Dieser Artikel erschien erstmalig im Onlinemagazin gronda und ist ein launischer, aber dennoch voller Überzeugung geschriebener Kommentar zu dem ein oder anderen Auswuchs selbsterklärter Connaisseure – vor allem in der Whiskybranche. Die durchschnittliche Lesezeit beträgt 6 Minuten.
Das Thema Whisky ist eines der eher Komplizierteren, wenn man sich mit der sozio-kulturellen Bedeutung beschäftigen möchte. Sozia-kulturelle Bedeutung im Zusammenhang mit einem Genussmittel? Nun, Genussmittel stehen immer in einem direkten Bezug zu ihren Konsumenten und von daher muss man sogar über ihre gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung sprechen! Würde man ein gesamtes Abbild darüber erstellen wollen, so würden viele tausend Seiten zustande kommen, in denen seit dem Jahre 1404 eine unentwegte Veränderung darstellen ließe. Die für unser Verständnis relevante Zeit ist natürlich jene, in der wir leben, genießen und uns über die Dogmen des Genusses streiten, die wir selbst geschaffen haben. Es wird Zeit, mit einigen davon aufzuräumen.
Über die Wiederentdeckung
Die große Ära des Whiskys – im Besonderen des Scotch Whisky – war die Zeit zwischen 1920 und 1980. Über ein halbes Jahrhundert hinweg prägte eine Spirituose die Genusskultur einer ganzen Welt. Scotch – fast ausschließlich Blended Scotch Whisky war förmlich in aller Munde. Doch wie so oft kommt der Moment, an dem man die Party verlassen muss. Dieser Moment war für Scotch Whisky mit den 1980er Jahren gekommen. Während allein in Großbritannien der Weinumsatz in dieser Zeit um 40% anstieg, sank der Whiskyumsatz um 20%. Die Folge war ein großes Destillerie-Sterben. Einige Destillerien wie Ardbeg z.B. wurden vorübergehend geschlossen (1981-1989), andere hingegen wurden nie wieder eröffnet.
Darunter so große Namen wie Brora und Port Ellen (beide 1983 geschlossen). In dieser Zeit fuhr man die Produktion erheblich herunter, um den Markt nicht mit noch mehr Whisky zu fluten. Man spricht man von dieser Zeit als jene der „großen Whisky-Pfütze“. Mit immer voller werdenden Lagerhäusern musste man zu dem wichtigsten Instrument greifen, welches einem die freie Marktwirtschaft an die Hand reicht: Vermarktung. Während man in den „guten alten Zeiten“ einfach Whisky produziert hat, wie man ihn schon immer gemacht hatte; begann man auf einmal über Altersangabe, Fass-Nachreifungen und Preis-Positionierungen nachzudenken. Mehr und mehr eroberte eine neue Kategorie die Köpfe der übrig gebliebenen Konsumenten: der Single Malt Scotch Whisky. Ein Destillat aus ausschließlich gemälzter Gerste, welches nur aus einer einzigen Destillerie stammt. Im Vergleich dazu waren es davor zum großen Teil besagten Blended Malts, also Mischungen von mehreren Single Malts und Grain Whiskys, die das Maß aller Dinge waren.
Durch die Zunahme der Lagerbestände waren die Destillerien in der Lage, deutlich ältere Abfüllungen anzubieten – und da der Whisky verkauft werden musste – auch zu enorm günstigen Preisen. Diese Maßnahmen griffen. Single Malt Scotch Whisky wurde immer populärer und entwickelte sich in den 2000er Jahren von einem Geheimtipp für Genießer hin zu einem wahren Massenphänomen unserer Tage. 30 Jahre sind in Menschenleben gedacht eine lange Zeit, für Scotch Whisky – als Produkt und als Kategorie – eher etwas mehr als mittelfristig.
