Philip Greens Buch über die Drink-Kultur der 1920er Jahre in Paris ist bei weitem mehr als nur eine weiteres Kompendium mit Rezepten und Produkten. Natürlich erfährt man einiges über die Drinks dieser Zeit, doch viel mehr geht es um Menschen. Und zumeist um berühmte Menschen, die eben jene Drinks getrunken haben. A Drinkable Feast ist ein literarisches Eintauchen in eine glorifizierte Zeit und eines der spannendsten Bücher, die weit über den Rand der Bartender-Kultur hinausblicken. Warum dieses Buch so wundervoll ist, erfährst Du hier in 4 Minuten.
Sehnsuchtsort und Verklärung
Das Paris der 1920er Jahre ist eine Epoche ohne Vergleich. Zumindest kein mir bekannter Ort, zu keiner Zeit, übt soviel Faszination, Mythos und Sehnsucht aus, wie die französische Hauptstadt in eben jenen zehn Jahren nach dem ersten Weltkrieg und während der US-Amerikanische Prohibition.
Spätestens seit Woddy Allens Midnight in Paris, war es um eine realistische Wahrnehmung dieser Ära dahin. Dieses skizzierte wilde Rauschen zwischen Bars und Tanzcafés mitsamt Journalisten, Autoren und allen anderen Nachtschwärmern erzeugt eine tiefsitzende Sehnsucht nach Hingabe und Ekstase, wie es sonst zumeist der gepflegte Champagner-Rausch schafft. Der Soundtrack, die Bilder, die Drinks – all dies ergibt ein Bild, welches ich persönlich nicht vergessen kann. Und auch nicht will.
Und mein Bild ist von Hollywood geprägt. Erst später setzte eine tatsächliche Beschäftigung mit dieser Zeit ein, doch der romantische Blick blieb. Und so erging es ja nicht nur mir. Ich erinnere mich gut an meine Zeit als aktiver Bartender – wieviele von uns taten in den frühen 2010er Jahren so, als würden wir genau diese Epoche wiederbeleben wollen. Bärte, Mützen, Hosenträger; Sazeracs, Old Fashioneds und Champagner – es war ein Revival, geprägt zwischen amerikanischem Speakeasy und kosmopolitisch-französischem Esprit. Und einer Menge Unwissenheit – vor allem der Zeit gegenüber.
Paris und die goldene Zeit
„Paris was where the twentieth century was”. So said Gertrude Stein of the City of Light in the 1920s. It was a mecca for a wide range of artists, writers, composer and musicians, poets, dancers and choreographers, architects, fashion designers, and, lastly, hangers-on, poseurs, and the inevitable tourists. All of them added flavor, style, innovation, and nuance to the international cocktail that was Paris”
Genau diese Einleitung bringt den Grund für meine Begeisterung auf den Punkt und definiert zugleich den Raum, den A Drinkable Feast von Philip Greene abhandelt. Es geht dem tiefeintauchenden Greene nicht nur um eine Aneinanderreihung von berühmten und weniger bekannten Drinks – Rezepte finden sich viele; überall und einige vielleicht sogar noch detaillierter in den Komponenten beschrieben.
Es geht dem Autor vor allem um das dynamische Zusammenspiel von Zeit, Zeitgeist, Menschen und dem, was sie tranken. Vor allem die berühmten Gäste der Stadt, allen voran die amerikanischen Exilanten, denen die Prohibition daheim den Spaß verdarb und die es nach der neuen Freiheit des Zwischenkriegs-Europas dürstete, spielen eine entscheidende Rolle. Und so ist es mehr als nur unterhaltsam, dass nach einer kurzen Einführung in das damalige Paris fast jedem Drink auch der Ort an dem er populär war beiseite gestellt wird und häufig auch die Menschen, die jenen Drink berühmt machten. Oder signifikant häufig tranken.
Und es sind große Namen, denen man immer wieder begegnet: Ernest Hemingway (dessen Enkel John Hemingway ein Vorwort für dieses Buch verfasste), die Fitzgeralds, James Joyce, Ezra Pounds oder Cole Porter – Ihnen allen begegnet man in diesem Buch so zufällig wie wohl damals in den Bars der Stadt.
