Die White Lady ist einer jener Drinks der legendären 1920er Jahre, deren wahre Geschichte im Nebel der Vergangenheit liegt und dessen Gegenwart geprägt ist von einer gewissen Verkennung und gleichzeitiger Mystifizierung durch wenige Ausgewählte. Ein Drink wie eine herausfordernde Affäre, voller Verlockung und Gefahr. Was genau hinter der White Lady steckt und wie Du sie am besten selbst mixt, erfährst Du hier in 7 Minuten.
White Lady – ein verkannter Klassiker
Wer heutzutage die Barkarten der Nation durchstöbert, der wird leider nicht allzu häufig auf die White Lady treffen. Und dennoch glaube, ja weiß ich, dass dieser Drink eine genauere Betrachtung wert ist. Nicht nur, weil die White Lady eine in sich wundervolle Komposition darstellt; sie gehört zum Kanon der großen klassischen Drinks aus der Kategorie der Daisies. Sie war einer der beliebtesten Drinks im Paris zwischen den großen Kriegen Anfang des 20. Jahrhunderts und einer der berühmtesten Cocktails im legendären Savoy Cocktail Book von Harry Craddock. Die White Lady war eine der liquiden Brücken zwischen Paris und London – den Cocktail-Hauptstädten im alten Europa zu Zeiten der US amerikanischen Prohibition.
Sie war und ist also ein Drink, der mixologische Glorie verbreitet und dabei noch heute durch seine Vielseitigkeit und Komplexität besticht. Auch wenn dieser Drink ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirkt. Ein bisschen oldschool. So hat er von seiner Anziehungskraft, seiner Eleganz und Verführung kein bisschen verloren. Aber beginnen wir unsere Reise in London.
Von London nach Paris – die White Lady des Harry MacElhone
Im London des frühen 20. Jahrhunderts mixte ein gewisser Harry MacElhone Drinks an der Bar des Ciro‘s Clubs am Leicester Square. Im Mai 1915 gründete sich dieser Club und gehörte damit zur Kette der Ciro’s, deren Anfang das legendäre Ciro’s Monte Carlo prägte, welches schon 1897 entstand. Nach dem nächsten Club in Deauville und dem 1912er gegründeten Club in Paris eröffnete 1915 das Ciro’s in London. Eine später noch recht unbekannte Audrey Hepburn wird hier in den 1950er Jahren als Tänzerin in einer Revue aufgetreten sein, bevor Ihre Hollywood-Karriere begann.
Aber die wichtige Person für die Geschichte der White Lady an der Bar des Ciro’s ist Harry MacElhone. Kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieges begann der gebürtige Schotte hier seinen Dienst als Bartender. Und hier mixte er ab 1919 einen Drink, den er White Lady nannte. Damals jedoch eine recht eigenwillige Komposition aus Creme de Menthe, Zitronensaft und Triple Sec. Dieser Cocktail war recht beliebt, sollte jedoch alsbald eine radikale Veränderung erfahren. Nämlich mit dem Umzug MacElhones nach Paris.
Dort eröffnet Harry im Jahr 1923 sein erste eigene Bar. Ein Ort, der bis heute Legendenstatus hat und dessen Name für Generationen von Bartendern zum Symbol für die Relevanz Ihres Tuns ausstrahlt: die berühmte Harry‘s New York Bar.
Noch in London veröffentlichte er ein Jahr zuvor (1922) sein erstes Cocktail-Kompendium (Harry of Ciro’s ABC of Mixing Cocktails), welches insgesamt 12 Auflagen unter dem Serien-Titel Harry’s ABC of Mixing Cocktails erleben sollte und zu einem der wichtigsten Rezeptsammlungen der Barkultur avancierte.
In Paris angekommen, veränderte Harry MacElhone sein Rezept der White Lady im Laufe der Zeit und mixte nunmehr Gin, Orangenlikör und Zitrone (zu gleichen Teilen mit je 20ml). Noch später erweiterte er diese um das Eiweiß. Und dies ist die Rezeptur, welche bis heute als jene der klassischen White Lady gilt.
Ein zweiter Harry
Doch so einfach ist die Geschichte der White Lady nicht erzählt, denn es gibt einen weiteren berühmten Barmixer, der sich rühmt, die uns heute geläufige Rezeptur entwickelt zu haben. Ein weiterer Harry – nicht weniger berühmt: Harry Craddock, der Barchef des legendären Savoy Hotels in London, welches spätestens mit dem 1930 erschienenen Savoy Cocktail Book in den mixologischen Olymp aufstieg.
