Im Zuge der großen Gin-Welle Ende der 2010er Jahre kamen ein paar findige Jungs auf die Idee, einen Gin zu machen, der gar keiner ist und nannten dies Weissbrand. Was das genau ist und wie es schmeckt, erfährst Du hier. Der Artikel erschien erstmals auf spirit-ambassador.de und hat eine ungefähre Lesedauer von 4 Minuten.
Bevor ich mich einem Produkt zuwende, welches seit 2016 auf dem Markt ist und für reichlich Verwirrung sorgen kann, muss ich mich erst einmal entschuldigen. Seit nämlich jener Zeit steht diese Flasche in einer wundervollen, schnörkelosen PR-Box auf meinem Schreibtisch und wartete darauf, verkostet und beschrieben zu werden. Und ich habe es einfach nicht geschafft. Stets kam etwas dazwischen. Die Zeit ging ins Land und aus dem absolut innovativen Produkt sollte bald ein guter Bekannter in den Regalen werden. Mit nunmehr zwei Jahren Verspätung bleiben mir daher zwei Dinge zu sagen:
Zum einen: Jungs, bitte entschuldigt die späte Besprechung und nochmals vielen Dank für die Flasche! Und zum Zweiten: ich freue mich dennoch sehr darauf, dieses großartige Produkt heute genauer unter die Lupe zu nehmen: Birds.
Nach uns die Ginflut
Um die wirkliche Besonderheit von Birds zu verstehen, muss man sich zurückbesinnen in das Jahr 2016. Damals war – und daran hat sich zumindest auf Konsumenten-Seite heute wenig geändert – Gin die zeitbestimmende Spirituose. Es verging eigentlich keine Woche, in der nicht ein noch besondererer – bis wohin kann man eigentlich den Superlativ von ‚besonders‘ steigern? – auf den Markt kam. Dabei war es egal, woher die Produkte stammten, die Idee oder wo das Ganze unter welchen Bedingungen hergestellt wurde. Hauptsache gut verpackt und vermarktet. Es waren schiere Goldgräberzeiten für das Wacholderdestillat.
Nicht noch ein Gin
Und dann kam Birds. Die erste Kampagne bestand eigentlich nur aus zwei Claims: „What the f*ck is Weissbrand“ und darauf aufbauend „Sorry – not another Gin“. Damit war ein ganz klares Statement gesetzt. Man wollte im Zuge des Hypes einfach etwas Anderes machen. Das hat man geschafft! Vor allem muss man zugestehen, dass es nicht nur einfach etwas Anderes war, sondern im ganz klassischen Marketing-Sprech ein wahrer „category breaker“ – ein Produkt, welches eine eigenständige Kategorie, die des Weissbrands mehr oder minder etablierte.
What the f*ck ist denn nun Weissbrand?
Eigentlich ist die Erklärung relativ einfach. Es ist erst einmal kein Gin! Der Unterschied zwischen Gin und Birds ist die Basis. Während Gin zumeist auf Basis von Neutralalkohol – also extrem stark rektifiziertem Getreidedestillat – mit Wacholder aromatisiert wird, ist Birds eine einfach destillierte Spirituose – in einer kupfernen Pot Still aus dem Hause Holstein – auf Basis von Wein. In diesem Fall Riesling von der Mosel – schließlich arbeiten die drei Freunde mit Manuel Bixinger vom Weingut Brixius-Böllinger. Der Riesling wird zwischen Hamburg und Berlin auf dem platten Land in Schwechow in Mecklenburg Vorpommern destilliert. Dort erfolgt auch die einzelne – vier-tägige – Mazeration in dem 75%Vol.igen Weindestillat der jeweils 12 Botanicals, die allesamt von 5 Kontinenten stammen.
Sorry, not another Gin!
Dabei kommen die eigentlich Gin-typischen Botaniclas Sternanis und Süßholz (aus Asien), europäische Orangenschale sowie Muskatblüte (Australien) und Angelikawurzel (aus Amerika) zum Einsatz. Dazu gesellen sich Apfel, schwarze Johannisbeere (Europa), Nelke und Pfeffer aus Afrika, Eukalyptus aus Downunder und Kakaoschale und Rosa Pfeffer aus Amerika. Eine spannende Mischung – nur halt ganz ohne den für Gin so wichtigen Wacholder.
Die Weinbasis, die einfache Pot Still-Destillation und der fehlende Wachholder sind allesamt sehr gute Gründe, den Birds nicht nur als einen Sonderling zu behandeln, sondern tatsächlich als etwas völlig Eigenständiges! Doch was kann dieser mittlerweile bekannte category changer im Glas?
