In diesem Artikel erfährst Du alles über die Geschichte und die Rezeptur des wohl berühmtesten Cognac-Cocktails der Welt: dem Sidecar. Begleite diesen Drink von den USA über Frankreich nach London und finde eine perfekte Rezeptur. Erstmals auf spirit-ambassador.de erschienen, hat dieser Beitrag eine Lesedauer von ungefähr 6 Minuten.
In vergangenen Tagen galt die liquide Bühne einem Drink, auf welchen man heute den Gast eher hinweisen muss. Ein Drink, dessen Rezepturen mindestens genauso vielseitig sind wie die Geschichten seiner Entstehung. Eines jedoch ist über nun knapp 100 Jahre geblieben: am Ende ist der Sidecar einer der vielleicht elegantesten und beeindruckendsten Drinks der Barwelt. Und dazu auf den ersten Blick unglaublich simpel, handelt es sich doch um eine Mischung aus Brandy, Orangenlikör und Zitrone. Doch so einfach soll dies alles gar nicht sein.
Zwischen Europa und Amerika
Die Geschichte des Sidecars – wie auch sein Name – ist seit jeher eine umstrittene Frage der Schule und der Herkunft des Erzählenden. Dabei ist nicht nur die Struktur des Drinks vielfältig, auch seine Herkunft in Bezug auf ursprüngliche, bzw. verwandte Drinks. Handelt es sich nun also eher um einen modifizierten Sour oder eine Daisy – ähnlich wie wir es bei der Margarita finden, oder liegt die Basis in einem mindestens ebenso alten Drink: dem Brandy Crusta. Die Antworten – eigentlich jedoch nur noch mehr Fragen- finden sich in einigen der populärsten Barbücher vergangener Tage. Selten haben so viele Persönlichkeiten an einem Drink gearbeitet und sich seiner Herkunft verschrieben. David Embury, Harry McElhone und Robert Vermeire – Berühmtheiten ihrer Tage und noch heute liquide Instanzen für die Geschichte von Drinks. Ihre große Zeit hatten Sie alle im anfänglichen 20. Jahrhundert – vor allem nach Ende des 1. Weltkrieges, als sich die Welt von Chaos und Gewalt erholen musste und die Städte – vor allem Paris und London – wahre Konsumzentren waren. Hier traf sich nicht nur die Welt, hier wurde auch gefeiert und getrunken – so international wie es nur ging.
this cocktail is very popular in France. It was first introduced in London by McGarry, the celebrated bartender of Bucks Club
Robert Vermeire
Tief im Süden – die amerikanischen Wurzeln
Doch bevor die alkoholischen Sternstunden europäischer Metropolen begannen, war das Thema Cocktail eine sehr amerikanische Veranstaltung. Und so verwundert es auch nicht, dass einige berühmte Historiker – allen voran David Wondrich – die Geschichte jenes Sidecars beginnen mit einer amerikanischen Instanz, deren Wurzeln jedoch auch wieder weit verzweigt sind: dem Crusta.
Diesen Klassiker verdanken wir einem italienischen Barmann namens Joseph Santini, welcher um 1850 in New Orleans begann, seine Drinks zu kredenzen. Für einen – so Wondrich – müssen wir ihm besonders dankbar sein, denn mit seinem Crusta hielt frischer Zitronensaft Einzug in die Welt gemixter Getränke. Wobei hier anzumerken sei, dass im gleichen Zeitraum weit im Norden auch erstmalig ein Whiskey Sour gemixt wurde, der bekanntlich auch nicht ohne Zitronensaft auskommt. Von daher ließe sich die Abstammungs-Geschichte des Sidecars auch noch um diesen Drink erweitern. Die Crusta-Story jedoch erscheint naheliegender, da hier schon sehr zeitig mit Orange Curaçao gearbeitet wurde. Jerry Thomas übernimmt diesen Drink mit der Rezeptur
- 1 Teelöffel gum syrup
- 2 dashes Bitters
- 60ml Brandy
- 1/2 Teelöffel Orange Curacao
- 1 Teelöffel Zitronensaft
Das Ganze servierte man damals, aber auch noch heute in einem kleinen Weinglas mit Zuckerrand – dieser wird uns später noch beschäftigen – und Zitronenzeste. Der Unterschied zu einem Sour ist hierbei mehr nomenklatorisch. Während ein Crusta im klassischen Sinne ein Cocktail (Spirituose, Bitters, Zucker und Wasser) ist, ist ein Sour halt ein Sour und eigentlich kein Cocktail im engeren Sinne. Diese Unterscheidung jedoch ist zuweilen irreführend – für den Sidecar jedoch in seiner DNA wichtig. Spannend an dem Crusta-Rezept ist vor allem die Aufteilung zwischen süßen und sauren Komponenten im Verhältnis zur Spirituose. Auch diesen Punkt werden wir später genauer betrachten.
