Der Paper Plane Cocktail ist ein moderner Klassiker, der für viele hierzulande immer noch Neuland darstellt. Und dies, obwohl er in den USA seit einigen Jahren zu den populärsten Drinks des neuen Barzeitalters gilt. Er ist eine Abwandlung eines berühmten Prohibitionsdrinks und somit ebenfalls ein Einhorn – nur mit italienischen Vorfahren. Gründe genug, genauer nach New York und Chicago zu schauen und dennoch nicht einmal Al Capone erwähnen zu müssen. Alles, was Du über den Paper Plane Cocktail finden musst, erfährst Du hier in 5 Minuten.
Der Paper Plane Cocktail – der moderner Aperol-Drink von globaler Relevanz
Spätestens im Jahr 2020 wird klar, dass der Paper Plane Cocktail einer jener Klassikerabwandlungen ist, welche gekommen sind, um zu bleiben. Eine Eigenschaft, die nur wenige moderne Drinks teilen. Der Paper Plane ist damit ein leuchtendes Beispiel – nicht nur in Relevanz, sondern auch in der leuchtenden Farbe des knalligen Aperol-Orange. Denn im Jahr 2020 wird der Paper Plane Cocktail offiziell ein International Bartender Association Drink – ein anerkannter, klassischer Cocktail.
Moment! Ein moderner Barklassiker mit Aperol? Spritzige Vorurteile können an dieser Stelle direkt wieder in der Tasche verschwinden. Und vor allem mit ausreichend Wissen über diese wundervolle italienische Drink-Kategorie eigentlich auch gelöscht werden – am besten mit der Lektüre unseres Artikels über eben jenen Aperol Spritz. Aber das ist ein anderes Thema.
Und dennoch spielt der italienische Bitterorangenlikör mit Rhabarber eine tragende Rolle im Paper Plane Cocktail. Die herausragende Hauptrolle? Nein, aber auch keine Nebenrolle! Dies liegt an der besonderen Struktur des Drinks!
Viermal 22,5 – oder die perfekte Formel des Einhorns
Das Ganze ist bekanntlich oftmals mehr als die Summe der einzelnen Teile. Und so ist es bei der Rezeptur des Neo-Klassikers auch!
- 22,5ml Bourbon
- 22,5ml Aperol
- 22,5ml Nonino Amaro Quintessentia
- 22,5ml frischer Zitronensaft
Ein Drink mit vier gleichmengigen Zutaten, die allesamt auf den ersten Blick schwerlich zusammenpassen? Das erinnert stark an einen Klassiker der Prohibition: den Last Word Cocktail. Und genau so ist es, denn diese Wiederentdeckung der 2000er Jahre war es, die dem Bartender Sam Ross als Inspiration diente. Der Paper Plane funktioniert im Übrigen auch ganz hervorragend mit jeweils 30ml – das ist einfacher abzumessen.
Milk & Honey New York – Ikone und Mythos
Ohne wenn und aber gibt Sam Ross bereitwillig zu, dass der in den 2000er Jahren wieder sehr beliebt gewordene Last Word Cocktail (dessen Geschichte haben wir hier aufgeschrieben) die Vorlage für seine sommerliche Abwandlung ist. Quasi die Fortsetzung der letzten Worte mit anderen Mitteln.
Die 2000er Jahren in New York, dem Lebensmittelpunkt des in Australien geborenen Sam Ross sind geprägt von zwei Bars: Dem Pegu Club und dem Milk & Honey. Während erstere Bar verantwortlich ist für die Wiederentdeckung des Pegu Club Cocktails und der Kreation des Old Cuban Cocktails und des Little Itlay’s; ist das Milk & Honey die stilprägendste Bar des neuen Jahrtausends.
Als Sasha Petraske, der leider viel zu zeitig verstarb – am Silvesterabend im Jahr 1999 diese einzigartige Speakeasybar eröffnet, schafft er den Grundstein zu Neudefinition der American Bar. Nils Wrage, der Chefredakteur des Mixology-Magazins hat dieser Bar einen Artikel gewidmet, der es immer wieder wert ist, gelesen zu werden (klicke hier zum Artikel von Nils).
Als Teil des Bar Teams verhalf Sam Ross dem ehemaligen Kollege Tobey Maloney bei der Eröffnung seiner eigenen. Bar – dem The Violet Hour in Chicago mit einer sommerlichen Rezeptur. Dies ist der Beginn der Geschichte des Paper Plane Cocktails.
No one on the corner has swagger like us
Es ist der Sommer 2007 und kein Radiosender kommt um den M.I.A. Track Paper Planes herum. Dieser Downtempo HipHop Track gilt dem Rolling Stones Magazin als das fünftbeste Lied der 2000er Jahre und ist ein Ohrwurmgarant – aus eigener Erfahrung. Mit dem eingängigen Beat und dem markanten Text steht Ross in der Bar und arbeitet fasziniert von vierteiligen Drinks an seiner Abwandlung des Last Word Cocktails.
