Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Geschichte einer der berühmtesten Gin-Marken der Welt: Tanqueray. Wie wurde aus der Idee eines Priesters der vielleicht beste Gin der Welt? Ursprünglich auf spirit-ambassador.de erschienen, beleuchtet dieser Artikel genau diese Frage und nimmt Dich mit auf eine kleine Reise durch die Gin-Geschichte. Die ungefähre Lesedauert beträgt 6 Minuten.
Auf dem Höhepunkt des sogenannten Gin-Hypes – der postmodernen Variante des Gin-Craze – noch einen Artikel über das klare Destillat mit dem Wacholder zu schreiben – das ist für einige sicherlich so notwendig wie eine weitere Kombination von Gin und Tonic und zusätzliche Botanicals zum Aromatisieren. Für die meisten wahrscheinlich eher nervig als innovativ und erfrischend. Nun, dennoch wollen wir es wagen! Denn hier soll es nicht um die Vorstellung des nächste Ultra-Premium-Gins gehen, der auf Grund eines im Wandschrank meiner Großmutter entdeckten Rezeptes mit vergessenen Botanicals die keiner kennt (usw.- ) – nein, hier geht es um einen alten Bekannten, ja fast schon um einen guten Freund. Einen der meistverkauften Gins der Welt – so etwas, wie die erfolgreiche Langzeitehe in Bezug auf Gin. Eine grüne Flasche, die die meisten von uns kennen. Heute soll die Bühne jemandem gehören, den wir häufig als so normal wahrnehmen, dass wir manchmal vergessen, ihm die Aufmerksamkeit zu geben, die er verlangt. Die Rede ist von Tanqueray.
Das Familien-Unternehmen
Die Geschichte dieses Gin-Klassikers beginnt im frühen 18. Jahrhundert. Die ursprüngliche Silberschmied-Familie Tanqueray zieht es von Frankreich über den Ärmel-Kanal nach England. Kaum 100 Jahre später sollten sich die Geschicke der Familie stark wandeln. Charles Tanqueray – der sich gegen die Familientradition entschied und eine Stelle als Prediger annimmt – beschäftigt sich schon früh mit den Vorzügen der geistigen Arbeit: dem Alkohol. Und so geht er seinen Weg, der ihn im Jahre 1830 dazu bringt, im Londoner Stadtteil Bloomsbury eine Gin-Destillerie zu gründen. Bloomsbury galt damals als ein Ort mit vorzüglicher Wasserqualität.
Abgesehen von der Gründung der Tanqueray-Destillerie in der Vine-Street stellt das Jahr 1830 eine wichtige Zäsur für die Geschichte des Gins dar. Aeneas Coffey lässt seine Coffey-Still patentieren und ermöglicht den Brennern dieser Welt eine wesentlich saubere und mehrfache Rektifikation. Der durch diese verbesserte Art destillierte Alkohol wird reiner und klarer. Erst so ist der heute weltbekannte London Dry Gin herstellbar. Und mit dieser neuen Technik entwickelt Charles Tanqueray ein Gin-Rezept, welches einfach und perfekt zugleich erscheint. Vier Botanicals sollen für den Geschmack und die Qualität des Tanqueray Gins stehen: Wacholder, Koriander-Samen, Angelica-Wurzel und Süßholz. Tom Nichol, der aktuelle Master-Destiller von Tanqueray geht sogar davon aus, dass bei der Effizienz und gleichzeitig perfekten Balance der Rezeptur ein sehr erfahrener Brenner Beistand geleistet haben muss.
Diese Kombination ist es bis heute, die Tanqueray zu einem perfekten Allrounder macht, doch dazu später mehr.
Ein guter Gin weiß auch mit Wenig zu gefallen.
