Mit dem Appleton Estate V/X hatte man – leider gibt es diesen Rum so nicht mehr – einen einfachen aber umwerfenden Jamaica-Rum in der Hand, der für wenig Geld eine ganze Menge Aroma und Freude mitbrachte. Eine Einfachheit, in die man sich verlieben konnte als geneigter Connaisseur. Dieser Beitrag erschien zuerst auf spirit-ambassador.de und hat eine ungefähre Lesedauer von 3 Minuten.
Die Rums von Appleton Estate – der berühmtesten Rum-Brennerei Jamaikas haben alle eines gemeinsam – sie sind Ausdruck von Energie, Lebensfreude und der Insel, der sie entstammen. Und sie sind bestimmt nicht einfach zu verstehen, aber das ist das Leben zwischen Kingston und dem Nassau Valley auch nicht. Jamaika ist eine bunte, aber auch raue Insel und genau so sind ihre Rums. Einer der weltweit Bekanntesten ist der Appleton Estate V/X. Ein Blend verschiedener Altersstufen, der sich seit 1987 zu einem universellen Allzweckrum gemausert hat zwischen Mai Tais, Punches und Rum & Cola. Trotz seiner Allroundfähigkeit ist es bei weitem kein belangloses Melassedestillat, sondern Zeuge jener Kraft, die in den Pot-Still Destillaten der zweitältesten noch aktiven Rumdestillerie der Welt steckt. Diese energetischen, ester-reichen Destillate werden anschließend in amerikanischen Weißeichefässern – vorwiegend aus dem Hause Jack Daniels’s – zur Reifung gebracht. Für diesen konkreten Blend wählt die Masterblenderin Joy Spence immer 15 Fässer in einer Altersstruktur zwischen fünf und zehn Jahren aus. Und dies seit so langer Zeit in einer solch unfassbaren Konstanz, dass man hier anerkennungsvoll von höchster Kunst sprechen muss. Anschließend ruht der fertige Blend noch einige Monate in frischen Fässern, um zu einer harmonischen und zeitgleich kräftigen Balance zu kommen.
Zwischen Kraft und Zärtlichkeit
Diese balancierte Energie entlädt sich in einem hellen rot-gold direkt im Glas. Unmittelbar entströmt ein opulenter, großer Körper in Richtung Nase, der sich vor allem durch grasige Noten, tropische Früchte und eine Menge reifer Bananen auszeichnet. Den sehr hohen Ester-Anteil merkt man sofort. Auch wenn die Fruchtaromen immer dicker zu werden scheinen, so öffnen sie sich doch und geben feingliedrig einen Einblick in diesen Korb voller Expressionen, zu dem sich immer mehr Gewürze paaren. Nelken, Anis, Muskat und eine leichte Vanille-Note. Eine inflationäre Benutzung des Wortes Kraft ist in diesem Fall nicht möglich, oder würde zumindest dem Rum absolut zusprechen. Mit der Zeit etabliert sich eine angenehme Frische und Mineralität die es tatsächlich schafft, kurz den Eindruck einer trockenen Struktur zu erzeugen. Doch schnell erobern sich die breiten Früchte wieder die Deutungshoheit, zu denen sich mehr und mehr eine feine Holzstruktur gesellt, die den Rahmen zu bilden scheint, damit all diese Aromen nicht aus dem Rahmen fallen. Schon jetzt weiß man, was einen im nächsten Moment mit 40%vol. im Mund erwarten wird.
Doch im ersten Schluck erstaunt man über eine weiche Struktur – ohne dass es dem V/X an Antritt fehlt. Die reifen Bananen finden sich wieder, ebenso wie die Gewürze. Hierbei vor allem etwas Pfeffer und Süßholz. So langsam kommt er, der jamaikanische Punch, doch nicht ohne eine gehörige Portion Schokoladenaromen. Es ist ein spannendes Ringen um die sensorische Deutungshoheit, bei der sich irgendwann die Früchte wieder zu behaupten vermögen – allen voran diese Note von reifen Bananen. Trotz dieser Breite behält sich dieser Rum immer – auch dem relativ jungen Alter geschuldet – eine gewisse sportliche Schlankheit, welche aber immer kurz vor dem Explodieren zu sein scheint.
Von Erhabenheit und ungezügelter Wucht
Auch im Nachklang weiß dieser Rum, dessen Charaktereigenschaften wohl irgendwo zwischen Bare-Knuckle Fighter und einem Gentleman liegen, zu verwirren – sprich: zu begeistern. Eine fabelhafte Cremigkeit verbleibt am Gaumen, welche anfänglich süß-fruchtig wirkt und eine leichte Frische zu erkennen gibt. Ein Gefühl erdiger Mineralität schleicht sich ein und erweitert sich mit Rosinen und dunkler Schokolade. Dieser Jamaikarum verbleibt sehr lange am Gaumen und irgendwann wandelt sich die Erinnerung von der süß-öligen Struktur hin zu einem staub trockenen, stark adstringierenden Eindruck.
Ambivalenz – das Bild eines Straßenkämpfers mit der Attitüde eines feinen Herren. Irgendwo dazwischen liegt wohl die wahre Befindlichkeit dieses Energiebündels. Um ihn pur zu trinken, muss man damit umgehen können. Seine Kraft bändigen kann man hingegen mit Süße und Säure in jeglichen Rum-Punches. Auch stellt er eine ordentliche Basis dar für einen Mai Tai. Man kann sich über so viel detaillierte Verliebtheit bei einem solch einfach Rum wundern – oder sich einfach mitreißen lassen. Zweiteres macht mehr Spaß.
Allgemeine Informationen
- Hersteller: Appleton Estate
- Alter: 5 – 10 Jahre
- Alkoholgehalt: 40% Vol.
- Farbstoff: k.A.
- Kühlfiltration: k.A.
Vielen Dank an Campari Deutschland für die Bereitstellung der Flasche. Außer Rum ist hier nix geflossen.