In diesem Buch beschreibt er die White Lady – die er jedoch schon vorher dort mixte – in gleicher Struktur, wie es MacElhone in Paris tat, nur dass er den Anteil des Gins verdoppelte. Eine Londoner Prägung, wie sie interessanterweise auch der SideCar durchmachte – ein weiterer berühmter Drink dieser Zeit mit Verbindungen in beide Metropolen. Und zugleich auch ein Drink der Kategorie der Daisies.
Diese Rezeptur war ein durchschlagender Erfolg und galt als einer der meistbestellten Cocktails dieser Zeit an der Bar des Savoys. Die White Lady war so beliebt und wichtig für die Bar, dass Harry Craddock beschloss, im Rahmen der Sanierung des Hotels 1927 einen Shaker mitsamt allen Zutaten für die White Lady in den Mauern des Hauses einarbeiten zu lassen. Andere Menschen vermauern Zeitungen, Münzen oder Fotos – der Bartender Harry Craddock einen ganzen Drink. Ob dieser Drink auch schon mit Eiweiß gemixt wurde, ist nicht belegbar; wie die grundsätzliche Frage nach der Erweiterung des Rezepts. Was jedoch überliefert wurde, ist die Tatsache, dass die White Lady zum absoluten Lieblingsdrinks berühmter Hollywood-Größen wurde und vor allem von den zwei Komikern Laurel & Hardy sehr geschätzt wurde.
Dies Frage nach dem Eiweiß bereitet den Auftritt eines dritten möglichen Erfinders der White Lady vor: Mr. Victor Cabrin.
Aller guten Dinge sind drei. Und ein Eiweiß. Und Zeit.
Sowohl Harry MacElhone als auch Harry Craddock mixten ihre White Lady mit Gin, Zitrone und Orangenlikör – schon damals vorwiegend mit Cointreau. Doch das berühmte Rezept verlangt heutzutage zusätzlich Eiweiß. Was das bewirkt und wie man das macht, erfährst du gleich. Aber wann und wie ist das Eiweiß in den Drink geraten? Nun die Antwort ist ganz einfach: das weiß niemand so genau.
Eine der ersten Erwähnungen dieser erweiterten Rezeptur stammt aus einer Zeitung im November 1946: dem Eastbourne Chronicle; und dort wird am 23.11.1946 berichtet, dass Victor Cabrin, der Barman des Grosvenor House Hotels in der Park Lane in London eines Abends seinen beliebtesten Drink – die White Lady – nicht mixen konnte, weil es eine Knappheit an Eiern und Cointreau gäbe. Im selben Artikel wird er als der Erfinder des Drinks im Jahr 1929 gefeiert. Aller guten Dinge sind drei. Zwei Harrys und ein Victor.
So ist es bei der White Lady also wie bei vielen anderen Klassikern, Ihre wahre Entstehung lässt sich kaum korrekt nachzeichnen, aber es verdichtet sich um diese drei Herren herum. Und ehrlicherweise sind Drinks mit Mythen doch eh viel interessanter. Was aber bleibt ist die Gewissheit, dass die Zeit die White Lady veränderte und einen Klassiker schuf.
Die White Lady – ein Sour? Eine Daisy!
Weniger mystisch, aber dennoch diskutabel ist die Wahrnehmung des Drinks in seiner Struktur. Vielerorts wird die White Lady als eine Sour-Rezeptur betrachtet. Dies ist nicht falsch aber halt auch nicht richtig. Vielmehr muss man sagen, dass die White Lady ein ganz bedeutender Vertreter einer Drink-Kategorie ist, die man als Daisies bezeichnet. Ehrlicherweise kann man eine Nähe zu den Sours als eigene Drink-Kategorie nicht leugnen, sind doch vor allem die Komponenten Spirituose, Säure und Zucker sehr ähnlich. Doch es gibt ein winziges, aber entscheidendes Detail für eine Daisy – im Gegensatz zu einem Sour. Und dies ist die Verwendung von Orangenlikören als sogenannte Modifier.
Der Ursprung dieser Kategorie liegt in der Brandy Daisy von Jerry Thomas aus dem Jahr 1862 und weist eine 2:1:1 Struktur auf. Also zwei Teile Spirituose zu jeweils einem Teil Säure und Süße, wobei der Orangenlikör zumeist sowohl anteilig in der Spirituose als auch in der Süße funktioniert. Wie auch im Beispiel der White Lady – wie wir gleich im Rezept sehen werden.
