Dieser Überblick erschien ursprünglich als sechs-teilige Serie auf spirit-ambassador.de und ist ein recht kompletter Überblick über das Terroir, die Herkunft und Herstellung von Calvados. Vielleicht ist dies sogar eine der komplettesten Darstellungen zu diesem Thema in deutscher Sprache. Die durchschnittliche Lesedauer der gesamte Darstellung beträgt ca. 30 Minuten.
Das Terroir der Normandie – Von Böden, Klima und einer Menge Äpfel
Äpfel wachsen auf der ganzen Welt. Je nachdem welchen Ansatz man verfolgt, kommt man schlussendlich auf eine Angabe von 300 bis 6.000 verschiedenen Apfelsorten, wobei einige Unterschiede einzig und allein im Namen zu finden sind. Doch begibt man sich in die Tiefen der Nomenklatur und der Struktur von Äpfeln, dann eröffnet sich ein Kosmos, der viel komplexer ist, als man es jemals angenommen hat. Und dieses Phänomen findet sich auch in dem relativ begrenzten Kulturraum der Normandie, wo mit Calvados der wohl berühmteste Apfelbrand produziert wird. Wobei niemals vergessen werden darf, dass auch die Birnen eine nicht unbedeutende Rolle dabei spielen, doch dazu an gesonderter Stelle mehr.
Dass besagte Äpfel nicht in der Luft wachsen, ist jedem Kind bekannt und dass Apfelbäume im Boden wurzeln auch. Also ist vielleicht der Boden – ähnlich wie bei Wein auch – von Bedeutung für ein grundlegendes Verständnis jener Früchte, die später zu Cidre und/ oder Calvados werden sollen. Und nicht nur der Boden, auch das Wetter ist wichtig. All dies – und noch so einiges mehr – zusammen bilden das Terroir. Diesem widmen wir uns im ersten Teil der Reihe über Calvados.
Von Häusern und Erkenntnissen
Fährt man mit dem Auto durch die Normandie, so fällt einem sehr schnell die pittoreske Bauweise der Häuser auf. Ein Vergleich mit Südengland wurde an anderer Stelle schon getätigt. Doch bleibt diese Bauweise nicht gleich – vielmehr ändert sie sich in einem gefühlten Querschnitt von Ost nach West. Marie Agnes Herout, die charmante Betreiberin der gleichnamigen Cidre- und Calvadosfarm auf der nördlichen Contentin-Halbinsel geht sogar so weit, dass sie sagt, die Architektur der Normandie ändert sich gefühlt alle 50 km. Während man im Osten bei Le Havre und Honfleur bis nach Deauville und Lisieux und weiter hinein in das Herz des Pays d’Auge vor allem romantischen Fachwerkbauten findet, deren weiße Grundfarbe auf den hohen Kalkgehalt der sedimentären Sandsteinböden verweist, so werden die Bauten – je weiter man westlich fährt – immer mehr von reinem Sandstein und Granit dominiert. Auf der Halbinsel Contentin sind die meisten Häuser lehmverputzt, was bei dem vorherrschenden Marschland kein Wunder ist.
Da die meisten Flächen der Normandie nicht ihren geologischen Unterbau und die Böden offenbaren, sind diese Bauweisen ein sehr guter Hinweis darauf, wie es unter dem Weideland und den Obstplantagen aussieht.
Schlussendlich lassen sich drei grundsätzliche Gesteinstypen erkennen. Im Osten der Normandie, im sogenannten Pariser Becken (in der Karte grün) finden sich die jüngsten Gesteine aus der Zeit der Kreide, deren hoher Kalkanteil von enormer Bedeutung ist und einen guten Wasserspeicher darstellt. Über diesem Kreidegestein liegt ein Boden, welcher vor allem durch Kiesel, Ton und Lehm geprägt ist. Im Westen (in der Karte violett-rot-rosa) finden sich aus der Zeit des Kambriums die ältesten Gesteine, die vor allem durch Granit und metamorphe Gesteine geprägt sind, über denen ein Boden mit hohem Ton-Anteil auffindbar ist. In einem schmalen Korridor dazwischen (in der Karte blau), von Caen bis hinunter in die normannische Schweiz wird das Gestein durch Sandstein dominiert, der sich in Form von Steinen auch im Boden wiederfindet.
Alle diese Böden und Gesteinsformationen haben einen entscheidenden Einfluss darauf, was für Apfelsorten in der jeweiligen Region wachsen. Die lehmhaltigen Böden zwingen die Apfelbäume, ihre Wurzeln tief durch den Boden in das Gestein zu treiben, damit genügend Wasser zur Versorgung erreicht wird. Dies ist einer der Gründe, warum das Pays D’Auge als das Herz der Normandie und die bedeutendste Calvados-Region gilt. Je ton- und lehmreicher ein Boden ist; je tiefer die Bäume wurzeln, desto strukturierter werden die Apfelvarietäten. Säure und auch der Tanningehalt sind von enormer Bedeutung für die Früchte zur Herstellung von Cidre und Calvados.
Auch wenn viel Zucker eine Menge Alkohol bedeutet, so muss dies nicht immer von entscheidendem Vorteil sein. Charles Neal bringt es in seinem grandiosen Buch über Calvados auf den Punkt: „In these cases, more destillate is not always better destillate, which might help to explore why some producers produce great cidre bouché while their calvados is not exactly the leader of the pack“ (Charles Neal: Calvados – the spirit of the Normandy; p. 68.). Über Cidre-Qualitäten und Destillation werden wir später noch ausführlich berichten.
Neben der bezaubernden Architektur und einem grundsätzlichen Verliebtsein in diese Region ist Wind der stetige Begleiter auf einer Fahrt durch die Normandie. Von den Badeorten am Kanal bis in das Hinterland – überall spürt man den Wind. Mal schwächer – meistens etwas stärker. Dieses Wetterphänomen – Westerlies genannt ist ein Ausgleichswind zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten. Generell ist die Normandie dem maritimen Klima zuzurechnen und wird beeinflusst durch die Nähe zum Ärmelkanal und dem Golfstrom. Von daher sind die Winter und Sommer gemäßigt und weisen selten Extremwerte auf. Die Kontinentalität – die Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten – ist gering. Doch eben jene Winde bringen permanent warme und feuchte Luft in die Normandie, vor allem in das Pays D’Auge. Es ist wie ein europäischer Urwald, dessen tiefgrüne Farbe vor allem im Frühjahr und Sommer einen fast überwältigt. Diese Kombination aus Luftfeuchte und stabil-gemäßigtem Klima ist ideal für den Obstanbau geeignet und wohl auch einer der Gründe, warum schon in vorchristlicher Zeit Äpfel und Birnen in dieser Region kultiviert wurden.
