Dieses Firmenporträt erschien erstmalig auf spirit-ambassador.de und präsentiert eines der berühmtesten Champagnerhäuser der Welt. Es ist jedoch auch die Geschichte einer Familie, allen voran einer Frau, welche die Champagne beeinflusste und prägte wie wenige andere vor und nach Ihr. Es ist die Geschichte von Kriegen, Aufständen und harter Arbeit. Und dennoch ist es vor allem eine Liebesgeschichte – deren durchschnittliche Lesezeit ca. 12 Minuten dauert.
Porträts großer Menschen mit einem Zitat zu beginnen, erscheint zumeist einfältig und irgendwie inspirationslos. Ein Porträt des Hauses Bollinger jedoch lässt sich wohl kaum besser beginnen als mit eben jenen berühmten Worten, die die große Lily Bollinger einst in London auf die Frage antwortete, in welchen Situationen sie – eine der berühmtesten Frauen der Champagne – gerne Champagner trinkt:
Ich trinke Champagner, wenn ich froh bin, und wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich davon, wenn ich allein bin; und wenn ich Gesellschaft habe, dann darf er nicht fehlen. Wenn ich keinen Hunger habe, mache ich mir mit ihm Appetit, und wenn ich hungrig bin, lasse ich ihn mir schmecken. Sonst aber rühre ich ihn nicht an, außer wenn ich Durst habe.
Lily Bollinger
Diese geflügelten Worte sind nicht nur den meisten Genießern des Königs aller Weinen bekannt, sondern mittlerweile auch integraler Bestandteil der Philosophie der Maison Bollinger. Ein Haus, dessen blühende Geschichte getragen wird von Familienzusammenhalt, Loyalität und Verständnis für die Region und das Terroir. Eine Geschichte, die darauf fußt, dass Menschen Dinge aus Überzeugung tun und sich Ihrer Rolle bewusst sind. Eine – auch wenn besondere – Geschichte, wie sie vielleicht typisch ist für diese einzigartige Region im Nordosten Frankreichs. Ganz typisch für die Champagne.
Aÿ – ein Terroir voller Bedeutung, Geschichte und Qualitätsversprechen
Die Maison Bollinger befindet sich in der Stadt Aÿ, einem der berühmtesten Orte der Champagne – nordöstlich von Épernay gelegen in einem von Kalk geprägten, leicht hügeligen Gelände, welches für einige Kritiker der vielleicht beste Boden der gesamten Champagne ist. Peter Liem bringt es in seinem neuestem Übersichtswerk „Champagne – The essential guide to the wines, producers and terroirs of the iconic region“ auf den Punkt, wenn er sagt: „If Aÿ were in Burgundy, it would be Vosne-Romanée“ (p. 144.). Diese ausgesprochene Qualität ist schon seit etlichen Jahrhunderten bekannt und weit vor der großen Zeit von Hautvillers und seinem bedeutendsten Mönch Pierre Perignon, vor dem Glanz von Avize oder Bouzy hat man hier Weine gemacht – Stillweine natürlich – die in der damaligen Welt berühmt und geschätzt waren. Aÿ war das Herz der Region und so bedeutsam wie es später die Hauptstadt der Champagne – Reims – einmal werden sollte. Zu den Verehrern dieser Weine gehörten neben Papst Urban II – für den hier der beste Wein der Welt gekeltert wurde – auch König Heinrich IV von Frankreich oder König Henry VIII aus England.
Den Hauptteil der Weine aus Aÿ macht dabei Pinot Noir aus, der mit rund 65% Rebfläche deutlich über Chardonnay (19%) und Pinot Meunier (16%) dominiert. Dies liegt an der recht südlichen Lage für die Verhältnisse der Champagne und damit gibt es hier einige wenige Sonnenstunden mehr. Kein extremer Anstieg, aber doch soviel, dass die größte Diva unter allen Rebsorten – Pinot Noir – immer ein bisschen besser ausreifen kann als zum Beispiel in den nördlichen Bergen von Reims. Und dazu darf man nicht vergessen, dass das Burgund nicht allzu weit entfernt liegt. Diese Weine wurden frühzeitig getrunken, gehandelt und geschätzt.