1868 stirbt Charles im Alter von nur 58 Jahren und sein Sohn Charles Waugh Tanqueray übernimmt die Geschicke der Firma. Wie so häufig in der Geschichte, geht der Junior sehr engagiert in den Familienbetrieb und erweitert diesen. Waugh sieht die Zukunft der Marke Tanqueray vor allem in den Kolonien des britischen Empires und in den Vereinigten Staaten. Die Export-Raten steigen stetig. Eines darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen. Zu dieser Zeit haben die Cocktail-Bars in Amerika eine blühende Phase und europäische Spirituosen waren hoch begehrt im Rückbuffet. Es war zudem der Anfang der Wachablösung im Gin-Segment. Sicherlich waren um 1880 Genever, Dutch- oder Holland Gin immer noch wesentlich populärer als Dry Gin, aber dies sollte sich in den nächsten Jahren stetig ändern und der Cocktail trug einiges dazu bei! Auch im alten Europa. Während man in der neuen Welt spätestens seit 1806 den Cocktail als erquickende Mixtur aus Spirituose, Zucker, Bitters und Wasser kannte, dauerte es in Europa noch etwas länger. Aber spätestens mit der ersten American Bar am Londoner Picadilly Circus kam auch diese Trink-Kultur unwiderruflich nach Europa. Es war im Übrigen ein gewisser Leo Engel, der 1874 dort The Criterion eröffnete.
Ein Gin-Konzern entsteht
Innerhalb kürzester Zeit wuchs das Familienunternehmen und ab 1897 plante man den ganz großen Coup. Die Gespräche, welche man mit Reginald C.W. Currie – dem damaligen Geschäftsführer von Gordon & Co – führte, sorgten ein Jahr später dazu, dass beide erfolgreichen Gin-Marken einen gemeinsamen Weg gingen. Nach der Firmenfusion verlagerte man die Produktion von Tanqueray nach Gordon’s Goswell Road Site in Clerkwell und ab 1899 wurde der US-amerikanische Markt in Angriff genommen. Noch heute ist dies der wichtigste Markt für Tanqueray, auch wenn er natürlich einigen historischen Umbrüchen unterworfen war. Spätestens seit 1920 und der nationalen Durchsetzung der Prohibition in den USA war es ein wenig schwieriger, den eigenen Gin dort abzusetzen.
Es gibt jedoch Stimmen die behaupten, man hätte in dieser Zeit ganz bewusst illegal Gin nach Amerika geliefert, um die Popularität der Marke zu steigern. Währenddessen wuchs das Unternehmen in Europa rasant. 1922 wurde Tanqueray Mitglied der Distillers Company, einem Zusammenschluss von ursprünglich 6 Scotch Whisky Destillerien aus dem Jahr 1877 (u.a. John Haig und später John Walker & Son sowie Buchanan-Dewar). Dieses Konglomerat wird Ende des 20. Jahrhunderts – genauer gesagt 1986 durch Guinness übernommen und bildet seitdem die Grundfeste des größten Getränke-Konzerns der Welt: Diageo. Doch bis dahin sollte noch so einiges geschehen.
Dass London Dry Gin nichts damit zu tun hat, dass Gin dieser Gattung zwingend in London destilliert werden muss, ist keine neuzeitliche Erkenntnis. Tanqueray wurde jedoch bis 1941 tatsächlich in der Hauptstadt Groß Britanniens hergestellt. Durch die deutschen Bombardements im zweiten Weltkrieg wurde die Destillerie bis auf eine Brennblase völlig zerstört. Heute kennt man diese „Überlebende“ unter dem Namen the old tom still. Sie ist immer noch in Betrieb – und zwar in der Großdestillerie von Cameron Bridge in Schottland, wo Tanqueray, wie auch Gordon’s Gin mittlerweile hergestellt werden.
