Seit der Zeit, als dieser Artikel erstmalig auf spirit-ambassador.de. erschien, hat sich einiges getan in Bezug auf die Kategorie Tequila. Viele neue Marken sind hinzugekommen und das Bewusstsein für die mexikanische Nationalspirituose ist deutlich gewachsen. Hier erfährst Du alles wichtige über die Geschichte des Agavendestillats. Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten.
Eine Geschichte über Tequila zu schreiben ist eine erheblich schwerere Aufgabe, als man sich das anfänglich vorstellt. Es gibt nämlich so gut wie keine Quellen-Situation für das Nationalgetränk Mexikos, dessen erhöhter Konsum in Jugendzeiten zumeist dafür sorgte, dass man eine ganze Zeit lang dem Agavendestillat eher wenig nahestand. Zumindest die Einstellung zum Produkt hat sich durch die Einsicht in die enormen Qualitätsunterschiede deutlich verändert. Tequila, das ist heute mehr als Salz, Zitrone und Vollrausch. Tequila steht immer mehr für gehobene Trinkkultur und ausgezeichnete Sipping-Qualitäten. Die Informationslage jedoch ist annähernd gleichgeblieben, auch wenn es Menschen wie Sven Sudeck, Tom Jakschas oder Sonja Erler gibt, die sich leidenschaftlich und voller Enthusiasmus um diese Kategorie sorgen. Tequila ist (leider) immer noch eher Nischenprodukt als Mainstream. Nichtsdestotrotz lohnt es sich – gerade deshalb, die Geschichte hinter diesem Destillat ein wenig genauer zu betrachten.
Tequila has no history, there are no anecdotes confirming its birth. This is how it’s been since the beginning of time for tequila. It#s a gift from the gods…
Dieses Zitat des kolumbianischen Schriftsteller Alvaro Mutis zeigt auf deutliche Weise, wie es um Tequila (und Mezcal) bestellt ist. Während es bei Gin oder Whisky zumindest ansatzweise so etwas wie eine Gründungsgeschichte gibt, scheint Tequila – oder zumindest dessen Vorprodukt Pulque – schon immer da gewesen zu sein. Ein Werk Gottes – oder zumindest das Werk eines glücklichen Zufalls.
Agaven, die Grundlage für Pulque, später Tequila und Mezcal gibt es in der Region, die wir heute Mexiko nennen, schon seit mehr als 8.000 Jahren. Diese Pflanzen zählen übrigens nicht zur Ordnung der Kakteen, sondern zu den Asparagales – den Spargelartigen. Laut der aztekischen Geschichte sind diese Pflanzen als gefallene Sterne vom Himmel gekommen und somit ideal geeignet für religiöse Deutungen und Mythen. Schon damals wurde diese unkultivierte Pflanze intensiv genutzt. Ihr Fleisch diente als Nahrung und aus ihren Fasern machte man Stoffe und Teppiche. Man deckte Hütten mit ihr und die Stachel nutze man als Nadeln. Sie war Heilpflanze und zugleich Rauschmittel. Und dieses den Priestern und Kriegern vorbehaltene Rauschmittel war besagter Pulque.
Die Geschichte besagt, dass es der Blitz war, der eine Agave traf; deren Herz entzündete und einen wundersamen Nektar herausfließen ließ. Dieser Nektar weißt zwischen 5 und 7%vol. auf und ist seit ca. 200. v. Chr. bekannt. All dies sorgte dafür, dass die Agave zu einer heiligen Pflanze mit sogleich zwei Göttern wurde: Mayahuel als Göttin der Pflanze an sich und Patecatl als Gott des Pulque – beide waren passender Weise miteinander verheiratet.
Die nächste Zäsur in der Geschichte von Tequila lässt sich deutlich später finden, ist dafür jedoch umso genauer zu datieren. Im Jahre 1521 wurde die Region durch den Spanier Hernando Cortez erobert und kolonialisiert. Mit den Conquistadores kamen auch die ersten Brennblasen in die neue Welt, denn den Genuss von Alkohol wollte man natürlich sicherstellen. Doch die ersten Destillationsversuche des leicht alkoholischen Pulques misslangen. Dies – so stellte man später fest – lag an der extrem komplizierten und langen Stärke-Struktur der Agavenpflanze. Doch sehr schnell fand man eine Lösung: das vorherige Garen der Pflanzen brach die Stärke-Struktur auf und ermöglichte das Destillieren des Pulques. Der daraus gewonnene vino mezcal verbreitete sich sehr schnell im Land.