Die Nähe zum Burgund ist nicht nur önologisch spannend, sondern auch historisch – schließlich stritten sich beide Regionen über Jahrhunderte um die Gunst des französischen Adels. Was die Stillweine betrifft, so hat sich das Burgund heute durchgesetzt – die Teufelsbläschen im Wein der Champenois haben dafür gesorgt, dass beide Regionen sich ihr Spezialgebiet schufen und damit wurde ein schier ewiger Streit beendet. Wobei auch heute noch Stillweine in der Champagne erzeugt werden. Diese Coteaux Champenois sind äußerst selten, aber bei Bollinger produziert man diesen stillen Pinot Noir Wein bis heute – auch wenn er schwer zu bekommen ist. Doch soll an dieser Stelle der schäumende Champagner die Geschichte begleiten.
Über französische Adlige, amerikanische Kriege und zu viel Stolz
Dom Perignon war noch lange nicht geboren und Champagner tatsächlich noch ein Stillwein, als die Familie Hennequin aus Flandern in die Region zog. Dies war um 1359. Die Namensähnlichkeit zu Heinecken und dem heute bekannten Bier ist dabei eine reine Zufälligkeit. Es vergingen Generationen und die Familie erarbeitete sich den Status von Edelleuten, in Hautvillers hatte man erfolglos gegen die Bläschen im Wein gearbeitet und Champagner wurde als Schaumwein langsam populär, als Althanase Louis Emmanuel de Villermont am 09. April 1763 geboren wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war die Familie schon im Besitz einiger Weinberge im Marne-Tal und um Aÿ. Der Junge Louis wird Marinesoldat und sein Drang die Welt zu sehen trieb ihn in die Flotte der amerikanischen Marine unter George Washington. An seiner Seite kämpfte er als französischer Monarchist gegen die Briten. Doch dieser Kampf sollte erst der Beginn einer militärischen Karriere auf vielen Seiten sein. Mit dem Beginn der französischen Revolution – der er wahrscheinlich zum Opfer gefallen wäre – kämpfte er erst als Artillerie-Soldat gegen die Revolutionsgarden um später Mitglied der russischen Marine zu werden.
Es sollte knapp 20 Jahre dauern, bis er Frankreich als sicher genug empfand und zurückkam. Die Weinberge waren wundersamer Weise noch in Familienbesitz und Aÿ hatte den 1814er Krieg zwischen den Russen und Napoleon unzerstört überstanden. Auch, weil wie Louis Villermont viele Franzosen auf russischer Seite kämpften. Schon dies war ein bedeutsamer Grund, warum später einmal das Haus Bollinger so viel für die Region bedeuten wird. Nach der Verbannung von Napoleon auf die Insel Elba und mit der Restaurierung der Bourbonen stieg der Stern des Monarchisten wieder auf und er wurde zum Govenor des Marine-Colleges in Angoulême ernannt – kehrte jedoch alsbald in seine geliebte Champagne zurück, um sich dem Wein zu widmen.
Schnell betrieb er wieder Handel und schickte – durch seine militärische Reisevergangenheit – Stillweine als aber auch Schaumweine unter anderem auf die Kanalinseln Jersey und Guernsey. Es hätte ein guter Auftakt für einen großen Namen im Weinhandel sein können, wenn es nicht der Familie ein Dorn im Auge gewesen wäre, dass ihr berühmter, royalistischer Name auf profanen Weinetiketten stünde. An dieser Stelle beginnt die zweite Geschichte der Maison Bollinger.
Über einen Deutschen, der Franzose wurde
Joseph Jacob Placide Bollinger wurde im Jahre 1803 im damals noch unabhängigen Kurfürstentum Württemberg als Sohn eines Verwaltungsbeamten geboren. Im jungen Alter von gerade einmal 19 Jahren beschloss er 1822 sein Geld mit dem Handel von Weinen zu verdienen und zog dafür nach Frankreich. Dort begann er für Antoin Muller zu arbeiten, der sich erst kurz zuvor selbständig gemacht hatte, nachdem er für Veuve Clicquot gearbeitet hatte. Nach seiner Heirat mit einer Frau aus dem Hause Ruinart gründete er Muller-Ruinart, für das nunmehr der junge Jacob Bollinger als Repräsentant in Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover sowie den Niederlanden zuständig wurde.
