Sowohl den Helden des Buches als auch den Autoren muss man dem geneigten Trinker von seriösen Drinks und Spirituosen nicht mehr vorstellen. Wenn Gary Regan über den Negroni schreibt, dann haben viele direkt fingergerührte, rote Drinks im Kopf und das verschmitzte Lächeln des leider schon 2019 verstorbenen Autors und Bartenders Gary „Gaz“ Regan. In den nächsten 3 Minuten erfährst Du hier, warum dieses Buch in jede liquide Büchersammlung gehört.
Ein Buch, das man lesen muss
Drinking La Dolce Vita, with recipes & lore – dieser Untertitel beschreibt verlockend und äußerst treffend das, was den geneigten Leser auf den etwas mehr als 150 Seiten erwartet. Selbst unter der Annahme, man würde noch nie im Leben den Namen Negroni gehört haben und noch nie in den Genuss dieser bitter-eleganten Kombination von Gin, Campari und rotem Vermouth gekommen sein – selbst dann ist man mit den ersten Zeilen gefangen. Denn eines obliegt Gary Regan nicht: eine langweilige und pingelige Geschichte anhand von Zahlen zu konstruieren.
Der Mann, der in England in Pubs groß wurde, schafft es mit seiner unnachahmlichen, schroffen Attitüde eine Welt zu öffnen, in der Snobismus und Etepetete keine Rolle spielen. Auch wenn der Negroni eine wahrlich aristokratische Geschichte zu erzählen hat.
In diesem Artikel soll es im Übrigen nicht um die Geschichte des Negronis gehen, denn die haben wir hier für Dich schon erzählt.
Über den klassischen Negroni
Im Vorwort des Buches, geschrieben von Robert Simonson (Autor von u.a. Modern Classic Cocktails und Old Fashioned) findet sich eine Formulierung, die wohl nie besser passte als in einem Buch von Gaz Regan:
he Negroni is a democracy
Robert Simonson, in: Gary Regan – The Negroni
Der Bezug auf die Balance der drei klassischen Ingredienzien lässt sich in Windeseile erweitern auf die Art und Weise wo und wie überall auf der Welt Negroni getrunken wird. Spätestens nach der kurzweiligen Lektüre des Buches wird nämlich klar, dass die heilige Trilogie von Gin, Campari und Vermouth nicht in Stein gemeißelt ist. Vor allem dann nicht, wenn Gaz Regan mitzureden hatte.
Wichtig war und ist nur, dass der Negroni eine bittere Note hat. Im besten Sinne des Wortes. Und da ihm Drinks wichtiger waren als großes Getue, darum beläuft sich der Geschichtsteil auf keine 30 Seiten. Im Übrigen sind diese mit wunderbaren Bildern gespickt, wie das gesamte Buch.
Von klassischen Negroni-Rezepturen
Den Hauptteil des Buches bilden die verschiedenen Rezepturen und Twists auf den wohl beliebtesten Drink aller Bartender. Dabei ist die vorgenommene Aufteilung der Rezepte u.a. in The classic Negronis und The new Negronis sehr klug gewählt.
Unter der Rubrik The classic Negronis findet man die Welt jener Drinks, die mit und um den Negroni entstanden sind und seine eigene Geschichte prägten. Torino Milano und Milano-Torino (und ja, diese Unterscheidung ist interessant), der ursprüngliche Americano bis hin zu der Grundrezeptur eines Negronis in gleichen Teilen. Natürlich darf auch der Negroni Sbagliato mit Schaumwein nicht fehlen. Auch die aromatische Nähe zum Boulevardier wird dargestellt, wobei diese einzigartige Beziehung eine nähere und vor allem tiefere Betrachtung verlangt.
Hinein in eine neue Welt
Aufregend sind die Rezepturen unter der Rubrik The new Negronis! Während ein mittlerweile doch recht bekannter White Negroni den Anfang macht (Plymouth Gin, trockener Vermouth und Suze) finden sich auf den folgenden Seiten wirklich spezielle und spektakuläre Twists.
Von French 75 Abwandlungen über vielerlei Gin-basierte Rezepturen bis hin zu Adaptionen mit Whiskey, Mezcal oder Rum. Hier wird deutlich, was mein geschätzter Kollege und Freund Alexander Albrecht (aus der Downtown Bar in Potsdam) einmal sagte:
„Ich bin auf der Suche nach der Spirituose, mit der ein Negroni nicht funktioniert und ich habe sie nach vielen Jahren noch immer nicht gefunden.“
Alexander Albrecht, Downtown Bar Potsdam
Es ist jedoch nicht nur die Basis-Spirituose (also der Gin), der häufig ersetzt wird. Das Buch von Gary Regan macht auch dadurch soviel Freude, weil man als geneigter Trinker immer wieder auf vielleicht vergessene oder gar noch unbekannte Bitters oder andere Aperitif-Liköre bzw. -Weine trifft.
Irgendwann werde ich all diese Drinks durchmixen und ich freue mich schon jetzt auf diese bitter-süße Sinfonie!
Negroni zum Essen
Ein weiteres, wenn auch nur kleines Highlight sind die fünf essbaren Negroni-Varianten von Negroni-Eis-am-Stiel, Cheesecake und einem Slushy sowie Popcorn und Eiscreme. Negroni geht halt nicht nur mit allem in der richtigen Mischung, sondern auch immer und überall.
Immer und überall
Und genau das macht dieses Buch so besonders. Es zeigt, dass die Welt der rot-leuchtenden Drinkinstanz mit italienischen Wurzeln zu einer Ikone der modernen Barwelt wurde und es schaffte dabei niemals dogmatisch zu sein. Die demokratische Idee eines ungezwungenen Dreiteilers ermöglicht es, eine bunte und vielseitige Welt zu ersinnen, die immer wieder einlädt, Neues zu entdecken.
So, wie das Buch von Gary Regan. Man liest es einmal und dann immer wieder. Man markiert sich besondere Rezepte und Zitate und man nimmt es immer wieder gerne zur Hand. So wie der Negroni halt immer passt, oder wie es Gaz Regan geschrieben hat:
So, at what point in a meal do I order my Negroni? Whenever I darned well fell like it. That’s when. Sometimes it serves as my digestivo, sometimes it’s my apéretif, and sometimes I order a Negroni when I have no plans to dine at all.
Gary Regan: The Negroni