Der Aperol Spritz gilt nicht nur vielen als Lieblingsdrink, sondern vielen anderen als Inkarnation billiger Mixturen für die Happy Hour oder die Touristen-Terrasse. Die Ambivalenz ist enorm, dabei kann dieser typisch italienische Aperitif einfach viel Freude bereiten. Dieser ursprünglich auf spirit-ambassador.de veröffentlichte Artikel ist ein klares Bekenntnis zum Aperol Spritz mit einer durchschnittlichen Lesedauer von 5 Minuten.
Mal ganz ehrlich – wie hoch schätzen Sie die gustatorische Bedeutung eines Aperol Spritz ein? Wenn ich ehrlich bin, orientierte sich diese bei mir irgendwo zwischen Touri-Abzocke und Notdrink für den Fall, dass der Rest des Angebots noch schlimmer wäre. Nun – vielleicht ist dies kein passender Einstieg für ein Porträt – ein ehrlicher ist es allemal. Der Aperol Spritz gehört in der etablierten Barszene zu den Drinks, mit denen wir alle Geld verdienen oder zumindest verdient haben, dies aber kaum jemand zugeben möchte. Er ist der ungetrunkene Crowdpleaser – ähnlich einer umstrittenen Tageszeitung mit vier Buchstaben. Und jene Ansicht war die meine, zumindest bis vor einigen Tagen.
Florenz
Dass das Thema Aperitif diesen Sommer auf spirit-ambassador ganz oben steht, hatte ich an anderer Stelle schon erwähnt – und was passt da besser als ein Nachmittag in Florenz. Genau jener Stadt, in der einer der bedeutendsten Apero-Drinks der Welt entstanden ist: der Negroni. Zu dieser leuchtend roten, bitter-süßen Verführung kommen wir in einem anderen Artikel.
Florenz jedenfalls ist eine überwältigende Stadt – in erster Linie überwältigend voll von Menschen. Selbst außerhalb der Saison zieht diese 350.000 Einwohner zählende „Metropole“ im Norden der Toskana hunderttausende von Menschen an. Im Jahr 2015 waren es insgesamt 4,2 Mio. Gäste (spannend, wenn man den globalen GDCI betrachtet). Viele dieser Touristen ergehen sich in erstaunlicher Demut gegenüber den vollen Straßen, Restaurants und Bars; sie erdulden in Anbetracht der historischen Bedeutung des Ortes die Enge jedes Winkels und den Stress den ihresgleichen bei – in diesem Fall ganz konkret – mir erzeugen.
Sicherlich wäre der Dom zu Florenz ein Ort, den man gerne länger und vor allem von innen betrachten sollte – im Bewusstsein mehrstündiger Warteschlangen jedoch überlegt man sich dies anders. Also folgt man einem Geheimtipp. Diese Tipps, diese kleinen Empfehlungen verborgener Orte sind das Gold jeder Reiseerzählung und der heilige Gral vieler urbaner Touristen auf der Suche nach Authentizität. Klischee erfüllt – und es soll nicht das Letzte sein, wenn es um Aperitif-Kultur in Italien geht.
Über den Dächern der Stadt
Es gäbe da ein Kaufhaus mit einer ganz exquisiten Dachterrasse, von der man über die gesamte Stadt – inklusive der mächtigen Kirche – blicken könne. Erste Erkenntnis dabei: wenn man einen Geheimtipp bekommt, sollte man ihn sich notieren, ansonsten sucht man eine ganze Weile. Nach einer gefühlten Unendlichkeit inmitten von Menschenmassen findet sich dann auch dank Google der Name des gesuchten Fluchtortes: La Rinascente – gelegen am Piazza della Repubblica. Mit dem Fahrstuhl ab in die oberste Etage und über Treppen – das Berliner KaDeWe lässt grüßen – auf die Terrasse. Zweite Erkenntnis: Geheimtipps hat man selten für sich. Es ist keine große Terrasse, aber dafür eine sehr gut gefüllte. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass tatsächlich noch ein Tisch frei ist. Nicht der perfekte Blick, aber das wäre jetzt wahrlich Jammern auf Luxusniveau.
Es ist ein fantastischer Spot, diese Kaufhausterrasse. Das Publikum ist eine bunte Mischung aus Italienern – Sprezzatura in Reinkultur – und Touristen, denen irgendwer diese Location verraten hat. Eines fällt besonders auf; etwas, was sich in fast jeder Stadt auf jeder Terrasse beobachten ließ: Weingläser mit zart rot-orange gefärbten Inhalt. Ohne Zweifel: hier trinkt man Aperol Spritz. Ein Blick in die Karte verrät, dass man es bei einem Preis von 10,00 € ernst meint mit der Exklusivität des Ortes, aber egal. Florenz ist nur einmal im Jahr.
Wir bestellen Aperol Spritz und das erste Mal in meinem Leben fühlt es sich so an, als wäre es das Natürlichste der Welt. Na gut, der Touri-Faktor ist merklich spürbar, aber egal. Dies ist jetzt genau der Drink für diesen Ort bei diesem Wetter. Und schließlich ist es ja auch schon kurz nach 12 Uhr.
