Dieser Kommentar erschien im Rahmen einer in den sozialen Medien stattgefundenden Debatte über den Verkauf des deutschen Ginwunders Monkey 47 im Jahr 2016 ursprünglich auf spirit-ambassador.de. Die durchschnittliche Lesedauer beträgt 8 Minuten.
Gedankengänge – wie ein Affe die Wacholderwelt ein zweites Mal verrückt macht
Es gibt Pressemitteilungen, die werden registriert, als wichtig oder unwichtig bewertet und gegebenenfalls kurz in die social-media Kanäle geschossen. Die Halbwertzeit solcher mal besser mal weniger gut produzierten Informationen liegt zumeist irgendwo zwischen einem Bourbon-Shot und dem Genuss eines Glases alten Cognacs. Selten in der Länge einer Flasche. Eine am 29. Januar 2016 verbreitete Meldung hingegen vermochte es, die Barwelt in einen Kommentar- und Analyse-Zwang zu stürzen, wie er schon lange nicht mehr im Gebälk der Spirituosenindustrie wahrgenommen wurde. Der Grund dafür liegt schlicht und ergreifend darin, dass sich der zweitgrößte Spirituosenkonzern der Welt Pernod Ricard (Jahresumsatz 8,558 Mrd. € im Geschäftsjahr 2014/2015) die Mehrheit an dem Schwarzwälder Gin Monkey 47 der Black Forrest Distillers GmbH einverleibte. Eine Nachricht, die erwähnenswert ist – allemal! Doch warum löst diese marktpolitische Neuigkeit solche Debatten aus? Der Grund liegt womöglich darin, dass es sich nicht nur um die Vorzeigemarke des deutschen Ginmarktes handelt, sondern vielmehr, dass sie an den Grundfesten des Ginhypes kratzt – dem stilisierten Kampf zwischen David und Goliath, zwischen großer Industrie und der Leidenschaft der Craft-Destillers. Der Aufschrei jedenfalls war beeindruckend. Versuchen wir doch mal an dieser Stelle einigen Ansichten dazu auf den Grund zu gehen, zu schauen was es eigentlich bedeutet, wenn die Leute über Hypes sprechen und wie es gänzlich um die Ginwelt bestellt ist.
Doch beginnen wir diese Diskursanalyse mit den Fakten.
Gin aus deutschen Landen
Als 2010 das erste Batch Monkey 47 – Schwarzwald Dry Gin auf den Markt kam, brach eine wahre Euphorie – vor allem der Barszene – los. Die Ginnaissance hatte schon begonnen, nur ein regionales Produkt fehlte noch. Am besten handcrafted und mit einer schönen Geschichte erzählt. All dies bot die kleine Apothekerflasche aus Loßburg von den Herren Alexander Stein und Christoph Keller. Schon ein Jahr später erlangte der Schwarzwald-Gin internationale Reputation durch verschiedenste Auszeichnungen globaler Spirituosenwettbewerbe und es dauerte nicht lange, da fand man ihn hinter jeder gut sortierten Bar in dieser Republik. Ein Wegweisender war geboren, ebnete doch diese Geschichte jenen Weg für eine völlig neue Kategorie in der Wacholderspirituose: den deutschen Gin.
Dass diese Kategorie so vielseitig und differenziert ist, muss erwähnt werden, spielt jedoch in der schlussendlichen Wahrnehmung – vor allem der Konsumenten – kaum eine Rolle. Was zählt ist ein solides Produkt, eine schmeichelnde Präsentation, eine gute Geschichte und vor allem etwas Einzigartiges. Wenn dies alles zusammenkommt, dann kann dem small batch Produkt eigentlich nichts mehr im Wege stehen. An dieser Stelle sollte es tunlichst unterlassen werden, auf die geschmacklichen Unterschiede mit dem süffisanten Hinweis der Qualität zu verweisen, denn schlussendlich ist der Geschmack etwas absolut Privates und wer bin ich, dass ich Diesen einer anderen Person bewerten darf. Monkey 47 schmeckte damals und irgendwie auch heute noch fast jedem und ist zum Sinnbild der Wacholdererfolgsgeschichte „made in germany“ geworden. Auch in den letzten Winkeln dieser Republik hat man es heute verstanden, dass es zum guten Ton gehört, diesen deutschen Gin („Wie, es gibt noch andere?“) im Portfolio zu haben. Distinguiert sich doch der konsumneurotische Groß-, Mittel- und Kleinstädter hierzulande über sein ausgeprägtes Verhalten beim Bestellen von Gin & Tonic. Hauptsache mit Gurke!