Zwischen allen Stühlen
Sofort mit dem ersten Tropfen im Glas versprüht der Birds ein unglaublich breites Portfolio an Aromen, so dass man nur noch WOW sagen möchte. Eine Melange aus Frucht, Kräutern und Gewürzen, welche sich auf Anhieb kaum ausdifferenzieren lässt. Ein wahrer Aromenstrauß, der auch olfaktorisch zwischen den Kategorien hin und her springt. Da ist eine sommerliche Frische, zu der sich jedoch die Hälfte der typischen Weihnachtsaromen gesellt. Ich hatte irgendwo einmal gelesen, Birds sei eine Art weißer Glühwein für den Sommer – eine vortreffliche Beschreibung der ersten Sekunden.
Zuerst scheinen frische Äpfel und eine frühlingshafte Frische sich in den Vordergrund spielen zu wollen, doch schnell werden daraus Backäpfel und Winter. Deutlich treten die Aromen von Süßholz und Nelke hervor und erinnert schließlich an Lebkuchen und Spekulatius. Ein wenig später jedoch wieder Beeren, sommerliche Noten und eine mentholige Frische mit Pfeffer. Das ist einfach eine unglaubliche Aromenstruktur in der ersten Nase.
Mit der Zeit scheint der Winter die dominierende Aromatik zu werden und zeigt sich mit einer dunklen Würze und Dichte – ohne dabei Gefahr zu laufen, einen sensorisch zu erschlagen. Pfeffrige Noten erwirken eine tolle Interpunktion und die Orange mitsamt den Nelken geben den Takt vor, zwischen dem immer wieder Apfel erkennbar wird.
Im Mund wirkt der Birds ambivalent wie in der Nase auch. Tatsächlich erinnert es auch hier an einen Weihnachtsmarkt im Sommer, dessen Textur zwischen fruchtiger Leichtigkeit und einer deutlichen Cremigkeit liegt, die mineralisch akzentuiert wird. Zitrusnoten werden dabei erkennbar und frischen das Ganze auf.
Das Erstaunliche ist, dass die Komplexität sich im Mund fast eins zu eins abbildet und im Verhältnis zur Nase kaum verliert. All die detaillierten Aromen lassen sich finden und spielen ein wunderbares Arrangement, dessen Nachklang geprägt ist von einer erhabenen Leichtigkeit und einer frischen, mentholigen Struktur.
Quo Vadis – Oder: Was mache ich damit?
Mit dem Birds hat man nicht nur eine extrem interessante Alternative zu vielen western styled Gins der Neuzeit – man hat einfach ein wirklich eigenes Produkt, welches sich unglaublich vielseitig einsetzen lässt.
Natürlich sind die Klassiker der Gin-Drinks damit auf eine völlig neue Art und Weise interpretierbar. Eine White Lady wird damit zu einer wahrlich großen Dame – fast schon im Stile eines Rembrandts oder Rubens; aber auch Highballs wie der Mule oder Drinks wie der Fizz sind hiermit wirklich spannend.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Lust bekomme ich, all diese Gin-Klassiker mit Birds zu mixen. Das wird auch geschehen – und diesmal wird es keine zwei Jahre dauern – da bin ich mir ganz doll sicher!
Es ist ein großartiges Produkt, dem man – so verspielt wie seine Aromatik ist – nur zurufen möchte: flieg kleiner Vogel! – doch flügge ist diese neue Kategorie an Spirituose schon lange. Und wer es noch nicht kennt, dem sei Birds wärmstens ans Herz gelegt – auch für den Frühling und den Sommer.
Allgemeine Informationen
- Hersteller: Craft Circus
- Alter: n.n.
- Alkoholgehhalt: 42,2% Vol.
- Farbstoff: nein
- Kühlfiltration: k.A.
Vielen Dank an Birds Adventure für die Bereitstellung der Flasche. Außer Birds ist hier nix geflossen.
Nachtrag: Es gibt halt manchmal Dinge, die sich verändern, während eine Flasche auf dem Schreibtisch steht. So die Bezeichnung des Produktes. Nach Hersteller-Angaben verzichtet man nunmehr seit einem Jahr auf den Zusatz Weissbrand und fokussiert sich darauf, das Produkt nur noch als Birds zu vermarkten. An der Qualität und der Einzigartigkeit ändert sich dabei natürlich nix.