Der Last Word Cocktail ist einer dieser einzigartigen Drinks, die trotz eines wahrlich irritierenden Rezeptes einfach großartig sind. Der berühmteste Vierteiler der Cocktailgeschichte und Grund genug, eine Flasche Chartreuse im Haus zu haben. Zweimal verloren gegangen und wieder da – wer das letzte Wort hat, gewinnt halt. Erfahre hier alles über den Last Word Cocktail in 7 Minuten.
Meine ersten letzten Worte
Ich weiß zwar nicht mehr, wann genau ich das erste Mal einen Last Word Cocktail vor mir hatte, ich weiß aber noch genau, wo und wer ihn mir servierte. Es war Mitte, Ende der 2010er Jahre und es war am Ende des Tresens der Bar Galander in Berlin Kreuzberg. Ich kam abends von einer Veranstaltung, auf der ich als Barmixer arbeitete und hatte Lust, auf dem Heimweg einen befreundeten Kollegen zu besuchen.
Am Tresen dieser Berliner Barinstitution steht damals der stets aufmerksame und unsagbar charmante Lars Junge, polierte Gläser und fragt mich voller Vorfreude in den Augen, ob ich denn schon einmal von einem Last Word gehört hätte. Ich verneine. Und auf die Frage, was dies sei, wird das Schmunzeln in Lars Gesicht größer und größer, denn er kann meine Reaktion abschätzen.
Zu gleichen Teilen Gin, Maraschino, grüner Chartreuse und frischer Limettensaft – das war seine Antwort. Und so begeistert wie er mir das erzählt, so irritiert schaue ich. Das soll ein Drink sein? Und dann noch ein Balancierter? Mal ganz ehrlich, der Last Word Cocktail liest sich wie Knüpple-aus-dem-Sack! Egal – der Last Word Cocktail wird probiert!
Last Word Cocktail – und die Lust an der Ästhetik des Ungewöhnlichen
Und was soll ich sagen? Trotz aller Vorsicht beim ersten Schluck sitzt der Schlag. Nicht in die Magengrube, sondern ins Herz und vielmehr ins Hirn, denn der erste Schluck dieses einzigartigen Cocktails aus der Prohibitionsära wird sofort dazu führen, sich zu fragen, wie solch eine absurde Rezeptur komplexester Einzelzutaten einen solch harmonischen Drink erzeugen kann. Und ohne dass man dafür eine Lösung findet, wird man Gefallen an diesem einzigartigen Drink finden. Süße, Säure, Kräuter und Frucht – alles balanciert, intensiv und miteinander verwoben. Was für ein Drink – ich will mehr wissen!
Lars verrät, dass dieser Drink gerade super gehypt in den USA ist und dort von Ostküste bis Westküste in jeder relevanten Bar auf der Drink-Liste steht. Und nach nicht allzu langer Zeit ist dies in Deutschland genauso. Immer wieder muss einer das letzte Wort haben – und im Falle dieses Drinks bin ich froh darüber!
Doch wo kommt dieser Drink eigentlich her, der wie ein Fremder vor der Tür steht, klingelt und dann nie wieder geht?
Detroit – Last Word Cocktail City
Entstanden ist dieser Drink sehr wahrscheinlich in Detroit Mitte der 1910er Jahre. Im dortigen Detroit Athletic Club wird dieser Drink gemixt und den wohlhabenden Mitgliedern angeboten.
Ursprünglich als Club zur Ausübung von Amateursport im Jahr 1887 gegründet, wird der DAC in den frühen 1910er Jahren zu einem exklusiven Mitgliederclub für die gehobene Schicht der boomenden Automobilstadt Detroit umgewandelt. Zur Bewerbung der monatlichen Aktivitäten wird im Juli 1916 das aktuelle Menü des Clubs an die Mitglieder gesandt und in diese findet sich der Last Word Cocktail. Mit 35 Cent der hochpreisigste Drink des gesamten Menüs.
Allerdings findet sich auf dieser Karte keinerlei Hinweis auf eine Rezeptur oder Stilistik des Drinks. Diese wird erstmalig 1951 in dem Barbuch „Bottoms Up!“ von Ted Saucier veröffentlicht.
