In diesem Artikel erfährst Du alles zur Geschichte der wohl populärsten Spirituose unserer Zeit. Von den Anfängen des niederländischen Genevers über die Reise nach England und die dunklen Zeiten des Gin Craze bis hin zum erneuten Aufstieg unserer Tage. Ein großer Überblick über die wohl europäischste Spirituose von allen. Die geschätzte Lesezeit beträgt 12 Minuten.
Von den Anfängen eines Gegenentwurfs zum kampferprobten Mutmacher
Dass die Spirituosenkategorie Gin seit einigen Jahren schwer im Trend ist, hat man mittlerweile auf der ganzen Welt eingesehen. Überall wird lokal, mit persönlicher Geschichte oder mit vermeintlich äußerst innovativen Ideen Alkohol hergestellt oder veredelt und als den „neuen Stern am Gin Himmel“ in höchste Sphären gelobt. Was davon schlussendlich diesen Hype überstehen wird und was nicht, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Eines darf man nämlich nicht vergessen: die letzten Jahre der Image-Politur sind nur ein kleiner Bruchteil der Geschichte des klaren, mit Wacholder aromatisierten Destillats. Wenn man diesen Alkohol verstehen will, so muss man viele Jahre in der Zeit zurück gehen. Begleiten Sie uns auf eine Reise durch die letzten Jahrhunderte und durch die Kultur- und Sozialgeschichte Mitteleuropas und später hinüber in die neue Welt.
Jedem Anfang wohnt ein … Ende innen.
Um grundlegend zu verstehen, welche besondere Rolle Destillate wie Gin – oder auch Vodka – in der (europäischen) Kulturlandschaft einnehmen, muss man sich dem populären Gegenspieler gewiss sein: Weinbrand, Cognac oder Brandy. An diesem Punkt wird die absolute Differenz deutlich – handelt es sich doch um zwei gegensätzliche Grundstoffe, welche zur Destillation herangezogen werden. Auf der einen Seite (in diesem Fall die südlichere) haben wir eine Kultur-Landschaft, die vom Weinanbau lebt und weiter im Norden ein Klima, dass dies mehr oder minder unmöglich macht. Dazwischen liegt eine unsichtbare Grenze, die in der englischen Fachsprache als grape / grain divide bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um eine unstete Grenze zwischen unterschiedlichen europäischen Klimazonen. Diese jedoch exakt zu bestimmen ist schier unmöglich, da sich im Laufe der Zeit das Klima – Stichwort Erderwärmung – permanent ändert.
In der für uns relevanten Zeit – dem frühen 16. Jahrhundert – lag diese Grenze weitaus südlicher und so war in der Region Mitteldeutschland wenig bis gar nicht an Weinanbau zu denken.
Thüringen – das Zentrum der Welt
Eine sehr dankbare Alternative zu Wein war Getreide – die Grundlage des späteren Gins. Das Problem an Getreide ist nur, dass es sich deutlich umständlicher zu Alkohol verarbeiten lässt, als dies bei Früchten im Allgemeinen und natürlich bei Weintrauben im speziellen der Fall ist. Dieser natürliche Vorsprung der Weinregionen zeigt sich auch in der erstmaligen Erwähnung von Destillaten aus den jeweiligen Ausgangsprodukten. Während in der französischen Region der Gascogne schon im Jahre 1411 erstmalig ein Weinbrand (Brandy) erwähnt wird, dauert es für Mitteleuropa knapp 100 Jahre länger. Erst im Jahre 1507 findet sich ein juristischer Beleg für die Herstellung von höherprozentigem Alkohol, als man in der Freien Reichsstadt Nordhausen (heutiges Thüringen) eine Branntweinsteuer erhob. Genau lässt sich das Ausgangsprodukt jedoch erst 1545 verifizieren, denn in diesem Jahr wird in selbiger Stadt ein Verbot zu Herstellung von Kornbrand ausgerufen. Verbote sind aus historischer Perspektive – ähnlich wie Steuererlasse – immer ein gutes Zeichen für eine gewisse Marktdurchdringung neuer Produkte.