Berühmte Daisies sind neben dem schon erwähnten SideCar übrigens auch die Margarita.
Aber mit all dem Wissen um die Geschichte des Drinks – wie mixt man denn nun eine wirklich verlockende White Lady?
White Lady – der Drink
Die heutzutage als klassisch angesehen White Lady setzt sich aus Gin, Orangenlikör, Zitronensaft und Eiweiß zusammen. Der Likör übernimmt hierbei sowohl eine aromatisierende Funktion als auch eine süßende. Entscheidend für den Drink ist aber vor allem die Wahl der Verhältnisse und die des passenden Gins. Dieser prägt natürlich das Erscheinungsbild enorm. Hierbei ist es wichtig zu wissen, wann und zu welchem Anlass die White Lady getrunken werden soll. Wenn es etwas früher am Abend oder gar nachmittags ist, empfiehlt sich ein frischer, leichter und zitrischer Gin. Hier würde ich den Tanqueray No. Ten oder den Gin Sul empfehlen. Wenn aber der Drink als Digestif gereicht wird, so funktionieren würzigere, wacholderdominante Gins besser. Ein klassischer Plymouth Gin zum Beispiel oder wie in unserem Fall The Botanist.
Und dann ist es recht simpel: 50ml The Botanist Dry Gin, 20ml frischer Zitronensaft, 15ml Cointreau, 5ml Sirop de Gomme und ein Eiweiß in den Shaker und los geht’s! Doch was macht auf einmal der Sirup im Rezept? Und wie geht das jetzt mit dem Eiweiß? Und reicht normales shaken?
Sirop de Gomme ist ein Zuckersirup, der vor allem durch Gummi-Arabicum und Orangenblüten-Extrakt verbessert wurde. Dadurch erzeugt dieser Sirup eine wundervoll dichte Textur und einen Hauch von fruchtiger Floralität. Für mich ist er eine absolute Geheimzutat, um Drinks etwas komplexer zu machen.
Das Eiweiß dient – wie bei allen Drinks, in denen es zur Verwendung kommt – nur als Texturgeber. Eiweiß ist im Drink geschmacksneutral, macht diesen aber wundervoll cremig und erzeugt einen tollen, wolkigen Schaum auf dem Drink. Viele kennen das aus dem Whiskey Sour (ich bin in diesem Fall kein Fan davon), aber in eine White Lady gehört das Eiweiß rein! Und es macht diesen Drink so zu einem himmlischen Dessert! Der perfekte Aperitif nach einem Essen, um dann angeregt in die Nacht zu starten. Für das Eiweiß solltest Du nur frische Eier verwenden und diese immer direkt vor dem Mixen trennen.
White Lady Rezept
- 50ml The Botanist Gin
- 20ml frischer Zitronensaft
- 15ml Cointreau
- 5ml Sirop de Gimmo
- Eiweiß
Alle Zutaten gibst Du in einen Shaker. Hier kommt jetzt eine Arbeitstechnik zur Anwendung, welche die Profis dry-shake nennen – das Schütteln des Drinks ohne Eis um die Schaumtextur zu erzeugen. Häufig wird der dry-shake am Anfang gemacht und dann Eis in den Shaker gegeben, damit sich am Ende alles gut vermengt und der Drink kalt wird. Ich empfehle Dir aber, es genau andersherum zu machen. Shake alle Zutaten erst lang und kräftig mit gutem, festem Eis und seihe dann den Drink über ein Barsieb in das zweite Teil des Shakers zurück. Anschließend schüttelst Du die White Lady nochmals kräftig – jetzt halt nur ohne Eis und somit entsteht ein wunderbarer Schaum, der allein schon eine kleine Nascherei darstellt.
Nun kannst Du den fertigen Drink in eine vorgekühlte Coupette oder ein Cocktailglas geben und mit einer Zitronenzeste abspritzen. Diese nachträgliche Aromatisierung ist gerade bei Eiweiß-Drinks superwichtig, damit immer ein frischer Geruch in der Nase ist, wenn Du dich dem Drink näherst.
Und nun gilt es, die perfekte White Lady zu genießen. Sich in die verführerischen Arme dieses Klassikers zu legen und eine der schönsten liquiden Affären zu erleben. Doch Vorsicht, diese Affäre ist nicht ohne! Und das egal ob in London, Paris oder bei Dir daheim.