[vielen Dank an Klaus Rothschuh für zwei Hinweise bzgl. des familiären Hintergrunds von Joseph Bollinger]
Es gibt keine wirkliche Erklärung dafür, wie Bollinger und de Villermont sich begegneten und kennenlernten – man darf nicht vergessen, dass die Champagne in Bezug auf den Austausch so etwas wie ein Dorf ist; aber scheinbar verstanden sich beide Männer prächtig und teilten ein gemeinsames Ziel: Champagner zu produzieren. In dem jungen Deutschen sah Louis Villermont die Chance, seine Firma zu expandieren – schließlich hatte sich Bollinger durch seine Repräsentantenarbeit ein gutes Netzwerk geschaffen. Nur sieben Jahre nach seinem Einstieg in die Welt der Weine wurde Jacob Bollinger, zusammen mit Paul Renaudin und Louis de Villermont Partner einer neugegründeten Weinfirma, auf deren Etiketten nunmehr Bollinger & Renaudin zu lesen war.
Der Name Villermont wurde elegant aus diesem Geschäft herausgehalten, auch wenn man davon ausgehen kann, dass dahinter das größte Investment stand. Paul Renaudin verabschiedete sich jedoch schnell aus der aktiven Partnerschaft, Doch noch bis in die 1960er Jahre wurde der Wein als Bollinger & Renaudin verkauft. Dennoch war dies der Beginn einer wahrhaftigen Zweier-Dynastie, denn nicht nur geschäftlich verstand man sich gut. Nur acht Jahre nach der Partnerschaft im Geschäftlichen heiratete 1837 der 34jährige Jacob Bollinger die 14 Jahre jüngere Louise-Charlotte de Villermont – die Tochter des nunmehr ernannten Admiral Comte de Villermont. Ab der folgenden Generation sollten die Nachfahren Jacobs – nunmehr Jaques Joseph Bollinger – eine französische Familie sein.
Doch bevor die Geschichte der Familie einen weiteren wichtigen Lauf nehmen soll und um eine der berühmtesten Frauen der Champagner erweitert wird, sind es schwere Zeiten für Weinbauern und Händler in der Champagne, in Frankreich – ja in ganz Europa.
Reblaus, Weinverschnitt und Aufstände
Während Ende des 19. Jahrhunderts die meisten französischen Weinbaugebiete von der Reblaus befallen und zerstört waren, dauerte es in der so weit nördlich gelegenen Champagne länger, bis der Befall Wirkung zeigte. Waren es 1892 erst rund 2 ha Land die dem aus den USA eingewanderten Insekt zum Opfer fielen, waren es 1910 schon ganze 6.500 ha Weinberge. Dazu kamen die verheerenden Folgen des ersten Weltkriegs, wo die Champagne einen der größten und längsten Kriegsschauplätze bildete. Die Reben der Champagne litten, doch der Ruf des Weines wurde größer und größer. Für viele Winzer war die Reblaus und schlechte Ernten in den Jahren 1907 und 1908 eine Katastrophe. Für die Weinproduzenten gab es einen einfachen und vor allem auch günstigeren Ausweg: sie importierten Wein aus den südlichen Gebieten und verarbeiteten diesen zu Champagne – damals gab es das A.O.C. noch nicht und die Trauben konnten theoretisch aus anderen Gebieten stammen.
In einer solch stolzen und von harter Arbeit geprägten Region eigentlich unvorstellbar, entschlossen sich vor allem viele neue Handelshäuser dazu, diese Situation auszunutzen und Gewinne zu erzielen. Dies führte zu erheblichem Frust auf Seiten der Weinbauern und dieser entlud sich am 17.01.1911 im Zuge der sogenannten Champagne Riots. Über diese wird an gesonderter Stelle genauer berichtet, wenn es um die Geschichte des größten aller Weine gehen wird.