[Nachtrag: Durch die Geschichte mit dem Blitzschlag und der daraus entstehenden Hitze, sowie eines via Radio-Carbon-Methode bestimmten Gar-Ofens von 1.500 v. Chr. ist davon auszugehen, dass das Wissen um die Garung sowie deren Durchführung schon weitaus länger bekannt ist]
Be-Gründung des modernen Tequilas
Vor allem in der nördlichen Region Jalisco, welche 1530 von den Spaniern erobert und in Nueva Galicia umbenannt wurde, konzentrierte sich die Herstellung des vino mezcal – oder auch mezcal brandy genannt. Damit ist es legitim zu behaupten, dass Mezcal – und somit auch Tequila – die älteste Spirituose der Neuen Welt ist. Schon 1600 wurden dort durch Don Pedro Sanchez de Tagle, dem zweiten Marquis de Altamira Agaven kultiviert und gezüchtet – ausschließlich zur Herstellung von Mezcal. Dafür ging er in die Geschichte als Vater des Tequila ein. Wie so oft in der großen Geschichte von Spirituosen, lässt sich der Erfolg und die Popularität eines neuen Produktes zumeist an der Einführung von Steuern nachweisen, was 1608 erfolgte. Eben jener Erfolg wurde nach längerer Zeit der spanischen Krone ein Dorn im Auge, denn in der iberischen Heimat begehrten die Sherry- und Brandy-Produzenten auf, die ihre neuen Absatzmärkte verloren gehen sahen; und so wurde 1785 ein Verbot zur Herstellung von Mezcal ausgerufen.
[Nachtrag: Die Rolle de Tagles ist scheinbar deutlich umstrittener. Durch das Verbot für Einheimische, Mezcal herzustellen und die Schrift- und somit Deutungshoheit der Geschichte durch die Spanier kann man davon ausgehen, dass es schon vorher reine Agaven-Anpflanzungen zur Alkoholgewinnung gab]
Den sich schnell verändernden politischen Umständen in der spanischen Heimat hatte es das Agavendestillat zu verdanken, dass schon 1792 der neue König Carlos IV dieses Verbot wieder aufhob und drei Jahre später den sicheren Durchbruch ermöglichte. 1795 erlaubte er per Dekret einem Jose Maria Guadeloupe Cuervo [Nachtrag: und somit dem ersten Mexikaner, der kein Spanier war] aus dem Städtchen Tequila das kommerzielle Brennen von Mezcal – dies gilt als die Geburtsstunde des modernen Tequilas und der Beginn der Unterscheidung zwischen Tequila und Mezcal, doch mit Beginn der modernen Geschichte der Spirituose brechen auch wilde und chaotische Zeiten in entstehenden Mexiko an.
Unruhige Zeiten
Der Name Miguel Hidalgo ist eng an die mexikanische Unabhängigkeit gebunden, war er es doch, der mit einer Hand voll Aufständischer am 16. September 1810 die Alhondiga de Granaditas angriff und somit den mexikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die spanische Krone begann. Der Kampf des Volkes gegen die Besatzer war eine Zeit, in der Tequila zu einem wichtigen Instrument wurde – denn kämpfende Truppen sind bekanntlich gute und vor allem durstige Trinker. Nach vielen Wirrungen und blutigen Auseinandersetzungen einigte man sich 1821 juristisch und die Spanier ließen sich für die mexikanische Unabhängigkeit horrend entschädigen, schließlich gehörten ihnen die fruchtbarsten Böden und ertragreichsten Mienen. Dies ist einer der Gründe, warum Mexiko bis in die Neuzeit mit einer enormen Finanzlast zu kämpfen hat. Doch mit dem Erreichen der Unabhängigkeit war es noch lange nicht getan, denn schon kurze Zeit später machte eben jenes Modell Schule und die bis dahin zu Mexiko gehörenden Gebiete Texas‘ beanspruchten das gleiche Recht für sich. 1836 erklärte sich der spätere Bundesstaat der USA als von Mexico unabhängig, was etwas später zu einer der berühmtesten Schlachten in der Historie Amerikas werden sollte: Die Schlacht von Alamo 1845. Mit ihr begann mehr oder weniger offiziell der amerikanisch-mexikanische Krieg, der bis 1848 dauern sollte und Mexiko knapp 50% seiner Landfläche kosten würde. Später jedoch wird dies einer der Gründe sein, warum Tequila in den heutigen USA eine der populärsten Spirituosen mit einem fulminanten Jahresumsatz ist.