Von der Einführung einer Wissenschaft
Mit dem zunehmenden Erfolg dieser Neuorientierung entwickelte sich eine treue Gefolgschaft um das – immer noch vor allem schottische – Destillat. Die Leute – vornehmlich männliche Konsumenten – begannen, sich mit den Destillerien zu beschäftigen, die unterschiedlichen Geschmäcker zu erkunden und sich selbst eine genießerische Parallelgesellschaft aufzubauen, die sich äußerst distinguiert von den üblichen Wirkungstrinken abzugrenzen wusste. Man philosophierte über die Brennblasen, die Fassqualität, das Alter und natürlich die Art und Weise des Genusses. Dabei machte man nicht vor der Glasform halt, welche denn die einzig Wahre sei für das Erlebnis von Whisky, nein, man ereiferte sich über die Wirkung einzelner Tropfen Wasser. Natürlich abhängig von der Herkunft dessen. Weiterhin einigte man sich schnell, dass ein paar Tropfen des kühlen Nass sicherlich hilfreich seien, vermehrt Zugabe und dann eventuell in gefrorener Form hingegen wurde mehr oder weniger unisono als Barbarei abgelehnt.
Wenn man heute auf eine Whisky-Messe geht, so hat man zuweil das Gefühl auf einen Mischkongress aus Historikern, Sensorikern und Chemikern gelandet zu sein. Die Beschäftigung mit dem Thema Whisky wird immer ausgeprägter und tiefer, was auch an der Zunahme der einschlägigen Publikationen abzulesen ist. Diesen Umständen haben wir zwei Entwicklungen zu verdanken. Zum einen die Tatsache, dass Whisky – im Besonderen Scotch Whisky – immer noch eine der erfolgreichsten Spirituosen ist und eine große Menge Menschen anspricht; und zum anderen eine Begleiterscheinung, die manchmal etwas anstrengend wirkt: der Whisky-Snob. Eine Erscheinung, die mit äußerster Akkuratesse darauf achtet, jede Form des Regelwerks zum korrekten Genießen dieser noblen Spirituose einzuhalten. Gerne auch in Bezug auf Raumtemperatur, Luftfeuchte, Glasform und – aber das versteht sich natürlich von selbst: auf keinen Fall den größten aller Faux pass zu begehen und auch nur im Entferntesten auf die Idee zu kommen, den Whisky mit Eis zu verdünnen und abzukühlen.
Dies schließlich sei den plumpen Kollegen Jim, Jack oder John vorbehalten, seien diese schließlich so erst genießbar. Eine leider gängige Weltsicht.
Über die Entdeckung von Ost und West
Doch Dinge ändern sich. Und wie die Vormachtstellung des Scotch Whiskys in den 1980er Jahren sich änderte, so wechselte etwas mehr als 20 Jahre später die Einstellung gegenüber dem monotheistischen Sockel der schottische Destillationskunst. Plötzlich brach vor allem der Markt für amerikanische Whiskeys auf und es kamen immer neue Produkte nach Europa. Nicht nur Abfüllungen der größeren Destillen (Beam, Brown-Forman oder Heaven Hill) ergänzten das anfänglich sehr begrenzte Portfolio, auch kleine Craft Whiskeys aus den unterschiedlichsten Winkeln der USA sind heutzutage erhältlich. Der amerikanische Whiskey verliert immer mehr sein vermeintliches Proleten-Image und gilt heute vielen Whisky-Trinkern als willkommene Abwechslung und auch ernsthaftes Getränk im Sinne des oben erwähnten Snobismus.
Auf der tatsächlich anderen Seite der Welt entwickeln sich die japanischen Spirituosen vom Exoten hin zu einem globalen Standart-Produkt. An Namen wie Yamazaki oder Hibiki hat man sich schon lange gewöhnt. Ganz eigene Philosophien entstehen mittlerweile in Fernost, und der Erfolg ist schon lange da. In seiner berühmten Whisky Bible kürt Jim Murray letztes Jahr einen japanischen Whisky zum Besten der ganzen Welt. Da dies natürlich das beste Marketing ist, wurde über das Produkt nicht nur heftigst geschrieben, gesprochen und diskutiert. Der Effekt auf die gesamte Kategorie war unbeschreiblich und über Nacht wusste jeder – selbst der eingefleischteste Abstinenzler – von der scheinbaren Perfektion japanische Destillate. Eine Menge Neues also – im Osten und Westen.