Einzig und allein eine kleine Besonderheit sei dazu erwähnt. Während viele Weinhäuser – zu recht aber teilweise auch zu unrecht – mit dem Wut der Weinbauern konfrontiert wurden, ließ man die Maison Bollinger unangetastet. Zu viel Respekt hatte man vor diesem Haus – schon damals war Bollinger eine Instanz, verbunden mit der Region und den Menschen. Terroir ist halt mehr als ein PR-Schlagwort.
Schottische Wurzeln einer großen Dame
Ein letzter wichtiger Teil – vielleicht sogar der Berühmteste der Saga dieser Champagnerfamilie wurde am 01. Oktober 1899 in Schottland unter dem Namen Elisabeth Law de Lauriston-Boubers geboren. Als Nachfahrin des berühmten Abenteurers und Händlers John Law de Lauriston, welcher die Compagnie des Indes gründete, war sie schon durch ihre Geburt in höheren Gesellschaftsschichten daheim.
Ihren weltberühmten Spitznamen Lily hatte sie schon in jungen Jahren bekommen, aber dieser war nur innerhalb der Familie bekannt. Die Öffentlichkeit und die Angestellten nannten sie stets voller Respekt Madame Jaques, war sie doch die Frau des Firmenvorstands, nachdem 1918 der Vater von Jaques Bollinger – dem Enkel des Firmengründers – starb. Für die Öffentlichkeit stand sie stets hinter Ihrem Mann, für ihn war sie stets Frau, Partner und Beraterin in einem.
Der Krieg, die Deutschen und wieder eine Witwe
Stets war Lily Bollinger an den Entscheidungen ihres Mannes beteiligt – hinsichtlich der Firma aber auch in Bezug auf die Herstellung der Weine. Es waren schwierige Zeiten und eine Verbündete im Schaffen war Jaques sehr wichtig. Es herrschte wieder einmal Krieg in der Champagne – in Europa und der ganzen Welt. Als Jaques Bollinger am Anfang des zweiten Weltkrieges in die französische Luftwaffe einberufen wird, ahnt er Schlimmstes. Doch auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes wird er schon im Dezember 1939 wieder entlassen und kehr dienstuntauglich in seine Heimat zurück. Als die Deutschen Aÿ und die Champagne besetzten, war er Bürgermeister und blieb dies bis zu seinem frühen Tode 1941. Lily Bollinger soll einmal gesagt haben, dass er an Krankheit, aber noch viel mehr an der Besetzung gestorben sei. Viele Menschen der Champagne gingen in die Resistance, auch aus der Familie Bollinger. Für Lily war dies keine Option. So sehr wie sie Kollaborateure verachtete, so pragmatisch wusste sie, dass sie eine Firma zu leiten hatte. Ihr blieb keine Zeit für große Heldentaten, aber im Kleinen tat sie das, was ihr möglich war. So kümmerte sie sich um Verletzte – ob Freunde, Nachbarn oder Fremde während der alliierten Bombardements am 11. August 1944 und rettete vielen Menschen im Schutze ihrer Weinkeller das Leben.
Der Lehrmeister und seine Frau – die Ursprünge eines traditionell-konservativen Weinstils
Ihr Hauptaugenmerk als Firmenvorsitzende lag ganz deutlich auf den Weinen und dabei waren ihr die Weinberge besonders wichtig. Sie war stets erpicht darauf, alle Dinge, um den Weinanbau und die Weinbereitung zu verstehen und zu lernen. Mit Hilfe der Erfahrung ihres verstorbenen Mannes; durch Dinge, die Ihr die Menschen erzählten und dank eines fleißigen, autodidaktischen Studiums eignete sich Madame Bollinger alles an, was man zur Herstellung von Champagner wissen konnte. Diesem handwerklichen Hintergrund ist es zu verdanken, dass Bollinger eine äußerst konservative Stilistik aufwies- und zum Teil heute noch abbildet. Handwerklich wusste Lily Bollinger einen Champagner zu produzieren, doch war sie wenig flexibel was Stilistik anbelangt. Stets wurde der Wein genauso gemacht, wie sie es gelernt hatte.