Mit einem kleinen Sprung von Thüringen in die damaligen spanischen Kolonien beginnt nun die Entstehungsgeschichte des Gins wahre Wellen zu schlagen. Dort, ca. 40 km nördlich der mittlerweile prosperierenden Handelsmetropole Rotterdam wird 1550 erstmals ein Begriff und damit ein Produkt überliefert, welches mit Fug und Recht als Großvater des heutigen Gins bezeichnet werden kann. In der ältesten Universitätsstadt der heutigen Niederlande – in Leyden – wurde damals erstmalig und verbrieft Genever hergestellt. Dieser mit Wacholder (iunevi parus, Juniperus – dieser Pflanze wurde schon im antiken Griechenland eine desinfizierende und heilende Wirkung zugeschrieben, so dass es nicht verwunderlich ist, dass man früher oder später auf die Idee kam, sie mit Alkohol zu kombinieren) versetzte Branntwein war jedoch im Verhältnis zu den französischen Weindestillaten wenig hoch angesehen und galt als minderwertiger Alkohol. Dies ist übrigens für alle Kornbrände der damaligen Zeit anzumerken. Die Konsumenten dieser Produkte waren vorwiegend arme Leute und Soldaten, denen es tendenziell um ein zielorientiertes Konsumverhalten ging, denn um den Genuss. Vor allem letzterer Gruppe ist der Siegeszug des Wacholdergetränks zu verdanken.
Dutch Courage
Noch vor der Gründung des geschichtsträchtigen Hauses Bols (1575) und deren einsetzender Genever Produktion begann eine der wichtigsten Zäsuren für die Trendspirituose heutiger Tage. Im Zuge der europäischen Reformation und politischer Veränderungen kam es auch in den heutigen Niederlanden zu gewaltsamen Aufständen gegen die spanische Krone, die eng mit dem Katholizismus verbunden war. Mit aller Härte versuchten die Spanier unter König Philipp II. die Macht zu behalten. Im Jahr 1568 begann sich jedoch die Wut der ca. drei Millionen Niederländer – im Übrigen waren fast alle wegen Häresie durch die Inquisition zum Tode verurteilt – gegen die spanischen Herrscher zu entladen und es begann eine der bedeutendsten politischen Umstürze der europäischen Geschichte: der 80jährige Krieg.
Die durch religiöse und politische Machtbestrebungen gekennzeichneten Konflikte veränderten das Gesicht Europas und sorgten für geopolitische Koalitionen, die auch auf das Konsumverhalten der Menschen Einfluss nahmen. Für den Genever war dies ohne Zweifel der Vertrag von Nonsuch aus dem Jahre 1585. Benannt nach dem einem englischen Schloss aus der Tudorzeit, handelt es sich um eine Übereinkunft zwischen den niederländischen Aufständigen unter Wilhelm I. von Oranien und dem englischen Königshaus der Queen Elisabeth I. Darin sichert die calvinistisch geprägte englische Krone den Niederländern militärische Unterstützung im Kampf gegen die katholischen Spanier in Form von 6.000 englischen Soldaten zu. Und damit beginnt der Stern zu steigen! Diese englischen Soldaten erlebten auf dem kontinentalen Schlachtfeld etwas, das sich als geflügeltes Wort bei ihnen einprägte und was sie mit zurück auf die Insel nahmen: Dutch Courage – Holländischer Mut. Dabei handelte es sich um nichts anderes als eine gehörige Portion Genever, den sich die Soldaten Mut antrinkend vor jeder Schlacht gönnten, um Sinne und Schmerzempfinden ein wenig zu betäuben. Doch waren die Briten nicht in der Lage selbiges in vergleichbarer Art herzustellen und es entsandt vielmehr ein Mysterium, denn ein neuer Konsumentenmarkt.