Beenden wir diese kleine Augenzwinkerei und kehren zurück zu den Kerngedanken.
Die Vielfalt des Diskurses
Die am 29.01.2016 durch den Äther geflogene Pressemitteilung wurde postwendend von allem Meinungsbildner der Szene aufgenommen. Seien es klassische Wiederverwertungen der Information wie auf Eye for Spirit oder falstaff als klassisches Szenemedium oder in den Wirtschaftsspalten – auch in deren Büros ist Gin & Tonic schließlich angekommen. Das meinungsabbildende Fachmagazin im deutschsprachigen Raum, die Mixology veröffentlichte einen Kommentar der schon deutlich einen anderen Farbton im Klang an den Tag legt, jedoch völlig zu Recht entspannt und professionell die Situation darlegt. Spannender jedoch ist der Diskurs, der sich in der Barszene kurz darauf entwickelte. Als Abbild dieser Bandbreite möchte ich auf zwei konkrete Debatten verweisen, die sich beide auf Facebook abspielten. Zum einen sei hier eine Debatte erwähnt, die auf der Timeline von Moritz Niederstrasser zwischen Barleuten stattfand und zum anderen auf der Seite der Hamburger Barinstanz Le Lion von Jörg Meyer, dessen Diskurs sich eher zwischen den Gästen und damit den Konsumenten abspielt.
Bei Moritz Niederstrasser fängt es mit der Einführung des mittlerweile allzu beliebten Wortes Hype an. Sehr offen und umwertend stellt er die Frage, ob nationale Produkte (wohl gleichzusetzen mit Regionalbezug und Manufakturarbeit oder zumindest Crafted) als Kontrapunkte zu Produkten aus dem Portfolio eines internationalen Großkonzerns die notwendige Erscheinung zum Auslösen eines Hypes sind. Weiterführend entwickelt er daraus die Frage, ob mit der Globalisierung der Marke Monkey 47 durch Pernod Ricard nunmehr der Hype des deutschen Gins vorbei wäre.
Meine These : Betriebswirtschaftlich macht es sicher Sinn, ihn zu behalten. Ethisch gesehen sollte man kleine Unternehmen unterstützen , die neben Botanicals auch Liebe verarbeiten
Axel Klubescheid
Die Antworten darauf waren erstaunlich ambivalent, wobei keiner der Beteiligten sich in Richtung einer negativen Bewertung äußerte. Sicherlich wurden Ängste artikuliert, die auf frühere Erfahrungen mit anderen Produkten (Verminderung des Alkoholgehalts oder Veränderung des Aromenprofils) verweisen; der Tenor jedoch ist, dass es schlussendlich um das Produkt als solche gehen müsse und nicht um den dahintersteckenden Besitzer oder Distributionskanal. Erstaunlich häufig wurde der Begriff des Hypes aufgegriffen und von Seiten Sven Riebels sehr deutlich in die Schranken gewiesen. Der Kopf des Seven Swans & The Tiny Cup in Frankfurt am Main insistierte gegen eine übermächtige Instanz mit den Worten „Keinesfalls…es gibt kein Hype. Nur künstlich konstruiertes…bleib mal bei deiner Zunge[…]“ um später seinen Standpunkt nochmals zu verdeutlichen: „Es gibt kein Hype, es gibt nur Produkte! Und es gibt Zungen, wie deine Herr Niederstrasser, die kontrollieren und entscheiden, ob Produkte verdienen, verkauft zu werden. Stay real! Punkt.“ Für Ihn kommt es auf die rein geschmackliche Beurteilung eines Produktes an, die wohl fairste und ehrlichste – wenn auch häufig schwerste Entscheidungsfindung, da sie vermeintlich ohne emotionale Trigger auskommt.