Eine Familienbande
Unterstützung fand sie dabei vor allem in Yves Moret de Rochepriest, einem Cousin von Jaques Bollinger, welcher als Direktor für die Weinberge verantwortlich war. Mit seinem Tod im Jahr 1973 starb der letzte Bollinger direkter Abstammung, gab es doch zwischen Lily und Jaques niemals Nachwuchs. Und dennoch sollte die Familie Bollinger weiter die Geschicke der Firma leiten, hatte Madame Jaques doch 19 Nichten und Neffen.
Als Lily Bollinger selber 1971 von der Präsidentschaft der Firma zurücktrat – und bald darauf starb; übernahm Claude d’Hautefeuille, ein eingeheirateter Neffe als Generaldirektor die Führung. Er arbeitete schon seit 1950 für die Unternehmung und besaß das volle Vertrauen. Lily war zu diesem Zeitpunkt schon längst eine Berühmtheit der Weinwelt, konnte sie mit ihrem Charme doch viele bezaubern und war eine globale Botschafterin nicht nur ihres Weines, sondern der ganzen Champagne. Unnachahmlich ihr Ausspruch, den sie 1961 in London formulierte, zu welchem Moment sie Champagner trinken würde. Ein Zitat – diesem Porträt vorangestellt – für die Ewigkeit. Claude blieb bis 1978 Generaldirektor und ebnete den Weg für eine große und vor allem moderne Zukunft des Champagnergeschäfts der Familie. Doch vieles gelang vor allem durch die Grand Dame des Hauses. Ihre Eleganz verhalf der Marke zu Aufmerksamkeit und Prestige. Schon 1956 wurde Bollinger ein Denkmal gesetzt, als Ian Fleming seinen Helden James Bond ausschließlich den Champagner des Hauses aus Aÿ trinken ließ.
Moderne Zeiten und konservative Weine
Sie war eine bedeutsame und große Frau, konnte auf dem Parket der Öffentlichkeit tanzen, aber war stets auch verbunden mit den Menschen, die mit und für sie arbeiteten. Stets wird sie als diejenige Frau in Erinnerung bleiben, die die Weinberge der Familie Bollinger allesamt mit dem Rad abfuhr. Geboren in Schottland wurde sie zu einer Champenoise und blieb ihren Nachfolgern nach ihrem Tode im Jahr 1971 immer ein mahnendes Vermächtnis! Ein Vermächtnis bekennend zur Champagne, zum Wein und den Menschen.
Ab 1978 wurde mit dieser Aufgabe Christian Bizot als Chef der Firma betraut, der dem geebneten Weg von Claude d’Hautefeuille folgte. Er selbst war auch ein Neffe von Lily Bollinger und war sich der Verantwortung für das Familienimperiums bewusst. Zumal auch große Erwartungen auf Seiten der Kundschaft gelegt wurde, denn das prestigeversprechende Siegel, englischer Hoflieferant zu sein – welches man schon 1884 bekam – verpflichtet zu einer gewissen Tradition. Als Prince Charles damals vor seiner Hochzeit mit Diana seinen Jungesellenabschied feierte, war es Champagner aus dem Hause Bollinger, welcher ausgeschenkt wurde. Schließlich geht es bei Champagner immer um Stil und Persönlichkeit – in Bezug auf Genuss, aber auch wenn es um die Produktion geht.
Nach Christian Bizot wurde 1994 Ghislain de Montgolfier zum Vorsitzenden der Firma gewählt und als Ur-Ur-Enkel des Firmengründers Jacob Bollingers ist er der letzte Bollinger an der Spitze der Firma. Ihm folgte 2008 Jerome Phillipon. Doch in Aÿ, in der Maison Bollinger ist man sich auch heute noch bewusst, wie wichtig Geschichte, Tradition und Vertrauen in Stil und Qualität ist. Und dieses savoir faire schmeckt man mit jedem Schluck Bollinger.