Brandwein und die Geschichte des Gins
Noch war Branntwein ein als minderwertig angesehenes Produkt, doch es wurde immer mehr konsumiert. Dies wird durch eine Steuereinführung im Jahre 1606 belegt. Da diese juristischen Akte meist für eine großmengige Konsumtion sprechen ist es ein gutes Anzeichen für eine weit verbreitete Anwendung – nicht nur zu medizinischen Zwecken. Auch verstand man, die Draft – also den Abfall der Kornmaische – als effektives Futtermittel einzusetzen, was einer Popularisierung zugutekam. Im Zuge des 30jährigen Krieges (1618 – 1648) flammte auch der Konflikt zwischen Spanien und den sich alsbald gründenden Niederlanden erneut auf, wurde jedoch auf Grund der finanziellen Engpässe der Spanier nicht konsequent geführt. Eben jene finanziellen Engpässe – die nicht nur die Spanier betrafen – sind es, die ebenfalls für eine Verbreitung des Wacholderdestillates führten. Denn die in den Konflikten eingesetzten Söldner – da es kaum Nationalstaaten gab musste man auf bezahlte, freischaffende Kämpfer zurückgreifen – wurden zum großen Teil mit Alkohol und Beuteware bezahlt und waren die besten Botschafter für den neuen Alkohol, der in Mitteleuropa zügig bekannt wurde.
Es werde Gin – über die Rolle des Wilhelm III. von Oranien
Die vielleicht bedeutsamste Zäsur erfuhr das mit Wacholder versetzte Korndestillat jedoch erst Ende des 17. Jahrhunderts und ist auf das Engste verbunden mit Wilhelm III. von Oranien. Der Sohn des Prinzen Wilhelm II. von Oranien und der ältesten Tochter des englischen Königs – Maria Henrietta Stuart – bestieg nach der glorreichen Revolution 1688/89 als erster nicht-absolutistischer König den Thron von England, Schottland und Irland. Mit der Absetzung des alten Königs Jakob II. endete nicht nur der Absolutismus in Groß Britannien, sondern vielmehr begann die Zeit des Parlamentarismus. Die Thronbesteigung des vormaligen Statthalters der neu gegründeten Republik der Sieben Vereinigten Provinzen der Niederlande fällt mit der Verabschiedung der Bill of Rights zusammen, genauso wie dem Beginn der offenen Auseinandersetzung mit dem katholischen Europa – allen Voran mit dem Feind Frankreich, den Wilhelm schon im Französisch-Niederländischem Krieg offen austrug.
Eine der ersten wirtschaftlichen Erlässe war ein umfangreiches Importverbot französischer Produkte, unter das natürlich auch Wein und Brandy/ Cognac fiel (1689). Zum einen sollte dadurch gezielt die französische Wirtschaft getroffen werden, zum anderen jedoch natürlich die Niederländische gestärkt. Durch den 1690 erlassenen Distilling Act wird nicht nur der Handel eingeschränkt, sondern auch den britischen Destillateuren vorgeschrieben, dass sie statt Wein oder Melasse nunmehr ihre Produkte auf Basis von Getreide herstellen sollen. Damit wurde dem Kornbrand und natürlich auch seiner wacholderaromatisierten Weiterentwicklung Tür und Tor geöffnet und er konnte seinen Siegeszug im britischen Empire antreten. Bisher kursierten vor alle die Begrifflichkeiten Genever oder Dutch Courage. Erst allmählich etablierte sich die für den anglophonen Sprachraum deutlich einfacher zu sprechende Kurzform Gin. Erstmalig erscheint dieses Wort 1714 in der Bienenfabel – einer politischen Satire von Bernard Mandeville. Dies spricht für eine schnelle und bedeutende Verbreitung des nunmehr auch in Groß Britannien hergestellten Destillats. Spätestens seit dem Tod Wilhelm III. 1702 und der Inthronisierung seiner Nachfolgerin Queen Anne wurde aus dem vormaligen Importprodukt eine Ware des Massenmarktes, denn als bekennende Liebhaberin des Gins erschuf sie fast unendlichen Freiraum zur Herstellung selbigen.