Doch was hat es – um wieder auf die elementaren Themen zu kommen – mit diesem Drink auf sich, der von vielen belächelt wird, hier aber scheinbar zum Lifestyle dazugehört?
Die Geschichte des Drinks – ganz kurz
Der Aperol Spritz reiht sich ein in die Geschichte der gesamten Spritz Kategorie und erfährt zumindest innerhalb Italiens einen Schub in den 1950er Jahren. Aperol selbst, diese etwas leichtere Alternative zu Campari gibt es seit 1919. In Padua wurde dieser durch die Firma Barbieri produziert, war aber eigentlich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nichts weiter als eine lokale Spezialität. Erst danach begann man Aperol Spritz zu mixen und schnell wurde dieser leichte Terrassendrink äußerst populär. Der große Hype jedoch setzte erst mit der Übernahme durch Campari ein, die im Jahre 2003 ihr Portfolio durch den Rhabarbarbitter erweiterten. Vor allem eine internationale Marketingkampagne zum Thema Spritz und Lifestyle führte zu einem rasanten Anstieg der Nachfrage. Hier beweist gutes und konsequentes Marketing tatsächlich, wie aus einem lokalen Produkt ein weltweit gefeiertes Genussmoment werden kann.
Ein klassischer Spritz
Doch worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen einem guten Aperol Spritz und den fürchterlichen, orangenen Drinks, die häufig feilgeboten werden und deren Anspruch vor allem auf Seiten des Umsatzbringens liegt?
Neben der grundlegenden Einstellung und dem intrinsischen Moment des Aperitifs, welcher sich vor allem durch die Kunst der Leichtigkeit auszeichnet, ist es die vermeintlich einfache Rezeptur und die Qualität der Zutaten, die es mehr oder weniger zu beachten gilt. Das klassische Spritz Rezept 3-2-1 liefert hier fantastische Ergebnisse. Drei Teile Prosecco, zwei Teile Aperol und ein Teil Soda in einem Weinglas mit gutem Eis und einem Stück Orange – darin liegt zumindest handwerklich gesehen der Zauber. Auf der offiziellen Website von Aperol wird angegeben, dass Prosecco und Aperol zu gleichen Teilen gemischt werden sollen, was am Ende einfach einen deutlich dichteren Geschmack ergibt, der aber für meinen persönlichen Gusto gar nicht so erfrischend ist – die Zauberformel des Klassikers liefert hier ein besseres Ergebnis.
Wichtig dabei ist jedoch die Qualität vor allem des Proseccos. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen man für 2,75€ billigste Qualitäten als das Standardmaß für den norditalienischen Schaumwein ansah. Sicherlich muss man keine Unsummen ausgeben, aber Qualitäten wie die von Villa Sandi (wird seit kurzem durch die Schlumberger Gruppe in Deutschland vertrieben) oder Valdo für rund 10,00 € erzeugen hier fantastische Ergebnisse.
Ebenso kann man mit der Qualität des Wassers experimentieren. Empfohlen sind an dieser Stelle vor allem sehr mineralienreiche Wasser wie Gerolsteiner & Co. Vor allem Calcium und Magnesium sorgen dafür, dass Zitrusnoten und andere fruchtige Aromen deutlicher herausgekitzelt werden. Ein allzu armes Mineralwasser führt tendenziell eher dazu, dass alles etwas muffiger schmeckt.
Deutsche Sprezzatura
So einfach ist er nun also, dieser Aperol Spritz, über den man sich hierzulande in der gehobenen Barszene das Maul zerreist. Die harschen Worte seien mir gestattet, waren es doch auch die Meinen in den letzten Jahren. Aus einer durchschnittlichen – auch guten – deutschen Bar heraus, lässt sich diese liquide Instanz der sommerlichen Leichtigkeit wohl schwer verstehen – es bedarf der praktischen Erfahrung des Phänomens sprezzatura.
Und genau darin liegt vielleicht auch der grundlegende Fehler in Deutschland. Man muss einfach verstehen, dass ein Spritz kein Drink für die Nacht ist, sondern für den Nachmittag, bzw. den frühen Abend. Es ist ein leichter, anregender Apero, der die Sonne braucht wie Fische das Wasser. Im Dunkeln der Nacht verliert er nicht nur die Strahlkraft seiner Farbe, die kunstvolle Leichtigkeit verliert sich in der Egalität. Die Nacht gehört den kräftigen Drinks, den Old Fashioneds oder den Manhattans. Ein Spritz ist dort fehl am Platze!
Es gilt vielleicht diese Kleinigkeiten zu beachten, um ein neues Bild auf diese vermeintlich kitschige Stilikone der 1990er Jahre zu bekommen – oder eine Reise nach Italien. Sollten Sie dafür – insbesondere für Florenz – eine Reisebegleitung benötigen… Ich stehe gerne zur Verfügung. Schließlich weiß ich, wo man mit dem besten Blick den vielleicht besten Aperol Spritz der Stadt bekommt – oder wo es sich zumindest so anfühlt.