänder Likör steht.
Die Metropole Mailand
Über das Privatleben von Gaspare Campari ist nicht allzu viel bekannt. In Novara gründet er neben seinem Café eine Familie, doch das Glück ist nicht von langer Dauer, seine Frau stirbt. Nach einigen Jahren zieht es ihn wieder zurück in die Metropole Mailand – wohl auch wegen einer neuen Frau an seiner Seite. Seinen Likör nimmt er mit und behält auch die Rezeptur – bei der angeblich mehr als 60 Botanicals eine Rolle spielen. Gegenüber des Mailänder Doms eröffnet er das Café Amicizia, welches er jedoch bald wieder schließt, da das Gelände, auf dem das Gebäude steht durch die Stadt erworben wird, um dieses in die Erweiterung des Domplatzes zu integrieren.
So zieht er in die neugebaute Galleria Vittorio Emanuele, wo er 1867 seine Bar eröffnet. Diese Einkaufsgalerie – benannt nach dem ersten italienischen König wird durch jenen persönlich am 15. September desselben Jahres eröffnet. Schon damals war es ein Spot der Schönen und Reichen und damit auch eine fantastische Lage, um das Café, aber auch seinen eigenen Likör zu vermarkten.
Der Beginn einer Marke
Mit der neuen Bar und dem eloquenten, als auch solventen Publikum hatte Gaspare Campari alles erreicht. Mit 64 Jahren jedoch verstarb er 1882 und so ging das Café als auch der Likör an seine beiden Söhne: Davide und Guido Campari über. Es war vor allem Davide, der schnell begriffen hatte, welche Möglichkeiten hinter dem Likör des Vaters steckte und so erlaubte er umliegenden Restaurants, Cafés und Bars den Verkauf des immer populärer gewordenen Likörs unter der Bedingung, dass sie ein Werbeschild mit dem Namen Campari in ihrem Lokal aufhängten. Damit begann die Marke Campari zu leben. Doch nicht nur in Mailand wurde der Name Campari immer bekannter – auch international wurde der rote Bitterlikör vermarktet.
Eine Ära des Wachstums
Es war wieder Davide Campari, welcher die internationale Vermarktung des Likörs übernahm, wobei es wohl eher ein beiläufiges Geschäft war. Er verliebte sich in eine Opernsängerin und reiste dieser über den gesamten Globus hinterher. Immer im Gepäck: eine Flasche Campari, dessen Markenschutz er 1888 eintragen ließ. Er war der Kopf hinter der Marke, während Guido vor allem für das Ladengeschäft zuständig war.
Davide Campari verdanken wir auch den berühmten Campari Cordial, welcher heute leider nicht mehr hergestellt wird. Damals jedoch war dieser Cordial einer der Hauptgründe, warum man 1892 ein eigenes Labor gründete und somit die Produktion der Liköre vom Café-Geschäft loslöste. Die Unternehmung wuchs und wuchs und bald wurde sowohl das Labor als auch das Café zu klein, um alle Geschäfte abwickeln zu können. So kaufte man 1900 das Anwesen Casa Alta im kleinen Örtchen Sesto San Giovanni – heute ein Vorort von Mailand. Dort zog nicht nur die Familie ein, hier eröffnete man 1904 ein eigenes, völlig mechanisiertes Werk zur Herstellung der Liköre. Die fertigen Produkte wurden direkt vor Ort auf die Eisenbahn geladen und in alle Himmelsrichtungen geschickt. Campari war sprichwörtlich in aller Munde.
Die Stunde der Cocktails
Einen besonderen Beitrag zum Erfolg der Marke Campari hatte die sich entwickelnde Cocktailkunst. Mit der Prohibition in den USA schwappte eben jene Welle nach Europa über und brachte einen neuen Lebensstil mit sich. Diese US-amerikanische Erfindung verband sich vorzüglich mit der ursprünglich italienischen Aperitif-Kultur und schuf – auf einer neuen Ebene – Drinks für die Ewigkeit.
Einer jener berühmten Mischungen war der Milano-Torino – eine Rezeptur aus gleichen Teilen Vermouth aus Turin und Campari aus Mailand; auf Eis im Tumbler serviert und mit einer Orange garniert. Es waren vor allem amerikanische Touristen, welche dazu übergingen, diesen Drink ganz amerikanisch-modern mit Soda verlängert zu bestellen und so wurde in der Camperino Bar – welche 1915 eröffnet wurde – der Americano erfunden. Ein Getränk, welches für Campari so unendlich wichtig werden sollte – die Geschichte der perfekten Symbiose. Aus diesem Drink leitete sich in den 1920er Jahren dann der berühmte Negroni ab, der bis heute wie kein anderer Drink für Italien, für die Aperitif-Kultur, aber vor allem für den Bitterlikör Campari steht.