Äpfel und Birnen und Äpfel und Birnen – aber vor allem Äpfel
Unter den anfänglich tausenden erwähnten Apfelvarietäten lassen sich vier Gruppen nach deren Geschmack definieren: bitter, halbbitter, sauer und süß. Unter jeder dieser Gruppen finden sich viele einzelne Varietäten, die innerhalb eines Cidres bzw. eines Calvados’ bestimmte Strukturen etablieren und helfen, ein Gesamtbild zu erzeugen. Der wichtigste Punkt jedoch ist das Verständnis, dass es sich bei allen Sorten um Früchte handelt, die nicht geeignet sind für Tafelobst. Sowohl die Äpfel als auch die Birnen sind viel kleiner als uns bekannte Sorten aus dem Obstladen. Durch die geringe Größe beinhalten diese Sorten deutlich weniger Wasser – der Hauptbestandteil von Früchten; und damit eine enorme Konzentration von Aromen, Säuren und Tanninen. All diese wichtigen Aromen sind unveränderlich an das Terroir der Normandie gebunden. Dies ist auch einer der Gründe, warum einige Sorten nur in bestimmten Regionen wachsen.
Geschmacksrichtung | Hauptvariätet (franz. Name) |
Bitter | Domaine, Frequin Rouge, Mettais, Moulin a vent |
Halb-Bitter | Bedan, Binet Rouge, Bisquet, Noël des Champs, Saint Martin |
Süß | Germaine, Rouge Duret |
Sauer | Rambault, René Martin |
Während das Pays D’Auge zum Beispiel deutlich frucht-betontere Äpfel hervorbringt, wachsen im Nordwesten vor allem adstringierende, säurebetonte Arten. All dies macht die Normandie, macht Calvados zu einem so komplexen und vielseitigen Destillat. Schließlich dürfen die Früchte auch nur aus der durch das I.D.A.C., – das Interprofession des Appellations Cidricoles – definierten Region stammen. Damit unterliegt sowohl Cidre als auch Calvados einem A.O.C., einer festgeschriebenen Herkunft und Herstellungsweise, ähnlich wie wir es bei Cognac kennen, oder bei Champagner.
Die Klassifikationen von Calvados
Das Terroir der Normandie ist so einzigartig wie seine Geschichte und seine Menschen. Ohne dies alles wären Calvados und Cidre nicht denkbar – beide sind bestimmt durch die Region, wie diese auch durch ihre wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung die Region bestimmen. Calvados muss aus der Normandie kommen, damit er überhaupt Calvados heißen darf. Damit dieses fantastische Produkt und seine Tradition geschützt sind, unterliegt der berühmteste Apfelbrandy der Welt einem sogenannten A.O.C., einer Appellation d’Orgines Controleé, wir wir es auch bei Cognac oder Champagner kennen. Nur dass hier in der Normandie gleich drei A.O.C. Bestimmungen anzutreffen sind. Ein übergeordnetes A.O.C. Calvados als Basis-Appellation mit den zwei spezifischen A.O.C. Calvados Pays D’Auge und dem A.O.C. Calvados Domfrontais.
A.O.C. Calvados – die Grundregeln
Das recht junge A.O.C. Calvados ist eine Errungenschaft des Jahres 1942, denn erst damals wurde Dieser durch Herkunft und Herstellung geschützt. Der Hintergrund war ein recht pragmatischer, ging es doch weniger um qualitative Aspekte der Vermarktung, sondern vielmehr um den Schutz vor der militärischen Vereinnahmung des Kulturgutes. Mit dem A.O.C. war es nicht ohne weiteres möglich, den Calvados als billigen Lieferanten für kriegsrelevanten Alkohol zu nutzen – er würde damit einfach zu wertvoll und damit zu teuer sein. Manchmal spielt die Historie schon spannend auf. Es ist erstaunlich, dass sich selbst die Bosches, wie man die deutschen Besatzer in Anlehnung an die berühmte Industriefamilie nannte, darangehalten haben. Ähnliches lässt sich in der Region Cognac und den berühmten Weinbaugebieten der grande nation finden (hierzu empfiehlt sich die äußerst kurzweilige Lektüre von „Wein und Krieg“, von Don & Petie Kladstrup.).
Vergeben wird das A.O.C. durch das I.N.A.O., das Institut National des Appellations d’Origine und überwacht durch das I.D.A.C., – das Interprofession des Appellations Cidricoles. Die wichtigste Bestimmung ist die Herkunft (siehe Karte), wobei das einfache A.O.C. über 70% der kompletten Produktion ausmacht. Dabei müssen alle Früchte aus der Region stammen und auch in dieser erst zu Cidre und dann anschließend zu Calvados verarbeitet werden. Die Variationen – der Früchte – sind vorgeschrieben und im Allgemeinen A.O.C. dürfen max. 30% Birnen verarbeitet werden. Sowohl Äpfel als auch Birnen – hier kann man diese getrost miteinander vergleichen; müssen auf bestimmten Plantagen wachsen. Dabei unterscheiden sich hochwachsende und tiefwachsende Pflanzweisen, auch haut-tige und basse-tige genannt. Für haut-tige Pflanzungen gilt eine Pflanzdichte von 70 bis max. 180 Bäumen pro Hektar für Äpfel und mind. 40 Bäume für Birnen; sowie ein Maximalertrag von 20 Tonnen Äpfeln, bzw. 30 Tonnen Birnen. Dies entspricht knapp 100 kg. pro Baum. Die kompakteren basse-tige-Pflanzungen dürfen zwischen 400 bis 750 Bäume pro Hektar aufweisen mit einem Maximalertrag von 40 Tonnen. Geerntet werden darf erst sieben, bzw. drei Jahre nach der Pflanzung neuer Bäume. Auch die Pressung, die Fermentation sowie die Destillation und Reifung sind vorgeschrieben und werden an anderer Stelle noch genauer beschrieben.
Im einfachen A.O.C. Calvados kann man schlussendlich destillieren, wie man möchte, egal ob in einer Kolonne oder einer Pot Still. Dabei darf der maximale Alkoholgehalt 72%vol. nicht überschritten werden und nach mindestens zwei Jahren der Reifung in Eichenfässern muss der fertige Calvados ein Minimum von 40%vol. in der Flasche haben.
Allein im A.O.C. Calvados existieren rund 6000 registrierte Produzenten, darunter knapp 400 größere Firmen wie Coquerel oder Herout. Häufig jedoch produzieren kleine Bauern oder Cidrerien eine Kleinstmenge an Calvados für den privaten oder den lokalen Konsum. Daher sind viele der rund 100 in der Region zu findenden Destillations-Kolonnen auch mobil und werden in der Zeit der Destillation nach der Ernte von Hof zu Hof gefahren.
Viele Bestimmungen dieses grundsätzlichen A.O.C.s gelten für die zwei spezifischeren Bestimmungen auch; so zum Beispiel das Mindestalter und die Abfüllstärke. Und dennoch gibt es einige Punkte, die das A.O.C. Calvados Pays D’Auge und das A.O.C. Calvados Domfrontais zu besonderen Vertretern ihrer Art machen.
A.O.C. Pays d’Auge – das Herz von Calvados
In der Pays d’Auge Region – so sagt man – werden den hochwertigsten Calvados’ produziert. Eines sei gleich vorweggesagt: dies ist eine eher emotionale Aussage. Die Qualität der Destillate unterscheidet sich vor allem nach dem persönlichen Geschmack und der jeweiligen Philosophie der Hersteller. Häufig wird diese Aussage jedoch getroffen, da es im Pays d’Auge einige Vorschriften gibt, die so definiert nirgends sonst in der Normandie auftauchen und damit den in diesem Teil des Landes hergestellten Alkohol zu etwas Besonderem machen.