Auch nach dem Ende dieses Konfliktes wurde es nicht ruhiger in der zentralamerikanischen Region. Die Franzosen unter Napoleon III. versuchten 1862 – nach einem drei Jahre dauernden inneren Reformationskrieg – Mexiko zu erobern, was jedoch verhindert werden konnte. Der 5. Mai 1862 – die Schlacht von Cinco de Mayo, auch bekannt als The Battle of Pueblo – gilt als Tag der Niederschlagung der französischen Invasion. Dieser Tag wird jedes Jahr aufs Neue gefeiert, vor allem jedoch im wichtigsten Markt für Tequila, den USA. Dort kommt man dann nicht um mindestens eine Margarita herum. In der Zeit dieser Wirrungen und des politischen als auch wirtschaftlichen Chaos wurde Mezcal zu einem wichtigen nationalen Identifikationsprodukt. Ein kleiner wirtschaftlicher Aufschwung setzte unter der neuen Regierung von Porfirio Diaz im Jahre 1876 ein und schon drei Jahre zuvor – 1873 – schickte die Hazienda Cuervo eine erste große Lieferung ihres Destillates in die USA. Damit beginnt der globale Erfolg dieser Spirituose und auch die langsame Ausdifferenzierung zwischen Mezcal und Tequila.
Bis 1893 sprach man immerhin schon von Mezcal de Tequila, also Mezcal aus dem Ort Tequila. Dies vor allem deshalb, weil sich dort besondere Qualitäten herauskristallisierten, die an die Verwendung einer bestimmten Agavensorte gebunden sind, welche etwas später als maguey azul – als blaue Weber-Agave bekannt werden sollte. 1902 machte sich der Mediziner und Biologe Frederic Albert Constantin Weber daran, die vielen Arten der Agave zu klassifizieren und diese Arbeit dankte man ihm mit der Benennung eben jener Sorte nach ihm. Schon im 19. Jahrhundert wurde in der Region Jalisco häufig nur noch diese Sorte angebaut und zu Tequila verarbeitet, was die Produkte im ganzen Land berühmt machte. Eng mit dem Aufstieg ist von Anfang an der Name Cuervo verbunden, denn nicht nur dass mit ihm die moderne Geschichte beginnt, dahinter steckt auch immer wieder ein Stückchen Innovation. Schließlich war es unter anderem auch dieser Tequila, der als einer der ersten 1906 seine Produkte in Flaschen abfüllte und somit deutlich besser transportieren und auch verkaufen konnte.
[Nachtrag: vor allem die Kultivierbarkeit der späteren Weberagave im Vergleich zu anderen Arten war entscheidend für den Fokus auf eben jene Sorte]
Der wirtschaftliche Aufschwung, der unter Diaz 1876 begann, entwickelte sich jedoch nicht zum Vorteil der Landbevölkerung. Das zentralistische System war auf Cliquen ausgerichtet und so kam es, dass Anfang des 20. Jahrhunderts der Unmut in der Bevölkerung gegen den immer noch aktiven Präsidenten erheblich stieg. Die zapatistische Revolution zwischen den 1910er und 1930er Jahren sorgte nicht nur für einen Umsturz, sondern auch für viele Legenden um Mezcal und Tequila. Viele von ihnen sind an den Revolutionsführer Pancho Villa gebunden, der bis heute in vielen Marketingstrategien für Tequila unersetzbar ist und den Ruf entscheidend mitgeprägt hat.
