Dieses Porträt erschien ursprünglich auf spirit-ambassador.de und beleuchtet die Geschichte der Firma Jericoa und ihrem Chef Dietrich Flath. Jericoa importierte einige Jahre in pionierhafter Weise das brasilianische Nationaldestillat, ohne das der Trend der 2000er Jahre – die Caipirinha nicht denkbar war. Die geschätzte Lesedauer beträgt 6 Minuten.
Von Zuckerrohr, langhaarigen Wörterbüchern und Caipis
Cachaça – die brasilianische Nationalspirituose – trifft man in Deutschland an fast jeder Ecke. Schließlich ist Deutschland eine der wichtigsten Exportnationen für das Zuckerrohrdestillat. Immer öfter trifft man bezüglich des Themas Cachaça auch Dietrich Flath an, denn er ist einer der wichtigsten Importeure, wenn es um traditionell hergestellte Cachaça geht. Doch wie kommt man dazu, aus der sächsischen Landeshauptstadt Dresden mit einem Diplom in VWL sich die Nächte und Tage um die Ohren zu schlagen im Auftrag einer Spirituose? Wie so oft, beginnt alles ganz anders und nüchtern.
Wie alles begann
Für ein Pflichtpraktikum während des Studiums wollte Dietrich unbedingt ins Ausland reisen und die Welt sehen, denn nach der Universität sollte der Ernst des Lebens los gehen und da kann man die Zeit vorher bekanntlich noch intensiv nutzen. Mit Hilfe der deutschen Handelskammer begab er sich international auf Praktikums-Suche. Neben China und dem Iran bot sich die brasilianische Handelsvertretung der Bundesrepublik an – im Übrigen die größte ihrer Art. Mit Sicherheit sorgten auch klimatische Bedingungen und die Idee von Strand und Copacabana für die Entscheidung, nach São Paulo zu gehen. Die Vorbereitungen verliefen jedoch eher schleppend, zumal die hiesige Lehrerin für Portugiesisch schwanger wurde und er mit kaum vorhandenen Sprachkenntnissen auf die Reise ging – er hatte ja 10 Monate Zeit, die Sprache zu lernen. Man schickte ihn mangels der Sprachdefizite nicht postwendend nach Hause, sondern empfahl „langhaarige Wörterbücher“, denn dies sei der beste Weg Land und Sprache kennen zu lernen. Und diese Wörterbücher trifft man am besten in Bars. Die dortige Barlandschaft war und ist völlig anders, als man es aus Deutschland kennt. Mixologie – sicherlich im Dresden der 1990er Jahre auch eher ein Fremdwort – lässt sich bis heute schwer finden in brasilianischen Bars, dafür aber Unmengen an Bier und eben jene Spirituose, die wie keine Zweite für den Sommer steht: Cachaça. In den schlechtesten Pinten findet man immer mehr als 10 verschiedene Sorten.
Mit diesen Eindrücken kam er nach einem knappen Jahr zurück nach Deutschland. Cachaça kannte hier niemand – und dennoch tranken alle Caipirinha. Doch das, was in Deutschland in die Caipi kam, das hätte man in Brasilien für vieles genutzt – nur nicht zum Trinken. Auch die Art und Weise einer deutschen Caipirinha ist ziemlich weit weg vom Original. Wir erinnern uns etwas verschreckt (aber nostalgisch) an die limettige Hölle mit braunem Rohrzucker, durchgequetschten Früchten und dem crushed Ice. Dieser kulturelle Clash zwischen Ursprünglichkeit und deutscher Interpretation führte über einige Umwege dazu, dass sich Dietrich Flath überlegte, Cachaça und damit ein Stück Brasilien nach Deutschland zu bringen.
Doch was hat es eigentlich mit diesem brasilianischen Rum auf sich?