Die wohl bedeutendste Regel hier betrifft die Destillation, muss diese doch 2-fach erfolgen in Pot Still Brennblasen, wie man sie aus der Charente-Region kennt. Diese kupfernen Kessel dürfen ein Maximalvolumen von 3.000 Litern haben und müssen mit direkter Flamme betrieben werden. Doch bevor es zur Destillation kommt, sind weitere wichtige Bestimmungen einzuhalten.
Schon in der Besetzung der einzelnen Plantagen nimmt man es hier im Herzen der Normandie sehr genau, müssen doch 70% der angepflanzten Äpfel einer bitteren oder zumindest halb-bitteren Varietät entstammen und maximal 10% aus einer als sauer klassifizierten Gruppe. Die Fermentation des Saftes muss zwingend ohne Unterstützung auskommen – einzig Reinzuchthefen sind erlaubt. Eine Spontanvergärung als gänzlich traditionelles Verfahren ist nicht obligatorisch. Des weiteren muss diese Fermentation mindestens 42 Tage dauern. Mit all diesen Bestimmungen erzeugt man ein Produkt, welches sich in seiner Besonderheit vom generellen A.O.C. Calvados abhebt – nicht nur in der Produktion, sondern auch im Geschmack.
A.O.C. Calvados Domfrontais
Der seltenste Calvados’ kommen aus einer kleinen Region um die Stadt Domfront herum, welche dem A.O.C. Calvados Domfrontais ihren Namen gibt. Diese Appellation wurde erst 1997 geschaffen, verweist jedoch auf eine lange Tradition des Birnen-Anbaus in der Gegend. Von daher gewinnt dieses A.O.C. seine Besonderheit aus dem Fakt, dass mindestens 30% der Früchte zur Herstellung von Calvados von Birnen gestellt werden muss. Diese verleihen ihm einen außerordentlich fruchtigen Charakter. Von daher müssen auch mindestens 25% aller Plantagen mit Birnen bepflanzt sein.
Destilliert werden kann hier nach Gusto, doch hat sich analog zum einfachen A.O.C. Calvados die Kolonne als Destillations-Apparat durchgesetzt. Eine Besonderheit bringt noch das Alter mit sich: während im Basis A.O.C. und auch im A.O.C. Pays d’Auge Calvados mindestens 2 Jahre in Eichenfässern reifen muss, so sind es im A.O.C. Domfrontais mindestens 3 Jahre. Von diesen Abfüllungen lässt sich auf dem deutschen Markt leider kaum etwas finden.
Diese drei Appellationen sind die historische, die handwerkliche und auch die gesetzliche Grundlage zur Herstellung des wohl berühmtesten Apfel-Brandes der Welt.
Über Plantagen, Bäume und Tierzucht
Beginnend bei der ersten Beschäftigung mit Calvados entwickeln sich stereotypische Bilder einer Kulturlandschaft, wie es sie gefühlt nur in Marketing-Prospekten der Tourismus-Branche für die Normandie oder halt für Calvados geben kann. Die Erwartungen bemessen sich an romantischen Apfelplantagen mit Kühen oder Schafen darunter, irgendwo liegt ein Bauer verträumt unter einem Baum und wahrscheinlich muss Newton hier auf die Idee mit der Schwerkraft gekommen sein – bei dieser Dichte an Äpfeln und Bäumen. Einiges davon ist ausgemachter Humbug, anderes die reine Wahrheit und noch anderes eine spannende Diskussion irgendwo zwischen Tradition und Moderne, zwischen Klischee und Effizienz. Es lohnt sich also, ein genaueres Bild auf die Apfelplantagen der Normandie zu werfen.
Tradition und Moderne
Ganz klassisch lassen sich in der Normandie zwei Typen von Plantagen-Form finden: Haute-Tige und Basse-Tige. Hinter diesen beiden Möglichkeiten der Baumbepflanzung entspinnt sich ein komplexes Netz von Regularien, welche für das konkrete A.O.C. von Bedeutung sind, aber auch ein Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisten, zwischen Großproduzenten und Kleinstherstellern.
Von jeher und Kuhmist
Die klassische, traditionelle Methode der Bepflanzung ist die Haute-Tige. Hochgewachsene Bäume – viele Meter hoch – prägen das Bild dieser bezaubernden Plantagen. Der Abstand zwischen den Bäumen beträgt im Durchschnitt 10 Meter und maximal 180 Bäume pro Hektar lassen sich anpflanzen mit einem Ertrag von ca. 100 kg Frucht pro Baum. Der Hintergrund dieser ursprünglichen Bepflanzung liegt in der vielseitigen und intensiven Nutzung der Räume. Neben dem Fruchtanbau kann man hier zugleich Viehhaltung betreiben – auf ein und dergleichen Grundfläche. Vor allem in früheren Tagen war dies zur Subsistenz dringend nötig.
Unter den hohen Bäumen finden sich heute noch Schaf- oder Kuhherden. Letztere sind zumeist unglaublich neugierig und vor allem alles andere als Kamera-Scheu, produzieren jedoch feinste Milch. Nicht nur dass die Tiere auf natürliche Art und Weise das Gras unter den Bäumen kurzhalten, sie düngen auch noch den Boden. So zumindest die klassische Aussage vieler Apfelbauern. Es gibt jedoch auch Gegenstimmen. Allen voran einer der führenden Köpfe der Modernisierung von Calvados: Etienne Dupont, sowie sein Sohn Jérôme.
Mit wissenschaftlicher Akribie geht man in Victot-Pontfol daran, sich Gedanken darüber zu machen, an welchen Stellschrauben man Calvados entscheidend beeinflussen kann. Und ein wichtiger Punkt sind natürlich die Hefen. Und bei Dupont sagt man ganz deutlich: Wenn Kühe ihren Dung unter unseren Äpfeln verteilen, dann verändert sich damit auch die bakterielle Zusammensetzung und die Wildhefen – diese Wildhefen jedoch sind wichtig für die Fermentation des Cidres. Bei Calvados Dupont möchte man keine Kuh-Aromen in seinen Produkten. Dieser Punkt ist biochemisch nicht irrelevant – jedoch außerhalb der Domaine nicht aufgegriffen worden. Hier zeigt sich wieder einmal, wie konservativ die Normandie ist. Auf der anderen Seite muss zugestanden werden, dass auch Kuh-Mist beeinflusste Äpfel fantastische Produkte ergeben.
Der große Nachtteil der traditionellen Haut-Tige Methode liegt hingegen klar auf der Hand: Effizienz. Für 100, max. 150 Kg pro Baum, maximal 20 Tonnen pro Hektar – die absolute Spitzenleistung – muss man im Schnitt 18 Jahre warten. So lange dauert es, bis die Bäume ihre volle Produktivität erreichen. Calvados ist ein Generations-Projekt. Die Bäume, welche heute gepflanzt werden, versorgen später die Kinder der Bauern. So war es schon immer.