Von sozialen Abstiegen hin zu ungeahnten Höhen
Von den holländischen Genever-Brennereien zu der Trendspirituose des frühen 21. Jahrhunderts war es ein langer Weg. Gekennzeichnet von Krieg, Frieden und politischen Verwirrungen waren es häufig historische Zäsuren, die das Geschick des Gins bestimmten. Auch die sozialen Talfahrten des heutzutage als elaboriert angesehenen Alkohols prägen die heutige Wahrnehmung und den Legendenstatus des Wacholderdestillats. Doch gehen wir den Weg weiter, von den sozialen Missständen des Londons des 18. Jahrhunderts über die Cocktailära bis kurz vor heute.
Gin Craze – die soziale Sollbruchstelle des Genusses
Spätestens seit dem Tod Wilhelm III. 1702 und der Inthronisierung seiner Nachfolgerin Queen Anne wurde aus dem vormaligen Importprodukt eine Ware des Massenmarktes, denn als bekennende Liebhaberin des Gins erschuf sie fast unendlichen Freiraum zur Herstellung.
Die Massenware Gin entwickelte sich vor allem zu Lasten der Qualität der Destillate. Aus dem Jahr 1729 liegen Zahlen vor, nach denen es allein in London 1.500 sogenannter compound distillers gab. Jene Geschäfte, in denen Rohbrand mit Kräutern und Gewürzen versetzt wurde. Zur selben Zeit jedoch sind nur 24 Großdestillerien bekannt, die den Getreidealkohol und qualitativen Aspekten herstellten. Man kann davon ausgehen, dass allein in diesem Jahr 20 Mio. Liter Gin – zumeist von zweifelhafter Qualität – hergestellt und vor allem konsumiert wurden. Dies zog im selben Jahr den ersten Gin Act nach sich, der eine Besteuerung von 5 Schilling pro Gallone einforderte. Diese Besteuerung der aromatisierten Spirituosen bewog viele Hersteller in die Illegalität, was die Qualitätskontrolle und natürlich die Durchsetzung qualitativer Standards nur noch unmöglicher machte. Was folgte war ein haltloses Chaos und ein stetiger Anstieg des illegalen Alkohols in Produktion und Konsum. Angeblich wurden im Jahr 1733 mehr als 40 Mio. Liter Gin bei nur 500.000 Einwohnern allein in und um London gehandelt und getrunken – und dabei handelt es sich um mehr oder weniger legal gehandelte Ware. Diese Zeit ist in die Geschichtsbücher eingegangen als sogenannter Gin Craze. London war in den armen Stadtteilen eine durch Wacholder und Alkohol geschwängerte Hölle von Armut, Gewalt, Prostitution und Verzweiflung. Traurige Berühmtheit erlangte die Geschichte der jungen Mutter Judith Defour, die im Jahre 1734 ihre Tochter tötete, die Kleidung des Kindes verschacherte und sich von dem Erlös ein paar Gläser Gin erwarb.
Und immer wieder der Zufall
Als Reaktion auf die ausufernden Exzesse wurde 1736 der nunmehr 3. Gin Act verabschiedet, welcher eine immense Besteuerung von 20 Schilling pro Gallone vorsah. Doch das Ergebnis war verheerend. Dieses einem Verbot von Gin nahekommende Gesetz führte zu einer unkontrollierbaren Illegalität der Gin Herstellung und wurde 1742 durch einen weiteren Gin Act wieder zurückgenommen. Doch das Kind war längst in den Brunnen gefallen. Der nächste Gin Act – welcher 1751 als Tippling Act berühmt wurde, nahm die überzogenen Steuern zurück, führte Lizenzgebühren ein und schickte sich an, das Chaos zumindest einigermaßen in gelenkte Bahnen zu bringen. Über den ablesbaren Erfolg kann nur spekuliert werden, denn das Ende des Gin Craze ist weniger politischen Bestrebungen, sondern vielmehr einer Laune Mutter Natur zu verdanken. Im Jahr 1757 und den darauffolgenden kam es zu erheblichen Missernten in Groß Britannien und das Getreide wurde benötigt, die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Herstellung von Alkohol wurde einfach auf Grund mangelnden Rohstoffe extrem reduziert. Die Periode überstanden nur diejenigen Brennereien, die schon vorher vernünftig gearbeitet und gewirtschaftet hatten. Darunter noch heute bekannte Namen wie Booth’s oder Gordon’s. Dies war das Ende des Gin Craze und der Beginn einer neuen Epoche – natürlich nicht ohne Wacholder und Gin!