Die Neuzeit
Der 18. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten war ebenfalls ein Katalysator für die Geschicke der mexikanischen Spirituose. Durch jene Gesetzesvorlage begann 1920 die Zeit der Prohibition, von der Mexiko und seine Brennereien genauso profitierte, wie die Kanadier, Kubaner oder auch Schotten – schließlich musste eine riesige Volkswirtschaft (illegal) mit Hochprozentigem versorgt werden. Der Schmuggel spülte viel Geld in die mexikanischen Betriebe, führte jedoch zu einer Knappheit bei den Rohstoffen – genauer gesagt bei der blauen Weberagave. Dies ermöglichte eine Notstrategie, die es erlaubte, auch andere Zuckerquelle als eben jene besondere Agave zu benutzen. Das Ergebnis war ein Produkt namens Mixto – der „Tequila“, den wir alle aus Studienzeiten kennen, mit Salz und Zitrone mengenweise konsumierten und der dafür sorgte, dass wirklich guter Tequila es bis heute schwer hat. Aber er sorgte für großen Ruhm! Auch der zweite Weltkrieg befeuerte die mexikanische Produktion, da der Import europäischen Spirituosen sich als enorm kompliziert darstellte. Der Markt und der Durst waren da – Mexiko lieferte. Und im Jahr 1944 schließlich erfolgte die offizielle Trennung von Tequila und Mezcal, denn seither muss Tequila als besondere Unterart aus der Region um Jalisco kommen. Neben Jalisco (als das Zentrum der Tequila-Produktion) gibt es Sondererlaubnisse für die Bundesstaaten Guanajuato, Michoacán und Tamaulipas. Der Siegeszug war dann nicht mehr aufzuhalten. Durch die Margarita als dem Signature-Cocktail erfuhr Tequila eine weitere Verbreitung und die Olympischen Spiele 1968 brachten tausende potenzieller Konsumenten in das Land. In den 1980er Jahren reagierte man auf die erhöhte Nachfrage und begann, nicht nur den klassischen Blanco Tequila, sondern auch ältere und somit teurere Qualitäten anzubieten. Die Premiumisierung setzte ein und hat bis heute unzählige anejo (mind. 1 Jahr Fassreife) oder extra-anejo (mind. 3 Jahre Fassreife) Tequila hervorgebracht.
Doch eine Ambivalenz bleibt bestehen. Der Mixto ist nach wie vor Fluch und Segen zugleich. Als große Produktionsmenge bringt er natürlich viel Geld, aber häufig schadet er auch der gesamten Kategorie, denn viele Konsumenten stehen den Premium-Produkten mit der lieber verdrängten Erfahrung zielorientierter Konsum-Methoden eher skeptisch gegenüber. Dies war einer der Gründe, warum man 1997 per Gesetz veranlasste, dass auch besagter Mixto aus mindestens 51% Blauer Weberagave hergestellt werden musste. Dies – und die ansteigenden mafia-ähnliche Ereignisse, die zwischen Destillen stattfanden. Gerade die kleineren Destillen verarbeiten durchgängig 100% der Weberagave, was ihnen jedoch im Preiskampf einen klaren Nachteil gegenüber den großen Mixto-Destillen verschaffte, die zudem die Bauern um den Lohn ihrer Arbeit brachten. Eskaliert ist diese Auseinandersetzung 1997, als man nicht davor zurückschreckte, Brenner und Besitzer zu töten. Man handelte und brachte Qualitätsstandards, welche streng durch den Consejo Regulator Tequila überwacht werden.
In Deutschland hat es das Nationalgetränk Mexikos bis heute nicht ganz so leicht. Viele verbinden den Namen Tequila immer noch mit Trinkspielen, Vollrausch und Kopfschmerzen. Doch Tequila kann so viel mehr. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Spirituose hierzulande entwickelt – auf eine atemberaubende Geschichte kann sie allemal zurückblicken. Also wir blicken optimistisch voraus!
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