Einzug der Moderne
Deutlich zügiger sind die Bäume der Basse-Tige Plantagen voll ertragsfähig. Nach nur acht Jahren lassen sich an den wesentlich kleineren Bäumen – die mit bis zu 750 Einheiten pro Hektar sehr dicht wachsen – zwar pro Baum nur bis zu 40 kg Frucht ernten, dafür auf den Hektar gerechnet doch bis zu 40 Tonnen. Diese enorme Ausbeute begann in den 1980er Jahren zunehmend populärer zu werden und versprach ein schnelles Geschäft. Die bis zu 6 Meter hohen Bäume erlauben jedoch keinerlei weitere Nutzung der Fläche, da unter ihnen meist nur ein halber Meter Luft ist. Höchsten Schafe sorgen für die Kurzhaltung der Bei-Flora. Hier ist es deutlich wichtiger, das wachsende Gras kurz zu halten, denn je weniger Feuchtigkeit in den dicht gesetzten Plantagen zu finden ist, umso geringer ist das Risiko von Pilzkrankheiten.
Bäume züchten und pflanzen
Hat man sich nun entschieden, in welchem Stil man seine neue Plantage anpflanzen möchte, so ist das Setzen der Bäume am Ende relativ einfach: man buddelt ein Loch im Rastersystem der Plantage und pflanzt den Baum.
Manche Dinge sind tatsächlich so einfach, wie man es sich denkt. Wichtiger ist die grundsätzliche Lage – hier gilt es eine ausgewogene Drainage zu beachten, die vor allem auf den Hängen der leicht hügeligen Normandie am besten gewährleistet ist. Zumal sich auf den Hängen auch die Gefahr minimiert, dass sich Frost-Nester bilden, welche die Früchte zum Ende der Saison gefährden.
Doch nicht nur die Lage ist entscheidend, sondern auch die Vermehrung. Aus einem Samen – insofern er aufgeht – muss nicht automatisch die gleiche Varietät erwachsen. Um dies jedoch zu gewährleisten, werden die meisten Sorten durch Aufpfropfung vermehrt. Der Vorteil besteht darin – ähnlich wie beim Wein, äußerst kraftvolle Unterlagsstämme mit gezielt ausgewählten Fruchtsorten zu kreuzen um so effizient wie möglich zu arbeiten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Durchmischung der einzelnen Plantagen. Da viele Betriebe keine wirklich industriellen Verarbeitungs-Systeme haben und noch vieles in einzelnen Produktionsschritten erfolgt, muss auch die Ernte systematisch auf die Machbarkeit der folgenden Schritte angepasst werden. Nicht nur die wichtige Mischung der Sorten hinsichtlich des Aromenprofils ist entscheidend, sondern auch die Ernte-Performance. Selten werden die Plantagen in einem Zuge geerntet, sondern vielmehr in mehreren Schritten – je nach Reifegrad der Varietäten.
Vom Sammeln und Schütteln
Weder Äpfel noch Birnen werden vom Baum gepflückt, sondern fallen nach der endgültigen Reife zu Boden, wo sie aufgesammelt werden müssen. In früheren Tagen war dies die Aufgabe der gesamten Familie – vom Enkel bis zur Großmutter. Dies hat sich im Zuge der Industrialisierung geändert – auch wenn es heute noch Kleinstbetriebe gibt, bei denen die klassische und vor allem anstrengende Arbeit auf diese uralte Weise getätigt wird. Heutzutage überlässt man diese Rückenschmerzen-verursachende Arbeit Lesemaschinen. Diese sammeln das zu Boden gefallene Lesegut auf – inklusive Ästen, Steinen, Blattwerk und das, was vormals angesprochene Kühe auch gerne mal hinterlassen. Kühe sind hier ein wichtiges Stichwort, denn diese müssen ganz dringend vor der Ernte von den Plantagen gebracht werden. Zu sehr lieben sie die Früchte – vor allem wenn diese leicht anfangen vor sich hin zu gären.
Das natürliche Verrotten der Früchte auf den Plantagen ist eine der größten Gefahren und der Grund, warum das Gras auf dem Boden immer sehr kurz gehalten wird. So kurz, dass es gerade noch den Aufprall der Früchte abfedert.
Jahrgangs-Phänomene der Plantagen
Während beim Weinbau die Quantität der Reben fast keine Jahresunterschiede kennt – abgesehen von klimatischen Besonderheiten (große Frostschäden Bsp..); so ist es für Apfel- und Birnbäume üblich, dass ihr Ertrag von Jahr zu Jahr schwankt. Dies jedoch in einem Ausmaß, von vielen Kilogramm. Gab ein und der gleiche Baum in einem Jahr 130 kg Äpfel kann es gerne passieren, dass im Folgejahr nur die Hälfte an Frucht an ihm wächst. Dies ist einer der bedeutendsten Gründe, warum sich Cidre und Calvados eher weniger eignen, Vintage-Qualitäten zu forcieren. In naher Vergangenheit jedoch geht man immer öfter dazu über – vor allem aus Marketing-Zwecken.
Sind die Äpfel gelesen, werden die letzten verbleibenden Früchte vom Baum gestoßen und es geht in die Cidrerie. Hier werden die Früchte gereinigt – die Kühe! – und warten auf die weitere Verarbeitung zu Cidre.
Cidre – Eine Wechselgeschichte zwischen Wein und Vorprodukt
Millionen Äpfel und Birnen warten im Herbst in der Normandie darauf zu einem der berühmtesten Fruchtweine der Welt verarbeitet zu werden: Cidre! Doch nicht nur in der Herstellung, auch in der Idee der Stilistik gibt es hier fundamentale Unterschiede, schließlich soll es am Ende ja weniger um den Apfelwein gehen, als vielmehr um das daraus gewonnene Destillat – den Calvados. Und dies ist der Grund für eine vielleicht nicht missliche, aber zumindest vertrackte Situation. Es stellt sich die Frage, ob besagter Cidre mehr ist als nur ein notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zu Calvados, oder halt nicht. Diese Frage soll hier nun beantwortet werden.
Von Schalen und Früchten – eine erste Reife
Nach der Ernte werden die Früchte nicht direkt zum Pressen gegeben. Dies liegt einfach an der Tatsache, dass Apfel und Birnen – im Gegensatz zu Zitrusfrüchten – nach dem Ernten immer weiter reifen. Während einer teilweise mehrwöchigen Lagerung der ganzen Früchte konzentrieren sich Aromastrukturen in den Schalen der Äpfel und Birnen. Diese – die Schalen – sind von entscheidender Bedeutung, finden wir doch dort die wichtigsten Aromen. Das Fruchtfleisch ist zumeist eher aroma-arm und besteht zu einem großen Teil aus Wasser. Es ist wie so oft im Leben, die scheinbar kleinen Dinge sind wichtig. Im Anschluss werden die Früchte durch ein Wasserbad gereinigt und von allen Rückständen wie Steinen oder Ästen – man denke an die Kühe zurück – befreit und in die Cidrerie transportiert. Dabei jedoch darf es zu keiner sterilen Reinigung kommen! Die aromatischen Schalen sind so stark, dass man vor der Pressung das Obst schreddern muss, um an jenen köstlichen Saft zu gelangen, der später die Basis für unserer Cidre darstellt. Wichtig dabei ist, dass auch die Kerne nicht entsorgt werden, da diese auch wichtige Aromastoffe an den späteren Apfelwein abgeben.