Lifestyle in Flaschen gefüllt
Doch nicht nur der Negroni sollte zu einer liquiden Instanz im Zeichen der verführerischen Röte des Camparis werden. 1932 entwickelte Davide Campari den berühmten Campari Soda. Ein Getränk, aufgegossen mit Soda ist zu dieser Zeit nicht sonderlich revolutionär, die Tatsache jedoch, dass es als fertige Mischung in einer Flasche zu kaufen ist schon. Bis heute wird Campari Soda in den berühmten 100ml Fläschchen verkauft, die selber schon ein Kunstwerk sind, wurden sie doch von Fortunato Depero entworfen, einem der berühmtesten Vertreter des italienischen Futurismus.
Kunst und Campari
Die ersten großen Momente der roten Bitterlikörs – die 1920er bis 1940er Jahre – fallen in die Zeit des Futurismus, jener künstlerischen Epoche, die – ausgehend von Italien – eine radikale Neugestaltung der Welt auf allen Ebenen fordert. So ambivalent und kritikwürdig die Futuristen und ihre moralischen als auch politischen Einstellungen gewesen waren, so sehr tragen sie eine Energie vor sich her, die – zumindest in den Anfangstagen – beeindruckend wirkt. Das begründende Manifest, welches am 20. Februar 1909 von Filippo Tommaso Marinetti veröffentlicht wurde beginnt mit „Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit“. Es ist ein Programm voller Ecken, Kanten, Expressionen und Extremen – vielleicht das passendste, womit man die Aromatik von Campari beschreiben kann.
Doch nicht nur in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts, dem Ausbruch aus dem alten Europa, gab es dieses verbindende Band zwischen der Marke Campari und der Kunst. Über alle Zeiten hinweg waren Künstler stets an der Seite der Marke – hatte man doch die Bedeutung von Marketing schnell verstand und noch viel wichtiger: verinnerlicht. Dies ist vor allem das Wirken von Davide Campari – welcher 1936 stirbt. Unter seiner Ägide wurde aus dem kleinen Café des Gründers Gaspare Campari der globale Konzern, den wir heute kennen: Davide Campari-Milano S.p.A., welcher heute über 4.000 Mitarbeiter in 190 Ländern beschäftigt.
Eine Rezeptur für die Ewigkeit?
Ahnen konnte Gaspare Campari dies wohl alles nicht, als er 1860 seinen Likör erstmal verkaufte, doch er schuf ein Produkt für die Ewigkeit. Und angeblich ist es bis heute sein ursprüngliches Rezept, nachdem Campari hergestellt wird. Einzig die Farbe wird seit 2006 nicht mehr durch Schildläuse realisiert, sondern durch Farbstoff erzeugt. Ob dem so ist – nun, darüber lässt sich streiten. Viele Liebhaber und Kenner merken an, dass Campari in den letzten Jahren etwas an Bitterkeit verloren zu haben scheint. Dies mag auch einer der Gründe sein, warum zum Beispiel Volker Seibert aus der berühmten Seiberts Bar in Köln auf alte Abfüllungen aus den 1970er Jahren schwört. Ihm zufolge sind es zwei Aspekte, in denen sich Unterschiede im Campari abzeichnen. Zum einen sind es die verschiedenen Alkoholstärken, in denen der rote Likör abgefüllt wurde, bzw. immer noch wird. Zwischen 20,5% Vol. und 30%vol. liegt mehr als nur eine Welt. Diese Differenzen lassen sich vor allem auf unterschiedliche Marktanforderungen zurückverfolgen. Neben dem Alkohol als Aromaträger sei es vor allem die Textur, so Volker Seibert weiter, die sich im Laufe der Zeit änderte. Die alten Abfüllungen seien in ihrem Auftreten einfach voluminöser und reicher im Geschmack und der Viskosität. Es steckt mehr Kraft dahinter und mehr Energie. Wer sich von alten Camparis begeistern lassen möchte, der sollte unbedingt die Bar im Friesenwall in Köln aufsuchen! Ein Besuch dort lohnt wirklich – vor allem ein Negroni mit 1970er Campari!
Es ist nicht viel bekannt über die tatsächliche Zusammensetzung – nur wenige Botanicals sind schriftlich zu finden. Darunter Rhabarber, Ginseng, Angelika, Enzian oder Kalmus. Berühmt ist darunter auch die Chinotto, eine jener Bitterorangen, die so typisch sind für die herben Aromen von Aperitif-Likören.
Was jedoch über alle Zeiten erhaben ist, ist die Besonderheit von Campari. Sei es in einem Negroni, einem Americano oder einfach auf Eis mit einer Scheibe Orange. Der bitter-süße Kuss dieser verführerischen Instanz der Bar ist keinesfalls etwas für jedermann. Es ist ein bisschen wie im italienischen Futurismus – es bedarf Mut, sich in Campari zu verlieben – hat man diesen jedoch irgendwann einmal aufgebracht, so ist es schnell um einen geschehen.