Wie genau er auf seine Rezeptur kommt wird für immer sein Geheimnis bleiben, doch es war damals nicht Aperol, welches dem Drink den Sommerflair verpasst, sondern der damals schon unter Barleuten populäre Campari. Und so landet in den ersten Tagen des The Velvet Hour ein Drink auf der Karte, der neben Bourbon, Amaro Nonino Quintessentia und frischem Zitronensaft Campari enthält. Doch Ross ist nicht gänzlich zufrieden – der Drink ist ihm einen Touch zu bitter und so tauscht er Campari mit dem etwas fruchtigeren Aperol und erschafft einen Drink, in den man sich allzu leicht verlieben kann.
Die Idee eines Drinks, der aus einfachen Zutaten nahezu in jeder Bar zubereitet werden kann, wird damit ein trinkbares Denkmal gesetzt.
Chicago, New York – und dann die Welt mit einem Papierflugzeug erobern
Sam Ross ist so verliebt in seinen Paper Plane, dass er sich kurzerhand entschließt, den Drink auch im Milk & Honey anzubieten und damit der Popularität des Drinks einen Extraschub zu verpassen. Der Rest ist nahezu mixologische Zeitgeschichte.
Einige Jahre später – im Jahr 2011 – greift Joaquín Simó das Konzept auf und kreiert seinen mittlerweile auch berühmten Naked & Famous als Twist des Twists des Last Word Cocktails und im Jahr 2014 eröffnet in San Jose eine Bar mit dem Namen Paper Plane – nachdem die Betreiber in New York ebenfalls der leuchtenden Liebe des Paper Planes erlagen.
Vier Teile des Einhorns
Es ist aber auch einfach, diesen Drink zu lieben. Wer Aperol Spritz mag und Whiskey Sours liebt, für den ist der Paper Plane der perfekte Drink. Ross, dem auch der Penicillin Cocktail zu verdanken ist (eine wundervolle Komposition aus Scotch, Zitronensaft, Ingwer und Honig) hat es nicht leicht, seine beiden Kreationen gegeneinander zu bewerten:
„Ich denke immer noch, dass Penicillin beliebter ist, aber eigentlich bin ich stolzer auf Paper Plane, weil es so einfach, köstlich und einzigartig ist. [… ] Vor diesem Getränk hatte ich noch nie etwas getrunken, das so schmeckte.“
Sam Ross
Der Paper Plane lebt von seiner inneren Dynamik und Balance. Die warme Tiefe des Bourbons und die bittere Frucht des Aperols in Kombination mit der subtilen Würze des Amaros aus dem Hause Nonino und die Frische der Zitrone – all das ergibt in Kombination einen Drink, der eine beeindruckende Komplexität in das Glas bringt.
Getränke mit gleichen Teilen sind total komisch; die guten sind so selten wie Hühnerzähne [… ] Die Dinger, die wirklich und wahrhaftig mit gleichen Teilen funktionieren, geben einem als Barkeeper das Gefühl, als würde man einen Zaubertrick aus nächster Nähe vorführen.“
Tobey Maloney
Bourbon und Bitter – Hypes einer Branche
Abgesehen von einer beeindruckenden Aromatik und der besonderen Struktur sind es vor allem die Zutaten und ihre Relevanz in der Zeit, die dem Paper Plane ebenfalls zum Erfolg verhelfen.
Die 2000er Jahre sind der Beginn des Wiederauflebens der Bourbon-Kultur und der Paper Plane einer der wenigen Aperitif-Drinks, die dem Whiskey der amerikanischen Seele eine geeignete Bühne bietet. Man kann auch wundervoll mit der Stilistik des Bourbons spielen. Mit einem milden Heaven’s Door Straight Bourbon oder einem Maker’s Mark ist der Drink wundervoll balanciert und für mich perfekt; wenn man es etwas kräftiger und Whiskey-fokussierter mag, eignet sich ein kräftiger, etwas stärkerer Bourbon wie der Wild Turkey 101 ganz hervorragend.
Und zum anderen werden Amaros in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends immer populärer. Im Zuge der großen Fernetisierung der Barszene werden auch andere – vorwiegend italienische – Bitterliköre immer populärer. Und für den Nonino Amaro Quintessentia ist es bis heute der vielleicht wichtigste Drink, in dessen Fahrwasser dieser auf Grappa basierende Kräuterlikör in die Regale der weltweiten Bars gelangt. Und ehrlicherweise sollte man den Paper Plane auch mit diesem Amaro mixen – er passt einfach am besten!
Der Paper Plane Cocktail – ein Zaubertrick für den Sommer
Ich liebe die Formulierung von Maloney, denn sie trifft genau den Kern dieser Drinks, deren Rezeptur auf den ersten Blick völlig unschlüssig und beliebig aussieht und mit jedem Schluck mehr Zauber verbreitet. Und der Paper Plane vermag für mich neben seiner unglaublichen Balance auch den Sommer herbeizuzaubern.
Wenn es jetzt draußen wärmer wird und ich mit den Gedanken schon meinen ersten Drink auf einer Terrasse bestelle, ist es Zeit, sich Gedanken zu machen, was es wird. Ein Drink, der die Wärme einfängt, aber robust genug ist, den letzten kühlen Windzug zu überstehen. Ein Drink, der mich nach Italien bringt und mich mit Frucht und feiner Bitterkeit verführt, der aber zugleich auch im Dunkeln getrunken werden kann (schließlich ist es ja noch nicht bis 22 Uhr hell und niemand sollte Spritz im Dunkeln trinken). Der Paper Plane ist der Drink der Stunde!