Der Hauptteil der 280 Seiten ist jedoch den Drinks der damaligen Zeit gewidmet. Einige davon sind bis heute fester Bestandteil des Kanons der Getränke, die wir auf den internationalen Karten der Bars finden.
Große Drinks und absurde Mixturen
Es sind vor allem die berühmten Klassiker, die natürlich auch jene anfänglich beschriebene Faszination für die Zeit ausmachen. Namen wie Bloody Mary, French 75 oder Sidecar sind dem gebildeten Trinker geläufig. Doch auch Bronx Cocktail, Bee’s Knees oder ein Sherry Cobbler tauchen immer wieder auf und zaubern ein Lächeln auf die Gesichter latent nostalgischer Connaisseure.
Aber was ist eigentlich ein Harry Crosby’s Bal des Quat’z’arts temendous Punch oder was für eine Idee steckt hinter dem Rose Geranium Martini a’la Caresse Crosby? Drinks, die wohl kaum jemandem bekannt sind und die ich persönlich vorher noch nie sah, hörte oder las.
Liköre, Champagner und das Gefühl für eine Ära
Neben einer Menge Rezepten und Stories dahinter lernt der geneigte Leser auch einiges über Produkte – vor allem damals bedeutende Liköre. Schließlich sind die Drinks der 1920er Jahre nicht nur von einer beeindruckenden Stärke geprägt, sondern auch von so wundervollen Zutaten wie Dubonnet, Picon, Cassis oder Anis-Likören. Und vor allem mein ganz persönliches Faible für Cognac und Vermouth findet hier eine wundervolle Belebung.
Natürlich darf Champagner nicht fehlen. Diesem König der Weine räumt Greene ein ganzes Kapitel unter der glorifizierenden Überschrift „The Obligatory Drink of Montmartre“ ein. Und so obliegt es dem vielleicht größten aller Trinker, Ernest Hemingway, zu verlautbaren:
„If I have any money, I can’t think of any better way of spending money than on champagne”.
Ernest Hemingway, zitiert nach: A Drinkable Feast; S. 72.
Und so liest man sich durch die Goldenen 20er Jahre in der Stadt der Liebe und des großen Durstes und erfährt vieles über Getränke und Trinker. Man erfährt nonchalant nebenbei, dass der berühmte Glasmacher René Lalique erst 1925 das V-förmige Cocktailglas auf der Weltausstellung in Paris präsentierte und dass es einfach günstiger war in einem Café mehrere Drinks zu ordern als einen Eimer Kohle für die kalte Wohnung zu kaufen.
Ein Buch für Literaten, Trinker und trinkende Literaten
A Drinkable Feast – a cocktail companion to 1920s Paris von Philip Greene lässt uns in diese einzigartige und legendäre Welt eintauchen, die so oft den Hintergrund stellt für die großen Geschichten und die kleinen. Für Mythen, Sehnsüchte und Verklärungen.
Mit einigen dieser Mythen räumt A Drinkable Feast auf; einige werden erklärt und wieder andere bestätigt. Was auf jeden Fall bleibt ist die Begeisterung und das Romantische. Und dies ist die wirkliche Meisterleistung Philip Greenes.
Greene selber ist besonders in der amerikanischen Cocktail-Szene kein Unbekannter. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt besitzt er unter anderem auch ein Büro im Pentagon, denn er berät das U.S. Marine Korps bezüglich Markenbildung und Online-Präsentation.
Nebenher hat er nun drei Bücher über Cocktails und Drinks geschrieben und unter anderem am Smithsonian, dem Shakespear Theater in Washington, der Ernest Hemingway Stiftung oder dem Kennedy Centre for the Performing Arts gewirkt. Weiterhin ist er im Vorstand der National Food & Beverage Foundation der USA sowie dem Museum oft he American Cocktail. Und er gehört zum Autoren-Team des neuen Oxford Companion to Spirits and Cocktails.
Also einige Gründe mehr, warum man dieses Buch getrost daheim haben kann, denn neben den Rezepten und Geschichten macht es auch einfach nur Freude zu lesen.