Pressen
Die geschredderten Früchte lässt man gerne ein wenig im eigenen Saft ziehen – ähnlich der Maischestandzeit beim Wein, um sie anschließend zu pressen. Die Art und Weise der Pressen, welche zum Einsatz kommen hängt stark von der Größe des Betriebes ab und korreliert mit dem Produktionsvolumen und dem damit verdienten Geld. Je kleiner die Cidrerie, desto höher ist die Chance, klassische Paket-Pressen zu bestaunen. In modernen Anlagen finden sich häufig pneumatische Pressen.
Die Paket-Pressen (Pressoir a paquet) sind direkte, vor allem jedoch effizientere Weiterentwicklungen der ursprünglichen Pressen. Dabei werden Holzgitter mit einem festen Kunststoff oder mikro-feiner Gaze ausgekleidet (früher nahm man dafür Stroh) und zwischen diese Ebenen werden die Früchte gelegt. Heute durch Hydraulik betrieben, funktionierten diese Pressen in vergangenen Tagen durch Hebelkräfte. Hierbei lassen sich nunmehr aus einer Tonne Frucht ca. 750 Liter Saft gewinnen. Dabei lässt sich – wenn gewünscht – der Saft fraktionieren. Dabei unterscheidet man den ersten, frischesten Saft – welcher vor allem für Trink-Cidre genutzt wird oder für besondere Destillate; und den durch etwas mehr Kraft gewonnenen Press-Most. Zu 100% lässt sich das Marc – der verbleibende Frucht-Rückstand jedoch nie entsaften. Diese Paket-Pressen gibt es auch als mobile Varianten für Kleinstbetriebe.
Größere, auf Menge ausgerichtete Firmen nutzen mittlerweile pneumatische Pressen, wie sie zum Beispiel auch im Cognac Verwendung finden. Dabei wird die geschredderte Frucht in einen zylindrischen Körper gegeben und durch eine im Inneren befindliche Blase – diese wird hydraulisch aufgepumpt – gegen die Wand der Presse gedrückt. Zwar lässt sich hier weniger Saft gewinnen, dafür jedoch sind diese Art der Pressen deutlich einfacher und schneller zu bedienen.
Zweierlei Sorten
Spätestens nach dem Pressen muss man sich entscheiden! Soll der nun entstehende Cidre zum Trinken hergestellt werden oder soll er zu Calvados weiterverarbeitet werden. Dies hat vor allem etwas mit der Dauer der Fermentation zu tun. Und mit einer Auswahl der Varietäten. Wie schon im ersten Teil beschrieben, unterscheidet man die Varietäten im Geschmack nach bitter, halb-bitter, süß und sauer. Spätestens beim Pressen muss die beabsichtigte Mischung dieser Varietäten gegeben sein, sind doch für Trink-Cidre die sauren Sorten deutlich wichtiger (bis zu 20% Anteil) als für den Cidre zur Destillation (zumeist max. 10%).
Eine zweite Vorrede
Grundsätzlich gilt: Verwechsle niemals – wirklich niemals – französischen Cidre mit englischem Cider! Nix gegen die leckere Limo von der Insel, doch französischer – normannischer und auch bretonischer Cidre – sind um Welten besonderer als ihre Namensvetter aus Großbritannien.
Cidre Bouche
Cidre Bouche jener, welcher nicht weiterverarbeitet, sprich: destilliert werden soll. Ein Cidre, zum Purgenuss gedacht und der sich in seiner Herstellung deutlich von seinem Gegenspieler unterscheidet. Dies hat vor allem mit der zweiten Gärung zu tun, denn schließlich ist Cidre kein Still-Wein. Die alkoholische Gärung dieser fruchtbetonten Weine erfolgt zumeist in Stahltanks, aber auch in inerten Behältern wie Beton-Eiern oder Glasfaser-Bottichen. Der entscheidende Vorteil dieser modernen Fermentationsanlagen ist die gezielte Temperaturkontrolle. Denn die Dauer der Gärung ist entscheidend! Der Cidre Bouche ist niemals ganz durchgegoren, sondern behält nach der ersten Gärung immer einen gewissen Satz Restzucker bei. Diesem Restzucker verdanke wir die zweite Gärung in der Flasche, welche das nötige CO2 erzeugt – bis zu 3 Gramm pro Liter. Diese zweite Gärung basiert auf der Temperaturempfindlichkeit der Hefen, welche zumeist natürlich sind und über die Schalen – deswegen keine sterile Reinigung – in den Most kommen. Im Winter ist es diesen Hefen einfach zu kühl und sie stellen die Alkoholumwandlung ein. Im Folgejahr – und in der Flasche befindlich – wird der Zucker weiter in Alkohol und CO2 umgewandelt.
Schon vor der Abfüllung auf die Flaschen entscheidet sich der später angegeben Süßegrad, wobei Doux (süß) bei max. 3Vol.% Alkohol über 35 Gramm Zucker aufweist und Demi-Sec bei 3,5 – 4,5Vol.% noch zwischen 28gr. und 35gr. bereit hält. Der trockene Cidre Bouche hat niemals mehr als 28gr. Restzucker, da hier das meiste in Alkohol vergoren wurde. Von daher weist der trockene Cidre mit mindestens 5Vol.% auch den höchsten Alkoholgehalt auf. Große Hersteller filtern ihren fertigen Cidre nach dem Erreichen des schlussendlichen Levels steril, so dass keine weitere Gärung mehr erfolgen kann. Kleine Betriebe unterlassen dies und füllen ein lebendiges Produkt ab, welches zunehmend trockener und alkoholischer in der Flasche wird.
Cidre zur Destillation
Neben den Unterschieden in der Varietäten-Zusammensetzung ist es vor allem die zweite Gärung, welche für die Herstellung von Calvados entscheidend ist. Oder besser gesagt: der Verzicht auf CO2. Nicht nur aromatisch, auch strukturell unterscheiden sich also die beiden Cidre-Sorten. Die Gärung der stillen Cidre erfolgt entweder in offenen Bottichen oder in großen Holzfässern, Foudre genannt. Durch die Größe der Fässer – bis zu 10.000 Liter hat das Fass keinen aromatischen Einfluss auf den Cidre, sondern unterstützt ausschließlich die Gärung und mikro-oxidative Prozesse. Wichtig dabei ist auch, dass es einen permanenten Luftaustausch gibt, so dass das CO2 entweichen kann, ohne dass es sich in den Wein einbindet. Von daher sind die Fässer auch selten komplett gefüllt.