Cachaça ist nach Tequila die älteste destillierte Spirituose des amerikanischen Kontinents. Nur vier Jahre nach dem Agaven-Destillat wird erstmalig 1534 in Brasilien frischer Zuckerrohrsaft destilliert. Von daher ist die Idee, es mit Rum (eigentlich ja noch mehr mit Rhum Agricole) in Verbindung zu bringen, gar nicht so verkehrt. Die USA zum Beispiel erkennen die Kategorie Cachaça erst seit 2013 an – bis dahin wurde das Destillat als brazilian rum verkauft. Ein festes D.O.C-Regelwerk wie wir es bei Cognac oder Champagner finden scheiterte 2002, aber in Brasilien hat man sich dazu entschlossen, bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. So muss Cachaça aus frischem Rohrzuckersaft (Rum wird zumeist aus Melasse gemacht) in Brasilien hergestellt werden und mindestens 38%vol – maximal jedoch nur 48%vol. Alkohol haben. Dazu dürfen 600 verschiedene Arten des Zuckerohrs benutzt werden. Destilliert kann sowohl in Kolonnen als auch in Pot Stills werden und zur Reifung sind 27 heimische Holzarten und zusätzlich Eichenholz erlaubt. Mit dieser Vielfalt an Aromagebern ist es unsagbar schwer, den typischen Cachaça-Geschmack zu definieren. In der Kategorie unterscheiden sich dann nochmal die traditionellen Destillate – Cachaça artesanal – von den industriellen Destillaten wie Pitu oder Cana Rio. Die Einschränkungen für Cachaça artesanal sind nochmals deutlich strenger. So darf dieser nur in Pot Stills destilliert werden. Auch dürfe keine industriellen Turbohefen benutzt werden, die eine Fermentation in kürzester Zeit ermöglichen würden und das Destillat muss mindestens für 3 Monate lagern, wobei vor allem die Hölzer Umborana, Balsamo und Eiche zum Einsatz kommen – 3 von 28. Selbst das Zuckerrohr muss von Hand geerntet werden. Und genau diese traditionellen Produkte haben es Dietrich Flath angetan und sind nunmehr seit 2002 in seinem kleinen Online-Shop www.cachaca-online.de zu finden.
Aber nicht nur der Import dieser Spirituosen liegt ihm am Herzen, vielmehr ist es eigentlich die Lebens- und Genusskultur Brasiliens in das etwas kühlere Deutschland zu bringen. Und dies fängt zumeist beim Getränk an. Allein einen Cachaça pur zu trinken, dürfte den wenigsten einfallen, doch in Brasilien ist dies absolut gängig. Bestellt wird mit der Frage „quandos dedos?“ (Wie viele Finger). Dementsprechend füllt sich das einfache Becherglas und abschließend kommt etwas frische Limette hinzu.
Und tatsächlich – wenn man einen qualitativ hochwertigen Cachaça nimmt, so ist dies eine fantastische Art des Genusses! Aber auch die klassischen brasilianischen Drinks sind überzeugend, auch wenn es davon eigentlich nur zwei gibt. Caipirinhas und Batidas.
Für eine klassische brasilianische Batida kommt neben Cachaça frischer Fruchtsaft, etwas Zucker und wahlweise ein Schluck Wasser in das Glas. Dieser eisgekühlte Drink ist nicht nur ein fantastischer Aperitif, sondern ein perfekter Begleiter für den ganzen Tag. Allerdings muss man auch zugeben, dass frische Säfte im Gebiet des Amazonas wesentlich leichter und besser zu realisieren sind als im deutschen Supermarkt.