Erstaunlich ähnlich verläuft der Diskurs auf der – natürlich belebteren Fanseite – der Hamburger Bar aus der Rathausstraße 3. Auf die Frage „Soll man Monkey 47 nun aus dem Programm nehmen um neue, kleine, unabhängige Hersteller zu featuren oder den Affen im Programm lassen – schliesslich ist es ein großartiger Gin…“ eröffnet sich eine belebte Debatte. Es wird hier durch einige Gäste versucht, ihren Lieblingsgin (einen anderen als Monkey) in Stellung zu bringen, was natürlich mehr als fair und verständlich ist, da wir alle in unserer Lieblingsbar das präferierte Produkt genießen möchten. Doch die Mehrheit beruft sich ebenfalls darauf, dass es um die Qualität eines Produktes geht und nicht um die Zugehörigkeit zu einer Firma. So auch ein Kollege und Kenner der Szene. Axel Klubescheidt (Brand Ambassador von Absolut Vodka) bringt es sehr offen auf den Tisch: „Verstehe ich nicht so ganz. Ist nicht die Nachfrage und der Geschmack entscheidend? Für den Gast um den es geht. Diesen interessiert doch nicht wer das Produkt vertreibt. Meistens wissen die garnicht wer genau Pernod Ricard, Diageo, etc ist. Wenn mein Lieblingsfussballer zum Bayern München geht verbrenne ich ja auch nicht sein Trikot.“ Eine im Grundtenor ähnliche, jedoch den Kern des Pudels knackiger treffendere Aussage kommt von Phil von Kretsche (einem Gast des Löwen), der sehr trocken analysiert: „Einer der brandcalls… Viele bestellen ihn, um Wissen und Nerdigkeit nach außen zu tragen, aber schmecken muss das nicht allen, die danach rufen… Ob sich die Qualität verändert? Der Preis? Man wird es sehen … Und schmecken … Meine These : Betriebswirtschaftlich macht es sicher Sinn, ihn zu behalten. Ethisch gesehen sollte man kleine Unternehmen unterstützen , die neben Botanicals auch Liebe verarbeiten.“
Nicht unerwähnt sollen auch die Aussagen bleiben, die völlig legitim in die andere Richtung denken. Ein weiterer Gast sieht in dieser Möglichkeit zur Veränderung nicht nur die Chance für neuere – vor allem kleinere- Brands, sondern auch eine Gewisse Verantwortung für die Experten: „Defokussieren und New Commern eine Chance geben. Nur so ist der Anreiz da das neue Gute Drinks entstehen. Monkey wird weiter wachsen, auch ohne Euch. Aber Profis wie ihr solltet experimentieren. Mainstream wird es überall zu kaufen geben. Ich freu mich auf unbekannte Gin’s die von Euch in Zukunft entdeckt werden.„
Ein gutes Produkt bleibt ein gutes Produkt, daran ist nicht zu rütteln, doch es verbinden sich hier die beiden Teildiskurse zu einem Großen. Hier wird wieder an die Ausgangsfrage von Herrn Niederstrasser angeknüpft. Und die Debatte um den Faktor der Gentrifizierung der Drinkbestellung erweitert.