Dieser Art des Cidres – das Vorprodukt der Destillation ist auf Grund seiner enorm langen Gärung – mindestens neun Monate – komplett durchgegoren; hat somit keinerlei Restzucker mehr und weist einen deutlich höheren Alkoholwert auf. Von daher ließe sich hier schon davon ausgehen, dass ein hoher Anteil süßer Früchte mehr Zucker liefert und somit mehr Alkohol realisierbar wäre. Doch so einfach ist es nicht. Über die ganze Normandie hinweg hört man eine grundsätzliche Meinung über das Verhältnis der Varietäten von jeweils 40% bitter und halb-bitter und jeweils 10% süß und 10% sauer. Auch hier ist das Zusammenspiel der Aromen wichtiger als der reine Zuckerwert und damit der potenzielle Alkohol. Im Schnitt bewegt sich dieser Alkoholwert zwischen sechs und neun Vol.%. Mit dieser Stärke geht der Cidre dann weiter in die Destillation.
Das Beste aus beiden Welten
Die Qualitäten von Cidre Bouche und Cidre pour destillation unterscheiden sich in fast allem. Von daher muss man beides auch getrennt voneinander bewerten. Dies war auch einer der Gründe, warum man 1996 ein eigenes A.O.C. für Cidre präsentierte und dieses wichtige Kulturgut schützte. Und wer jemals an der französischen Küste bei Unmengen an Meeresfrüchten saß und Cidre Brut genoss, der weiß auch warum. Schöner, frischer und leichter kann ein Sommer kaum sein. Doch nicht nur Cidre Bouche ist spannend. Auch der Destillations-Cidre offenbart viele Facetten und beeinträchtigt am Ende das fertige Destillat und unseren späteren Calvados. Von daher ist dieser mehr als nur ein einfacher Apfelbrand. Schon die Zwischenschritte sind wichtig und erfordern viel Liebe und Wissen.
Pot Still und Kolonne – über Destillation in der Normandie
Wenn aus Cidre ein Destillat werden soll, so hat man in der Normandie dafür zwei Optionen, welche durch den jeweiligen A.O.C. Status der Destillerie mehr oder weniger vorgeschrieben sind. Im Herzen der nordfranzösischen Apfelregion – dem Pays d’Auge muss per Gesetz eine zweifache Destillation in kupfernen Pot-Stills erfolgen, während die anderen beiden A.O.C. es frei lassen, ob via Pot-Still oder in einer Kolonne destilliert wird. Da die Kolonnen-Destillation am Ende deutlich effizienter und vor allem günstiger ist, trifft man außerhalb des Pays d’Auge jedoch selten bis nie auf Pot-Stills, oder wie man es in der Normandie nennt: l’alambic a repasse.
Grüße von den Ufern der Charente
Das Herz der Calvados-Produktion befindet sich unwidersprochen im Pays d’Auge, auch wenn es nicht das größte Anbaugebiet ist, so kommen von hier angeblich die besten Calvados der ganzen Region. Dies hat vor allem damit zu tun, dass zwischen Le Havre, Lisieux und Gacé die deutlich aufwendigere zweifache Pot-Still Destillation vorgeschrieben ist. Wer das erste Mal in einer Brennerei wie Busnel ist, sich jedoch schon mit französischen Spirituosen beschäftigt hat, der wird erstaunt sein. Die Brennblasen gleichen wie ein Zwilling denen der Charente, der Heimat des wohl berühmtesten Weinbrands der Welt: Cognac.
Zum Symbol dieser Form der Alambique wurde der Vorheizer, le Chauffe-cidre, welcher als Zwiebel in der Mitte der Apparatur thront und den Cidre für die nächste Destillation ganz sanft auf 65°C erwärmt. Stärker sollte dies nicht geschehen, da bei höheren Temperatur allzu starke oxidative Prozesse die Qualität des Cidre gefährden.
Das Destillations-Prinzip gleicht ansonsten denen jedweder Batch-Destillation. Der Cidre wird in der sogenannten ‚la chaudrier‘ – diese befindet sich zumeist links – erhitzt und der Alkohol steigt gasförmig auf. Im Hut, dem Chapiteau, erfolgt der erste Reflux und nur die feinen Alkohole gelangen durch den Col de Cygne – den Schwanenhals – auf die rechte Seite, in den Kondensator. Dort wird der Dampf durch bis zu 75 Meter lange Rohre geführt und dabei mit Wasser heruntergekühlt, um wieder flüssig zu werden. Das dabei entstehende leichte Destillat, die Brouillis oder auch petit eaux genannt, wird auf die gleiche Art und Weise ein zweites Mal destilliert. Nach der Abtrennung des Vorlaufes (tete) und des Nachlaufes (queue) verbleibt das eaux de vie oder auch coeur genannte Herz der Destillation und wird anschließend zur Reifung in die Fässer gefüllt.
Diese Destillation ist deutlich umständlicher und damit auch mit höheren Kosten verbunden. Nicht alle Calvados-Hersteller besitzen eine eigene Destillationsanlage – knapp 60 Brennblasen gibt es bei über 2.000 Produzenten. Häufig übernehmen Abfindungsbrenner die Aufgabe des Destillierens. Auch hier zeigt sich eine Verbindung zum Cognac. Das Ergebnis der zweifachen Pot-Still-Destillation ist ein sehr feiner Roh-Brand, dessen Fruchtaromen dennoch kräftig erscheinen. Diese Reinheit sorgt dafür, dass die Pays d’Auge Destillate zumeist qualitativ höher angesehen werden als die einfachen Destillate aus kontinuierlichen Brennanlagen, da diese ja „nur“ einfach destilliert werden.
Kontinuierliche Destillation
Der Gegensatz zur im Pays d’Auge vorgeschriebenen Pot-Still Destillation ist die deutlich effiziente und damit auch günstigere Kolonnen-Destillation, welche wir vor allem vom Vodka kennen. In dieser vermeintlich einfachen Destillation wird über ein kompliziertes System der Cidre in einem Rutsch destilliert. Das dies jedoch nur die halbe Wahrheit ist, wird dann deutlich, wenn man sich dem System der Kolonnen-Destillation bis ins Detail nähert. Über eingelegte Böden in der Brennapparatur wird das Destillat immer wieder rektifiziert und re-destilliert, so dass am Ende ein zwar zügig hergestelltes Destillat steht, dessen Fruchtaromen jedoch äußerst komplex wirken können.
Dieses Prinzip verdanken wir dem irischen Steuerbeamten Aeneas Coffee, welcher 1831 dieses System patentieren ließ und damit unter anderem die Gin-Entwicklung entschieden mitprägte. Eine der wichtigsten Punkte bei dieser Art des Brennens ist die logistische Planung der Zeit, in der die Brennapparatur vor Ort zur Verfügung steht. Dabei gilt besonders die Stetigkeit als ein wichtiges Element zur Herstellung ausgezeichneter Destillate. Nur ein kontinuierlicher Zufluss von Cidre und Feuer, als auch ein sicherer Abfluss des fertigen Destillats ermöglichen gleichbleibend hohe Qualität.