Wie ein Ire die Welt verändert
Die Gins dieser exzessiven Phase haben nicht im Ansatz etwas zu tun mit unseren heutigen Produkten und dies liegt vor allem an einer Person. Der vormalige irische Steuerbeamte Aeneas Coffey entwickelte im Jahr 1830 seine berühmte Modifikation des kontinuierlichen Destillationsprozesses – den Coffey Still. Diese Art der Destillation ermöglicht einen enorm reinen und hochwertigen Grundalkohol, der in seinen weiteren Verarbeitungsschritten nicht durch die Zugabe von Früchten oder anderen Süßemitteln genießbar gemacht werden muss. Die alten Gins und Genever hatten dies noch bitter nötig, da in der Hochphase des Gin Craze zum größten Teil billigster und unreiner Alkohol verarbeitet wurde. Diesen angesüßten Gin kennt man heute unter der Kategorie Old Tom oder Holland Style Gin. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass es sich dabei mitnichten um mit Zucker gesüßte Destillate handelte. Dies liegt vor allem daran, dass zur damaligen Zeit Zucker ein extrem teures Importprodukt war. Vielmehr wurden Früchte und Fruchtzucker-liefernde Aromaten genommen, den Gin zu süßen. Mit dem Coffey-Verfahren war dies nicht mehr notwendig und so kann das Jahr 1830 völlig richtig als das Geburtsjahr des Dry Gins modernen Art genannt werden.
Obwohl an dieser Stelle erwähnt werden muss, dass der erste dry-styled Gin schon 1793 destilliert wurde. Noch heute können wir uns an diesem Produkt erfreuen, handelt es sich doch um den damals durch Thomas Coates in der Black Frias Distillery hergestellten Plymouth Gin und diesen gibt es bis heute. Mit dem Aufkommen der reineren und trockeneren Gins erhob sich eine neue Popularitätswelle für Gin, die jedoch im satten Kontrast zu den Zeiten des Gin Craze stand: die Ära der Gin Paläste – feine, mit allem Pomp versehenen Trinkstätte für die neuaufkommende Mittelschicht der Industrialisierung.
Mit der ersten Gin-naissance dieser Zeit entwickelte sich ein Phänomen, das bis heute eng an die Geschicke der Wacholderspirituose gebunden ist: der Cocktail.
Der globale Siegeszug des Wacholders
Die erste Erwähnung fand diese Art des Mischgetränks im Mai 1806. In der Zeitschrift The Balance and Columbian Repository wird ein belebender Mixdrink erwähnt, der aus den Zutaten Spirituose, Zucker, Bitters und Wasser besteht und den Namen Cocktail trägt. Schnell wurde diese Form des alkoholischen Getränks populär und breitet sich nicht nur über die Vereinigten Staaten aus. Auch im alten Europa erfreute man sich der belebenden Wirkung und des neuen Flairs der Institution Cocktail-Bar. So eröffnete 1874 Leo Engel die erste Bar nach amerikanischem Vorbild am Picadilly Circus – The Criterion. Es war auch die Zeit der ersten großen Bartender und ihrer Rezeptsammlungen. Erwähnt seien an dieser Stelle die beiden Pionieren Jerry Thomas (Bartenders Guide – How to mix Drinks, 1862) und Harry Johnson (Bartenders Manual, 1882). Und mit Ihnen wurde Gin noch populärer als er es zu Zeiten der Gin Palace war. Doch noch war es Holland Gin und Dutch Gin, der die große Menge ausmachte. Noch 1880 importierten die USA sechsmal soviel Genever aus den Niederlanden wie Gin aus England. Doch mit dem Ausgehenden 19. Jahrhundert schwand auch der machtpolitische Einfluss der Niederlande – besonders in Bezug auf die Kolonien – und somit sank auch die Wirtschaftskraft des kleinen Staates.