Tanqueray, die Bars und die Pop-Kultur
Über die Bedeutung von Gin für Cocktail Bars wurde anfänglich schon etwas gesagt. Tanqueray als Marke hat dort eine besonders starke Pionier-Arbeit geleistet. Schon 1937 bot man zwei aromatisierte Gins an. Orange und Lemon Gin aus dem Hause Tanqueray bilden quasi so etwas wie die Vorgänger der modernen New Western Styled Gins. Sie wurden allerdings in den 1950er Jahren wieder vom Markt genommen. 1948 jedoch vollzog man eine Innovation, die bis heute anhält, bemerkbar und vor allem sichtbar ist. Die Gin-Marke Tanqueray verknüpfte sich in diesem Jahr unauflöslich mit dem Barhandwerk. Vor nunmehr 68 Jahren kam die Flasche auf den Markt, die wir heute alle sofort erkennen. Eine grüne Gin-Flasche (wohl die erste grüne Flasche in den USA) in Form eines Cocktail-Shakers. Diesem PR-tauglichen Fundament folgte eine beispiellose Werbekampagne in den Medien. Namen wie Frank Sinatra, Bob Hope oder Samy Davis Jr. wurden zu Testimonials für Tanqueray. Und selbst Rita Ora räumt der Marke in ihrem Song How we do (party) einen Platz ein: „You look so sweet while you’re dreaming, holding your bottle of Tanqueray“. Und damit steht sie in einer Reihe großer Künstler wie Madonna, Amy Winehouse, The Notrious B.I.G. oder gar Bruce Springsteen.
Und doch ist der tatsächliche Star diese eine Flasche in zartem Grün. In einer Zeit des Überflusses an Wacholder-Destillaten würden sich die meisten wahrscheinlich auf eine Flasche Tanqueray einigen, wenn man nur einen Gin nutzen dürfte. Trotz der enormen Reduktion auf vier Botanicals ist der einfache Tanqueray Dry Gin dermaßen vielseitig, dass er als perfekte Allround-Lösung gelten kann. Egal ob Martinis, Gimlets, Gin and Tonics oder andere klassische und moderne Gin-Drinks. Tanqueray – wie heißt es so schön: geht immer!
Die dazugehörige Marketing-Kampagne reduziert sich dementsprechend auch gerne auf Bars, Bartender und die Nacht: Tonight we Tanqueray.
Das Tanqueray Universum
Doch für spezielle Wünsche hat man es bei Diageo auch verstanden, spezielle Varianten anzubieten. So gibt es beispielsweise seit 2000 den Tanqueray No. Ten. Einen auf Zitrusfrüchte fokussierten und dennoch wacholderstarken Gin, der perfekt für Martinis geeignet ist und als Nachfolger eines Versuchs von 1997 gelten darf: dem Tanqueray Malacca. Exakt der Gin, der 2013 nochmals als limitierte Version aufgelegt wurde und durch eine leichte Süße und Noten von Lakritz und Grapefruit auffällt. Im Übrigen angeblich eine Rezeptur aus den Anfängen der Firmengeschichte. Ein weiteres Jahr später – 2014 – wandte man sich wieder einer historischen Gin-Interpretation zu und veröffentlichte den Tanqueray Old Tom als Antwort auf die steigende Nachfrage an klassischen Drinks und dementsprechend den Wunsch der Bartender nach einem vernünftigen (klassischen) Old Tom Gin, der sich nicht einfach nur als nachgezuckert versteht.
Weiterhin zum Tanqueray-Universum gehört der Tanqueray Rangpur, ein mit Rangpur-Limetten destillierter Gin, der durch seine fruchtige Leichtigkeit gerade im Sommer zu gefallen weiß.
Dieses Jahr (2015) soll es ab Mitte August wieder einen Neuen geben. Tanqueray Bloomsbury, eine Erinnerung an den Ursprung und wieder als limitierte Version. Wir dürfen also gespannt sein. Es sei natürlich noch erwähnt, dass es mit dem Tanqueray Sterling auch einen Vodka gibt, der jedoch eher schwer in Deutschland zu bekommen ist.
Was bleibt nun? Als erstes die Lust auf einen Gin & Tonic. Wichtiger jedoch vielleicht die Erkenntnis, dass Mies van der Rohe nicht Unrecht hatte mit seiner Forderung keep it simple. Ein guter Gin weiß auch mit Wenig zu gefallen. Es ist einfach gut zu wissen, dass man bei aller Freiheit, die der heute Gin-Markt bietet, auch immer etwas hat, auf das man sich besinnen und vor allem verlassen kann. Seit 1830.