Ein Paradigmen-Wechsel wider dem scheinbar Unumstößlichen
Mit dem Fallen der schottischen Scheuklappen auf Seiten der Konsumenten entwickelte sich ein florierender Schmelztiegel internationaler Genüsse. Selbst Taiwan, Deutschland oder Indien, natürlich frühere große Nationen wie Irland oder Kanada – alle erleben eine Aufbruchsstimmung in Bezug auf ihre Whiskys. Und es ändert sich nicht nur einiges bezugnehmend auf die Herkunft der Whiskys. Auch ihr Habitus wandelt sich. Das Bild des ehrwürdigen Gentlemans auf dem Chesterfield-Sofa am Kamin wurde überwunden, ja gleich das komplette Gender-Thema ist obsolet geworden. Die Kategorisierung in Frauen- und Männerwhiskys ist überholt und auch das Alter spielt keinerlei Rolle mehr. Whisky ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dies haben wir – ohne es je in Frage zu stellen – vor allem den Bemühungen der Menschen zu tun, die in den 1990er Jahren begannen, Ihre Leidenschaft auszuleben und kundzutun.
Dass wird man nicht so schnell vergessen. Und doch ist es Zeit weiterzugehen und lieb gewonnene Ansichten zu überdenken und auch in Frage zu stellen.
Natürlich ist es fantastisch, einen Whisky im Glas auf seine schier unendliche Aromenvielfalt hin zu dekonstruieren. Wo finden sich Aromen des Holzes, wie erhält sich der Destillerie-Charakter. Genau diese Möglichkeiten machen einen Whisky auch zu solch einer spektakulären Spirituose. Und doch kann dies manchmal ermüden. In diesen Momenten sollte man Whisky als das betrachten, was er schlussendlich ist: ein alkoholisches Genussmittel – ein Drink. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Erlaubt ist, was gefällt – was schmeckt!
Versuchen Sie einmal – an einer Hotelbar zum Beispiel – einen 18 Jahre alten Single Malt auf Eis zu bestellen. Ohne Zweifel, sie werden ihn bekommen, wahrscheinlich jedoch nicht ohne vorher seitens des Bartenders darüber aufgeklärt zu werden, dass dieser edle Tropfen tendenziell anders genossen werden sollte. In diesem Fall kann man der Konfrontation aus dem Weg gehen, in dem man darauf verweist, dass dieser Drink bezahlt würde und es im Ermessen des Gastes zu liegen hat, Wie er Was genießen möchte. Die gleiche Unterhaltung mit einem langlebigen Whisky-Connaisseur hingegen kann schon deutlich schwerer werden. Mit einer solch häretischen Handlung kann man eine ganze Genusskultur und auch eine Genussbiografie in Frage stellen. Und genau das sollten wir machen! Mit allem Respekt vor anderen Ansichten, denn genießen sollte jeder auf seine Weise. Diese etwas freizügige Annäherung an Whisky – im Übrigen egal ob Scotch, Irish, Bourbon oder anderer Provenienz – halt diese Kategorie jung. Und auch interessant. Wie viele heutige Whisky-Jünger begannen ihre Karriere mit Whisky Cola und verteufeln dieses Getränk heute?! Man muss es sicherlich nicht mögen, es kann einem privat auch ganz fürchterlich schmecken, doch Freiheit ist bekanntlich die Einsicht in die Notwendigkeit anderer Ansichten. Es muss erlaubt sein, was gefällt – weit weg von Dogmen, Regeln und überholten Ansichten! Denn auch so können wir verhindern, dass dieses fantastische Produkt verkalkt. Dies ist auch einer der ersten Schritte, um gegen eine Wiederholung der 1980er Jahre zu steuern.
„Progressum et conservare“ sollte der Leitspruch sein, mit dem wir auf eine vielseitige und großartige Zukunft unser Glas erheben. Egal ob pur, auf Eis oder in einem Drink. Es darf keine Regelwerke zum Genuss von Whisky geben, denn nur so können wir alle gemeinsam etwas genießen, was schlussendlich so extrem vielseitig ist. In der Vielfalt liegt die Großartigkeit – nicht nur auf Produktseite, sondern auch auf Seite des Konsumenten.
Whisky ist in erster Linie ein Genussmittel und keine Wissenschaft, also lassen sie uns mehr genießen als diskutieren.