Europa zwischen den Kriegen
Eine andere – wenn gleich auch nicht so tief theoretische Erzählung liegt im Wechselspiel zwischen London und Paris. Eine der berühmtesten Erwähnung findet sich im 1948 erschienen Buch „The fine Art of Mixing Drinks“ von David Embury. Er schreibt dort über den Sidecar: „It was invented by a friend of mine at a bar in Paris during World War 1 and was named after the motorcycle sidecar in which the captain customarily was driven to and from the little bistro the drink was born“. Man geht davon aus, dass damit ein gewisser Harry MacElhone gemeint sein wird, der ab 1923 Barbetreiber der berühmten Harry’s New York Bar in Paris war. Wobei hier die Daten etwas unpassend sind, da Harry erst nach dem Krieg aus London nach Paris kam. Er selbst – Harry MacElhone – verweist bei der Entstehung des Sidecars nach London. Dort soll es Pat McGarry gewesen sein, der diesen Drink im damals berühmten Buck’s Club mixte und von dem er diesen Drink hat. Eine genauere Bestimmung bezüglich Ort und Zeit jedoch erfahren wir nie und diese Quellen-Ungenauigkeit wird durch Robert Vermeire komplettiert, welcher 1922 in seinem „Cocktails and how to mix them“ über den Sidecar aussagt „this cocktail is very popular in France. It was first introduced in London by McGarry, the celebrated bartender of Bucks Club“. Zumindest ziehen sich die Kreise enger um jenen Pat McGarry und seine Bar im 1919 gegründeten Gentlemen’s Club, welcher sich noch heute in der Clifford Street befindet.
French School vs. English School und eine Prise Daiquiri
Die wohl populärste Rezeptur des Sidecars ist wahrscheinlich auch seine ursprünglichste – wenn man die grundlegende DNA-Spurensuche mal vergisst – und findet sich bis heute überall auf der Welt. Alle drei Ingredienzien – Cognac, Orangenlikör und Zitrone werden zu gleichen Teilen vermixt. So findet es sich bei MacElhone und auch bei Vermeire. Diese Variante ist bekannt als die french school und erzeugt einen – nun, einen sehr frischen und säure-betonten Sidecar. Grundsätzlich jedoch ist diese Rezeptur nicht zu empfehlen, da sie äußerst unausgeglichen wirkt, was natürlich auch am Stilwandel des Cognacs liegen kann. War dieser in früheren Tagen deutlich robuster und voluminöser als die frucht-fokussierten und eher filigranen Brände unserer Zeit. Hier wird auch der europäischen Drink-Geschichte die Nähe zur Daisy gerecht, welche eine deutlich auf der sauren Seite befindliche Kategorie ist.
Im Laufe der Zeit und spätestens mit dem berühmten Savoy Cocktail Book von Harry Craddock wurde die sogenannte english school deutlich populärer, bei der der Anteil des Cognacs verdoppelt wurde und die Grundstruktur nun 2:1:1 gemixt wurde. Dies erzeugt einen deutlich komplexeren und Cognac-lastigeren Drink, bei dem die Spirituose die Bedeutungshoheit gewinnt.