Zwei weitere Entwicklungen sorgten dafür, dass die Erfolgsgeschichte der Kornbrenner der Niederlande sich reduzierte. Zum einen die Prohibition in den USA, die einen großen Absatzmarkt förmlich über Nacht verschwinden ließ und dazu noch Gin in der Tradition des Gin Craze wiederentdeckte: den Bathtube Gin. Dabei wird Agrar-Alkohol auf einfachste Weise in Badewannen mit Aromaten mazeriert. Einen zweiten Rückschlag erfuhren die Niederländer durch den zweiten Weltkrieg. Nach dessen Ende war von dem globalen Phänomen des holländischen Genevers bzw. des Holland Gins kaum mehr etwas übrig. Als Nutzer dieser Situation erwies sich der bekannte Dry Gin – zumeist versehen mit dem Attribut London, welcher in den 1960er Jahren zur meist getrunkenen weißen Spirituose wurde, bevor er von Vodka überholt wurde.
Dies ist natürlich auch der stetig wachsenden Cocktailwelle zu verdanken, die vor allem in den Jahren nach dem Krieg extrem anwuchs. Doch schon davor hatte der Gin einen famosen und überaus wirksamen Botschafter im Petto: den Martini Cocktail. Doch auch genau über diesen Drink lässt sich auch der Abstieg des Gins beobachten. Vodka wurde die Trendspirituose des ausgehenden 20. Jahrhunderts und fand seinen Weg in die Drinks dieser Welt. Gin hingegen galt vielen als altbacken und das Getränk der englischen Großmütter – wir erinnern uns alle an Queen Mum.
Die letzte Gin-Naissance – das 21. Jahrhundert
Doch die Zeiten sollten sich ändern. Wieder waren es die Menschen hinter den Tresen dieser Welt, die der Kategorie Gin neues Leben einhauchten. Bartender wie die Hamburger Größe Jörg Meyer aus dem Le Lion entdeckten Ende der 2000er Jahre Wacholder für sich und begeisterten schnell eine immer größer werdende Menge an Enthusiasten für klassische Drinks mit Gin. Allen voran schreitet der bekannteste Gin-Drink der Welt, der Gin and Tonic! Das Portfolio der meisten Bars heute in Bezug auf Wacholder ist gigantisch. Selten lassen sich weniger als 5 Gins finden, häufig sind es weit über 20 – ja zum Teil mehr als 100.
Viele dieser neuen Gins weisen Aromen auf, die aus den entferntesten Winkeln dieser Welt stammen. Die sogenannten New Western Style Gins überwinden häufig ihr historisches Korsett des Wacholders und greifen nach sensorischen Sternen, die wir häufig nur aus exotischen Büchern kennen.
Ein Hype ist ausgebrochen, der bis weit in die Konsumenten-Gesellschaft greift. Nicht nur Experten und Barleute beschäftigen sich mit dem schier unendlichen Markt des Gins, auch Konsumenten philosophieren über die Qualität und den Geschmack des jeweiligen Destillats. Gin is in – das ist nicht zu leugnen. Einigen, so hört man es unter der Oberfläche brodeln, ist dieser Hype schon jetzt zu viel. Nun, dass muss jeder für sich selbst entscheiden. Zu wünschen bleibt nur, dass es der Kategorie nachhaltig guttut und vielleicht auch ein bisschen Ruhm und Erfolg auf die Genever-Produzenten in den Niederlanden abstrahlt. Denen haben wir es nämlich zu verdanken, dass wir uns über die Auswahl von Botanicals und dem korrespondierenden Tonic distinguieren können.