Caipirinha – irgendwas zwischen Fluch und Segen
Weitaus bekannter ist die Caipirinha, ein Getränk für den einfachen Bauern – zumindest in der direkten Übersetzung. Die anfänglich beschriebene limettige Hölle deutscher Happy-Hour Bars würde in ihrer Heimat nur Entsetzen hervorrufen. Es gibt sie dort in unzähligen Variationen, doch es existiert auch ein festes Regelwerk! So muss eine typisch brasilianische Caipirinha min. 15%vol. Alkohol aufweisen, darf jedoch nicht stärker als 36%vol. sein – ein gigantischer Spielraum. Weiterhin besteht sie laut Regelwerk aus Cachaça, Zucker und Limette. Man erkennt schon die gesetzliche Stringenz. Und dennoch gibt es ungeschrieben Gesetze. Niemand käme in Brasilien auf die Idee, braunen Rohrzucker zu verwenden – dies ist eine typisch deutsche Erfindung aus dem Jahr 1972, als erstmalig Cachaça (Pitu) nach Deutschland kam und mit ihm die Caipi. Damals ging es darum, ein Produkt zu haben, was die Leute dazu bringt, die neue Spirituose zu kaufen und zu trinken. Mit Originalität hatte das nichts zu tun – hat sich aber durchgesetzt. Viel zu oft kommt es vor, dass Gäste eine wirklich gut gemachte Caipirinha zurück geben, da ihnen das Knirschen des braunen Zuckers fehle – „sei dies doch im Original so!“.
Genau an diesem Punkt setzt die leidenschaftliche Aufklärungsarbeit des sächsischen Cachaça-Fachmannes an. Es geht ihm nicht nur um die Spirituose als solches, sondern auch um deren fachgerechte Verwendung. Diese Erkenntnis stellte sich bei den vielen Messe-Besuchen ein und ist eng an die Namen Dirk Becker, Mike Meinke oder Kristina Wolf gebunden. Diese, so verrät Dietrich, waren es gewesen, die ihn mit der Welt der Cocktails in Kontakt gebracht hätten. Heute hält er selbst Referate und Schulungen für Barleute ab und bringt die Kunst des Cachaças den Menschen näher. Erste Erfolge sind schon zu verzeichnen. Mittlerweile trifft man viel häufiger auf Menschen, die Cachaça richtig aussprechen können – ein klassisches Problem der ersten Jahre – und die auch eine wirklich gute Caipirinha zu schätzen wissen.
Qualität setzt sich langsam, aber sicher durch. Diese Beobachtung kann man auch in Brasilien machen. Dort sinkt die Menge des pro Kopf getrunkenen Cachaças auf nunmehr nur 6L pro Jahr, der Umsatz jedoch steigt. Dies ist immer ein sicheres Zeichen dafür, dass die Menschen mehr und mehr auf Qualität achten. Sechs Liter pro Jahr pro Kopf bei einer Bevölkerung von 200,4 Millionen Einwohnern – daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn man feststellt, dass es zwischen 30.000 und 40.000 Cachaça-Destillerien im Land gibt. Sicherlich sind davon 1/3 Schwarzbrenner, aber offiziell stellen sie 1,2 Mrd. Liter Cachaça her – Jahr für Jahr.
Auch in Deutschland werden die qualitativ hochwertigeren Produkte immer bekannter und vor allem beliebter, was zu einer kleinen Ambivalenz für Dietrich Flath führt. Jedes Mal, wenn er es mit seiner unermüdlichen Arbeit erreicht hat, ein Produkt am deutschen Markt zu etablieren, kommt eine große Vertriebs-Firma und kauft ihm mehr oder weniger die Verkaufslizenzen weg. Es erinnert ein wenig an Don Quijote und seinen Kampf gegen die Windmühlen – und dennoch ist der Kampf nicht umsonst. Wegen leidenschaftlichen Menschen wie Dietrich Flath können wir heute fantastische Cachaça und tolle Drinks genießen. Dafür – und das sagt er selbst – lohnt es sich.
Am 13. September ist im Übrigen der offizielle „internationale Cachaça-Tag“. Ein Grund mehr, mal wieder eine Caipirinha zu bestellen. Vielleicht aber ohne braunen Rohrzucker und mit eine hochwertigen Cachaça – es lohnt sich!