Hype vs. Trend – ein Blick in das Lexikon
Erstaunlich (oder erwartender Weise) fiel nunmehr schon häufig das Wort ‚Hype‘. An dieser Stelle kommt eine äußerst spannende Gegenüberstellung ins Spiel, welche vor einigen Jahre in einer Diskussionsrunde durch Jürgen Deibel aufgeworfen wurde. Dieser regte an, zwingend zwischen Trend und Hype zu unterscheiden – schon damals ging es um Gin. Schaut man im Wörterbuch der Wikipedia nach, was unter Trend und Hype zu verstehen ist, so ergebe sich zwei deutlich voneinander abgrenzbare Wertebereiche. Während bei Trend eine (allgemeine) Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu erkennen ist, stellt der Hype ein „großes Getue, übertriebene Propaganda, Riesenrummel um eine Tatsache, Sache oder Person“ dar. Diese Dichotomie zu eröffnen ist nicht nur intelligent, sondern auch spannend in Bezug auf Marktentwicklungen und Bewertungen
„Quo vado, non potes me modo sequi, sequeris autem postea” [Johannesevangelium 13, 36]
Es ist vor allem solchen Barleuten wie besagtem Jörg Meyer zu verdanken, dass eine scheinbar knappe Presse-Information solche Ausmaße annimmt. War er doch einer der Ersten, welche die Kategorie Gin vor einigen Jahren entstaubten und zu neuem Glanz verhalfen. Im Zuge der Ginnaissance wurde ein Getränk zur absoluten Galionsfigur eines neuen, wacholdergeschwängerten Lifestyles – der Gin & Tonic. Und mit diesem augenscheinlich einfachen zwei Komponenten-Drink entspann sich ein Universum schier unendlicher Möglichkeiten – angefeuert durch immer neue Gins und später dazu gehörige Tonics. Eines dieser Zugpferde ist und wahr bis heute Monkey 47. Und wie von einige Diskursteilnehmern völlig richtig bewertet, ist der Verkauf an ein globales Unternehmen ein sehr vernünftiger Zug. Ermöglicht es doch die Distribution in die ganze Welt – ein gerade für kleinere Unternehmen eigentlich nicht zu stemmender Schritt. Gin is in und deutscher Gin wird international.
Doch wie verhält sich dies nun mit dem Trend und dem Hype? Dies ist immer eine Frage der Perspektive. Gerade in den Bar-Zentren fühlt es sich langsam, aber sicher so an, als wäre der Hype deutlich am Abklingen. Besser formuliert: hinter der Bar ist Gin angekommen und aus dem Hype ist ein Trend geworden, der sich etabliert hat. Auf der anderen Seite jedoch fängt der Hype gerade erst richtig an. Vor allem, wenn aus dem distinguierten Gast einer guten Bar ein Kunde im Einzelhandel wird. Und dort – das darf man auch nie vergessen, werden die Paletten geschoben, die ein nachhaltiges Arbeiten der Industrie ermöglichen.
Der Hype kann anstrengend sein. Er ist anstrengend bei den Massen an Produkten, welche auf den Markt geworfen werden, um nur am Hype zu partizipieren. Es ist anstrengend, Leuten allabendlich dabei zu erleben, wie sie sich durch ihre Bestellung zu etwas stilisieren, was sie nicht sind: Spirituosenexperten mit dem ultimativen Wissen über den perfekten Gin & Tonic. Teilweise in äußert dogmatischen Dimensionen. Und es ist anstrengend, oftmals mitleidige Blicke zu ernten, wenn man einfach einen Tanqueray mit Schweppes ordert. Es ist anstrengend. Vielleicht – aber das ist mehr ein privates Problem.
Was uns diese Pressemitteilung – die keine 48 Stunden alt ist und dennoch ein solches Echo erzeugt – lehrt, ist die Gewissheit, dass Gin die Leute immer noch bewegt. Die Konsumenten stärker als die professionelle Barszene, doch jene immer noch ausreichend genug, um sie länger in Diskussionen zu verstricken. Und diese Dynamik hält die Kategorie Gin noch lange am Leben. Spannend wird es zu beobachten sein, was sich am Ende tatsächlich durchsetzt und was mit der Halbwertszeit eines Gin & Tonics wieder verschwindet. Eines jedenfalls ist gewiss. Monkey 47 hat es geschafft. Der Startup Marathon ist überwunden und nun gilt es, die Welt zu erobern. Wir haben uns zu bedanken für einen Hype, der durch diese Marke mit kreiert wurde, aber an dem wir allen unseren Spaß hatten und einige Viele ihn noch haben werden. Darauf einen White Monkey – einer der häufigsten angeführten Gründe, warum dieser Gin wohl im Le Lion bleiben wird! Herr Meyer, Herr Kappes – Lieferservice? bitte! Und dem Affen alles Gute auf seiner Reise!