Als herausstechend zu erwähnen ist die Rezeptur von Mr. Embury, welcher von sich aus eher auf einen Daiquiri in der Entwicklung verweist, mixte er doch seinen Sidecar mit 2 Teilen Cognac, 1/2 Teil Süße und 1/4 Teil Säure. Dieser Stil erscheint enorm trocken und ist ein Variante für Fortgeschrittene. Die verlässlichste Basisvariante stellt wohl die englische Ausprägung von Harry Craddock dar, findet sie doch auch Eingang in eine der berühmtesten Barbibeln der Neuzeit: „American Bar“ von Charles Schuhmann. Und an dieser Stelle ist die Strukturnähe zum Crusta schon deutlich zu erkennen.
Brandy, Cognac und die Süße
Während die Qualität der Zitronen wenig zur Disposition steht, lassen sich viele Gedanken über die Spirituose und auch die Zuckerquelle anstellen. Ob man nun Brandy oder Cognac nimmt, diese Frage muss schlussendlich wohl jeder für sich selbst klären. Fest steht, dass die Vielseitigkeit des Brandys deutlich mehr Anpassung bedarf als die des Cognacs, da sich hier die Stile schon etwas annähern. Körperbetonte Ausprägungen wie Remy Martin VSOP oder jener von Otard produzieren etwas robustere Drinks, während filigrane Brände wie der Hennessy Fine de Cognac oder ein Courvoisier deutlich verspielter wirken und dementsprechend anders mit der Wucht frischer Zitronensäure umgehen. Ein besser oder schlechter gibt es nicht, nur ein anders.
Auch die Wahl der Süßequelle ist von gesteigerter Wichtigkeit, da das Feld der Orangenliköre doch sehr weit ist. Verbleibt man bei der Interpretation auf Basis des Crustas, so sollte es zwingend ein Orangen Curaçao trockeneren Stils sein – Ferrand Dry Curaçao zum Beispiel oder der weltberühmte Cointreau. Möchte man eine etwas breitere Stilistik, so eignet sich Grand Marnier hervorragend. Je nach Wahl sollte man die Verhältnisse anpassen und vielmehr das Endergebnis im Auge behalten als eine fixe Rezeptur.
Zwischen Tradition und Disco
Einen letzten Aspekt bringt der Verweis auf den Crusta mit sich: der Zuckerrand. Ist er für den New Orleans Klassiker von immanenter Bedeutung, so wirkt er für die meisten Süße-Säure Drinks aus heutiger Perspektive eher wie ein Überbleibsel der gruseligen 1970er Jahre Disco-Drink-Ära. Und dennoch gab es schon 1934 einige Bartender, die einen Teil des Zuckers im Drink über jenen Rand am Glas realisierten und auch heute wird dies vor allem in den amerikanischen Bars gerne dargeboten.
Einen besonders spannenden Aspekt verarbeitet Jim Meehan – Betreiber des berühmten PDT in New York und Autor des vielleicht besten Barbuches des Jahres und der neuen Leitbibel für die Szene – in dem er die Zuckerquelle aufsplittet und neben Cointreau auch etwas Zuckersirup dem Drink beimischt. Dabei bringt er nicht nur eine stabilere Süße hinein, sondern verändert auch die Textur hin zu einem deutlich volumigeren Drink. An dieser Stelle gehen wir noch einen Schritt weiter und tauschen den Zuckersirup gegen Gomme Sirup aus – einen Zucker, welcher mit Orangenblüten und gummi arabicum angereichert ist; welcher eine noch überzeugendere Textur in den Drink bringt.
Rezeptur
- 40ml Remy Martin 1738 Accord Royal
- 15ml frischer Zitronensaft
- 10ml Cointreau
- 5ml Sirop de Gomme
Alles gut auf Eis shaken und in eine vorgekühlte Coupette fine-strainen. Mit einer Zitronenzeste aromatisieren und garnieren.