Ähnlich wie bei den Pot-Stills besitzen auch die Hersteller von Calvados außerhalb des Pays d’Auge kaum eigene Brennblasen, so dass diese nach der Ernte als Abfindungsbrennereien mobil auf ihrem Weg durch die Normandie viele Kilometer zurücklegen und vor Ort gemietet werden können. Von den rund 100 Apparaturen sind bei knapp 6000 Herstellern – nur im A.O.C. Calvados – die meisten mobil.
Was die Qualität noch beeinflusst
Viele Dinge – vor allem die Qualität des Cidres und die Art der Brennblasen sind entscheiden für den späteren Geschmack des fertigen Calvados. Doch auch kleinere Stellschrauben sind von hohem Interesse. Neben der Altersstruktur des Cidres – je länger ein Cidre im Fass auf seine Destillation warten durfte, desto aromatischer wird das Destillat – ist es lohnend darüber nachzudenken, ob man mit der Feinhefe destilliert oder nicht. Die Frage „sans lie“ oder „sur lie“ gilt – auch hier lässt sich eine Analogie zum Cognac ziehen – als reine Frage der Philosophie, entscheidet jedoch über die Wuchtigkeit des späteren Destillates. Dabei muss man beachten, wie man diesen Effekt später im richtigen Fass zu nutzen weiß.
Technisch wichtig ist vor allem die Frage, wie schnell die Destillation erfolgt. Je langsamer der Cidre erhitzt wird und je langsamer destilliert wird, desto mehr Fruchtaromen können gewonnen werden. Hierbei haben die Pot-Still Destillate einen erheblichen Vorteil. Auch bei diesem Aspekt gilt es zu beachten, welche Art und Altersstufe von Calvados erzeugt werden soll. Gerade jüngere Qualitäten – V.S. oder VSOP können unter einer enormen Fruchtextraktion eher robust und wuchtig wirken, bzw. ihre Frische verlieren.
Auf der Suche nach der Wahrheit
Schlussendlich stellt sich die entscheidende Frage, ob es tatsächlich ein Besser oder Schlechter gibt und vor allem: hat dies etwas mit der Art der Destillation zu tun? Die Antwort muss schlichtweg lauten: nein. Es gibt fantastische Calvados aus dem A.O.C. Calvados, welche durch Destillations-Kolonnen gelaufen sind – an erster Stelle muss man hier die Produkte von Marie-Agnes Herout nennen; genauso wie es fantastische Produkte gibt aus Pot-Still oder aber auch Abfüllungen, die aus eben jenen erfolgsversprechenden Batch-Destillationen kommen und von nicht ganz so ausgesprochener Qualität sind und eher dem Massenmarkt zugesprochen werden.
Die Wahrheit gibt es nicht, auch kein objektives Gut oder Schlecht, sondern vielmehr eine Frage des Stils und der gewünschten Aroma-Struktur. Zumal ein weiterer wichtiger Aromaeinfluss noch ansteht: die Reifung der Destillate im Fass.
Über jung und alt – die Wahl der Fässer und das Thema Alter
Wenn das Destillieren der Cidre so etwas wie den Herzschlag von Calvados ausmacht, so ist die Fassreifung die Seele des berühmtesten aller Apfelbrände. Doch dabei geht es um mehr als die Frage, wie lang die Destillate in Fässern liegen. Es geht um Stile der Brände, um Philosophien und um frisches und altes Holz. Und ganz ein wenig geht es auch um Alter. Aber mit dem Alter ist es so wie mit dem Wetter, je mehr man darüber redet, umso unwichtiger wird es.
Gesetzlicher Rahmen
Grundsätzlich gilt für Calvados – egal aus welchem A.O.C. ein Mindestalter von zwei Jahren. Diese Zeit müssen alle eaux-de-vie in Eichenfässern verbringen, um überhaupt in die Kategorie aufgenommen zu werden. Doch allein schon das Berechnen jener Altersstruktur ist bei Weitem nicht so einfach, beginnt das Zählen der Jahre auf dem Alterskonto jedes Destillates doch immer genau am 01. Juli des Jahres nach der Destillation. Wird aus dem Cidre zweifach ein eau-de-vie gebrannt, so spricht man von einem einer 00 Struktur. Am 1. Juli des Folgejahres dann – und dabei ist es egal, ob der Cidre vorher im Februar oder im September destilliert wurde – erreicht das eau-de-vie die Altersstruktur 0 und nun beginnt – unter der trivialen Annahme, dass sich das Destillat in einem Fass befindet – das klassische Zählen. Nach mindestens zwei Jahren in den Eichenholzfässern darf der Inhalt dann mit min. 40%vol. in der Flasche als Calvados verkauft werden.
Altersstrukturen auf einer Flasche
Alter | Bezeichnungsmöglichkeit auf dem Etikett |
2 bis 3 Jahre | V.S., Trois Etoiles, Fine |
3 bis 4 Jahre | Vieux, Reserve |
4 bis 5 Jahre | VO, Vieille Reserve |
5 bis 6 Jahre | VSOP |
über 6 Jahre | Hors d’Age, Extra, XO |
Wenn die eaux-de-vie die Dauer von zwei Jahren in den Fässern verbracht haben kann man diese unter der Qualitätsbezeichnung V.S oder fine abfüllen. Darauf aufbauend entwickelt sich eine Vielzahl von Bezeichnungen für die unterschiedlichen Altersstufen, die auf den ersten Blick äußerst verwirrend anmuten. Hier muss man einfach wirklich genau lesen, was auf dem Etikett vermerkt ist und im Zweifelsfall noch einmal nachschauen, was diese Formulierung bedeutet. Die wichtigsten Bezeichnungen haben wir für Sie nebenstehend zusammengefasst.
Nebenbei gibt es natürlich die transparenteste aller Möglichkeit der direkten Angabe der Jahre direkt auf dem Etikett.
Neben diesen bekannten Strukturen tauchen in den letzten Jahren immer wieder auch Jahrgangs-Calvados’ auf, deren Früchte alle aus einem Jahr stammen und damit einer besonders guten Ernte Respekt zollen. Hierbei geht es vor allem um das Moment der Seltenheit und diese Abfüllungen dienen vor allem der Bewerbung des Anbieters und natürlich auch der gesamten Kategorie. Es ist wahrscheinlich mehr Marketing als alles andere, aber wer tatsächlich mal ein Vintage-Tasting bei u.a. Lecompte miterleben durfte, der empfindet solche Jahresgegenüberstellungen natürlich auch als äußerst spannend. Von daher haben diese eher modischen Erscheinungen natürlich völlig ihre Berechtigung.
Die Rolle des Holzes
Welches Holz zur Reifung von Calvados genehmigt ist, gibt das I.D.A.C. schlicht und ergreifend vor: Eiche. Damit hört die Reglementierung jedoch auch schon auf. Es gibt keine exakten Vorschriften, wo diese Eiche herkommen muss oder welche Sorten zulässig sind und welche nicht. Nach vielen Gesprächen mit Calvados Herstellern jedoch scheint sich die europäische quercus patreae, also die Traubeneiche als beliebteste Variante herauszustellen. Ihre Feinporigkeit produziert einen eher tannin-armen, etwas weniger holz-intensiven Stil, der die Fruchtaromen in den Mittelpunkt rückt. Und dies scheint – analog zu Cognac – gerade das Ziel zu sein. Das Fass spielt hier in der Normandie nicht die so bedeutende Rolle wie zum Beispiel für schottischen Whisky; hier ist es vor allem eines: Container.