If a maker’s his own boss, then both style and image are safe
cyril ray: Bollinger, S. 76
Savoir faire
Alter Traditionen folgend geht man bei Bollinger auch heute der Philosophie nach, dass der beste Champagner ein balancierter ist und somit ein Blend aus vielen verschiedenen einzelnen Lagen, wobei die Trauben aus Aÿ, den Montagne de Reims und der Côte de Blancs kommen. Wie die Weinberge um Aÿ ist auch die Struktur der Weinberge von Bollinger mit einem Anteil von 60% durch Pinot Noir dominiert – wie im Übrigen auch im Special Cuvée. Vor allem in Aÿ, Avenay und Verzeney wachsen die bedeutenden Lagen des Pinot Noir. Der Chardonnay kommt aus Cuis und der Pinot Meunier vorwiegend aus Champvoisy. Eine besondere Erwähnung verdienen die beiden Lagen Clos Saint-Jacques (1/3 ha) und Chaudes Terre (1/6 ha), denn hier wachsen noch Rebstöcke, welche die Phyloxera-Plage überstanden haben. Aus den Weinen dieser Lagen – 100% Pinot Noir – wird der Bollinger Vielles Vignes Français Cuvée kreiert, ein Meisterstück der Winzerkunst.
Man gibt den Weinbergen – aktuell 165 eigene Hektar, wovon die meisten Premier Crus oder Grand Cru sind, eine besondere Bedeutung, indem man bei Bollinger die Lagen einzeln vinifiziert und erst später assembliert. Mittlerweile arbeitet man sogar versuchsweise auf 4 ha strikt organisch, das heißt ohne Herbizide, Dünger etc. und nur durch Begleitflora und umweltbewusstes Arbeiten. Das Ziel ist immer ein ausgewogener Champagner – ganz im Sinne der klassischen Champagner-Tradition. Schließlich ist nicht jedes Jahr mit der Qualität für Vintage-Weine gesegnet, aber jedes Jahr muss ein Wein gemacht werden.
Um eine gleichbleibende Qualität zu gewährleisten, spielen die Reserveweine bei Bollinger eine große Rolle. Auch und vor allem in der Art und Weise, wie man mit ihnen umgeht – lagern diese doch sämtlich nicht in Fässern oder Tanks, sondern in einer von 700.000 Magnumflaschen. Eine einmalige Situation in der Champagne.
A short trouble at the top
Verantwortlich für die Herstellung der Weine, die viele mit denen von Krug vergleichen, ist nunmehr Gilles Descôtes. Vor ihm übernahm dies Mathieu Kauffmann, welcher seit 2001 im Winemaker-Team war und ab 2004 chef de cave wurde. Ihm verdanken wir die erste non-vintage Rosé Cuvée von Bollinger aus dem Jahre 2007, denn eigentlich war Lily der Meinung, dass ein Rosé-Champagner nur vintage sein kann. Kauffmann belehrt uns eines Besseren. Viele verwunderte es, dass er 2013 sein Engagement aufkündigte und hinter vorgehaltener Hand munkelt man, dass es zu schweren Zerwürfnissen zwischen Jerome Phillipon und ihm gekommen sei. Für einen namenhaften deutschen Sektkeller sollte dies ein glücklicher Zufall sein, Madame Bollinger hingegen wäre wohl weniger begeistert, dass solche Zerwürfnisse das Bild von Bollinger touchieren.
Mittlerweile ist es ruhig um solche Vermutungen geworden. Und der Champagner der Maison Bollinger überzeugt wie eh und je mit einer unglaublichen Tiefe und Komplexität. Schließlich ist die Geschichte der Champagne immer schon geprägt von unruhigen Zeiten, doch stets war es der unbändige Wille und die harte Arbeit der Champenoise, die am Ende dafür sorgten, dass alles gut wird. Man fühlt sich seiner Tradition, dem Land, den Leuten und der Geschichte verbunden – genauso wie dem Wein. Und das merkt man bei jedem einzelnen Schluck Bollinger. Einem Wein, bei dem ein befreundeter Barkollege aus Hamburg stets charmant-süffisant im jugendlichen Slang zu sagen pflegt:
Bolly geht immer!
MArian Gadzewski, Bar Le Lion Hamburg