Doch auch dies ist nur ein Teil der viel komplexeren Wahrheit. Es ist immer eine Frage der anvisierten Stilistik und des geplanten Alters des späteren Calvados – doch dazu später mehr. Das Holz als solches kommt entweder aus einem der großen französischen Waldgebiete oder aus dem deutlich günstigeren Osteuropa. Da jedoch vor allem die kleineren Häuser auf älteres Holz setzen – wie wir später sehen werden – ist dies ein noch nicht so relevanter Trend, wie er es im Weinbusiness schon ist. Die meisten Fässer in den Lagerhäusern der Normandie sind aus französischer Eiche.
Zwischen Fass-Größen und Fass-Formen
Diese französische Eiche muss, bevor Sie dann zu Fässern verarbeitet wird, mindestens zwei Jahre trocknen, wobei drei Jahre ganz gute Ergebnisse erbringt. Das Holz wird in knapp 3 cm Tiefe Dauben gearbeitet, welche dann zu Fässern werden. Die Größe dieser Fässer kann sehr unterschiedlich sein, beläuft sich jedoch zumeist irgendwo zwischen 200 und 600 Litern. Die Formulierung Barrique ist hier zwar typisch, darf jedoch nicht mit der Bordeaux-Fass Größe von 225L verwechselt werden. Eine Problematik, die sich nur allzu oft zeigt; schließlich lässt sich eben jenes Barrique auch einfach mit Fass übersetzen.
Während man in den großen Häusern – Busnel, Pere Magloire oder Boulard – in den Lagerhäusern sehr strukturiert arbeitet und zumeist Einheitsgrößen verwendet, lassen sich in den unzähligen kleinen Calvados-Häusern eine Vielzahl an unterschiedlich großen Fässern finden. Teilweise gleicht dabei keines dem anderen. Neben den uns bekannten Fassformen ist es vor allem das Foudre genannte Fass, welches für Abwechslung sorgt. Diese alte Fassart ist nicht kreisrund, sondern oval. Mit einer besonderen Reife soll dies nichts zu tun haben, sondern vielmehr aus einer Zeit kommen, als nach Fassgrößen besteuert wurde und diese Fässer deutlich schwerer in ihrem Volumen zu bewerten waren. Eine charmante Anekdote, die jedoch die Meisterzählte hinsichtlich dieser Eigenart ist.
Altes und neues Holz
Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit Fässern ist die nach dem Alter eben jener. Die Chemie eines Fasses funktioniert hier im Norden Frankreich wie sonst überall auch. Je jünger ein Fass ist, desto mehr Pigmente, Tannine und Aromen kann es auf das eau-de-vie abgeben – im Umkehrschluss gilt: je älter ein Fass ist, desto geringer dessen Einfluss. Mit diesem Wissen lässt sich äußerst flexibel arbeiten.
Wenn man einen jungen Calvados produzieren möchte, so empfiehlt es sich, deutlich aktivere Fässer zu nutzen, die innerhalb der kurzen Reifezeit – mindestens jedoch zwei Jahre – ordentlich Struktur, Farbe und Aroma auf das Destillat geben. Hat jedoch das eau-de-vie ausreichend Zeit zu reifen, so sollte man immer ältere Fässer benutzen, werden diese doch niemals in ihrer Ausprägung die primären Fruchtaromen überlagern. Schließlich gilt es das Herz der Normandie in Flaschen zu bringen. Und dieses Herz hat nun einmal die Form eines Apfels. Diese Aromatik zu hofieren ist das erklärte Ziel der Fassarbeit.
Um eine perfekte Balance zu erreichen hat man im Laufe der Zeit viele unterschiedliche Möglichkeiten entdeckt. So lässt sich das zu lagernde Destillat auch gerne mal umbetten und nach einer gewissen Zeit in sehr alten Fässern – teilweise bis zu 70 Jahre in Benutzung – für einen kurzen Tanninantritt nochmal in jüngere Fässer bringen. Es wird sogar manchmal ein Fass dergestalt gebaut, dass sich junge und alten Dauben abwechseln.
Sherry, Port und Whisky
Im Laufe der Jahre ist man hier in der Fassarbeit enorm professionell geworden. Eine Entwicklung, die vor allem einem gestiegenen Qualitätsanspruch entsprungen ist. Doch nicht nur in der Arbeit mit unterschiedlichen Fassgrößen und Altersstrukturen arbeitet man hier.
Sehr selten, aber jedoch äußerst spannend sind die Fässer, in denen vorher nicht nur schon anderer Calvados war, sondern Wein. Es sind jene kleinen Schätze, die man immer erst bei genauerer Betrachtung findet. Auf Ihnen stehen weit entfernte Orte: Porto zum Beispiel, oder Jerez. Es sind Fässer, in denen vorher Sherry oder Port lagerte und die diese Aromen nunmehr auch hier an das Destillat abgeben. In manchen Brennereien finden sich sogar ehemalige Whiskyfässer. Der Trend zum Fassmanagement ist auch hier im Norden angekommen. Auch wenn es seltene Abfüllungen sind, die dezidiert darauf hinweisen, dass sie aus eigentlich untypischen Fässern für Calvados kommen. Gerade diese Experimente sind äußerst spannend und vor allem wohlschmeckend.
Je älter, desto…
Wenn es um das Thema reife geht, dann darf natürlich eine Betrachtung nicht fehlen: die des Alters. Bei Calvados ist es wie bei eigentlich allen anderen Spirituosen auch: es wird als erstes nach dem Alter gefragt und wenn überhaupt, dann erst sehr viel später nach der Art der Apfelsorten, der Fermentation oder der Destillation. Doch all diese Punkte sind für die strukturelle Entwicklung, für die stilistische Ausprägung des Calvados von so unendlich wichtiger Entscheidung. Die Fassreife kann nur dann ihren Teil dazu beitragen, wenn sie im Sinne der Gesamtphilosophie stattfindet. Und dafür zählt einzig und allein das Endprodukt.
Dies ist vor allem bei den vielen kleinen Herstellern erlebbar, die ganz bewusst mit Holz arbeiten und so Abfüllungen erzeugen, die in ihrer Filigranität unschlagbar sind. Wobei man dabei immer wieder sagen muss, dass selbst große Häuser hier in der Normandie ein Volumen produzieren, da lachen die meisten schottischen Whiskydestillerien drüber.
Es ist halt alles etwas anders hier im hohen Norden Frankreichs, aber genau dies macht den Reiz von Calvados aus. Jenem berühmten Apfelbrandy, der nach seiner Reifung jetzt nur noch geblendet werden und mit mindestens 40%vol. abgefüllt werden muss.
Damit endet unsere Reihe über die Herstellung von Calvados. All die spannenden Aspekte lassen sich nun am besten Revue-passieren bei einem guten Schluck.