Auf dem Weg nach New York
Der Last Word Cocktail tritt alsbald seine erste Reise an, die Ihn direkt in die berühmteste Cocktailmetropole der Welt führt: in das Herz von New York City.
Es ist der irische Varieté-Künstler Frank Fogarty – The Dublin Minstrel genannt, welcher diesen Drink nach New York bringt. Dies wiederum wissen wir nur aus der zweiten schriftlichen Erwähnung des Last Word Cocktails, über 30 Jahre später. Denn während der Prohibition verschwindet der Drink.
Ted Saucier, der Autor von Bottom Up! ist PR-Mitarbeiter des Waldorf Astoria Hotels und veröffentlicht eine wohl nur für Ihn schlüssige Kuration von Drinks in einem Buch, das zu einem kleinen Skandal führt. Die prüden 1950er Jahre können schlecht umgehen mit dem Buch, weniger der Drinks wegen, sondern vielmehr wegen der 13 recht freizügigen und als frivol angesehenen Illustrationen in diesem Buch. Aber diese können uns egal sein.
Saucier weiß über den Last Word Cocktail folgendes zu berichten:
„This cocktail was introduced here about thirty years ago by Frank Fogarty who was very well known in vaudeville. He was called the ‚Dublin Minstrel’ and was a very fine monologue artist.“
Hier verbinden sich die beiden Anekdoten des Last Word Cocktails zu einer recht schlüssigen Geschichte.
Letzte Worte eines Wortkünstlers
Frank Fogerty ist Varieté-Monologist zur Zeit der Entstehung des Last Word Cocktails – oder wie wir es heute nennen: Stand Up Comedian. Seine Shows eröffnet er musikalisch und pflegt diese stets mit einer ergreifenden Rezitation zu beenden. Perfekt gewählte letzte Worte sind sein Metier. Und so wird er schon durch den Namen des Drinks in der Karte des Detroit Athletic Clubs während seines Besuchs im Dezember 1916 begeistert sein. Er lässt sich die Rezeptur notieren und nimmt sie mit nach New York. Wahrscheinlich in das Waldorf Astoria, in dem er regelmäßig logiert.
So kommt der Last Word Cocktail nach New York City – doch hier scheint er sich nicht durchzusetzen, denn auch in der freiesten Stadt der Welt sorgt die Prohibition für trockene Gläser. Vermeintlich!
Denn einigen Munkeleien zufolge werden einige der Suiten des Waldorf Astorias zu Speakeasy Bars für die feine Gesellschaft umgebaut und vielleicht überlebt der Last Word Cocktail so die Zeit und gerät so in die Sammlung von Saucier.
Doch die bevorstehenden 1960er und 1970er Jahre sind keine goldene Zeit für klassische Drinks. Diese werden bunt und süß. Und so verschwindet der zwar farbenfrohe, aber doch recht kompakte Last Word Cocktail in der liquiden Versenkung.
Bis, nun bis ein stiller Held der Cocktail-Renaissance ihn wiederentdeckt.
Murray Stenson und die zweite Wiederentdeckung des Last Word Cocktails
Wenn man die Geschichte des Last Word Cocktails erzählen möchte, kommt man um Murray Stenson nicht umher. Man kommt an diesem bescheidenen und leisen Helden auch nicht umher, wenn man die generelle Geschichte der Cocktail-Renaissance und die Entstehung von Craft Cocktails niederschreiben möchte.
Und erstaunlicherweise wird einem Bewusst, dass beides – die Cocktail-Renaissance und die Geschichte des Last Word Cocktails untrennbar miteinander verbunden sind. Verbunden mit dem Namen Murray Stenson.
Der Sohn eines Grundschullehrers und einer Hausfrau ist ein Quereinsteiger, wie er wohl im Buche steht. 1949 geboren, bricht er das Community College ab und verdient sich mit einfachen Aushilfsarbeiten sein Geld. Bis ihm eines Tages ein Job in einem Restaurant seines Vermieters angeboten wird. Und damit beginnt eine Karriere, die man zumindest hierzulande viel zu selten würdigt.
Schon in den 1980er Jahren war Stenson genervt von den gezuckerten Eskapaden in den damaligen Cocktailgläsern und beschäftigte sich lieber mit klassischen Drinks. Und während wir in den frühen 2000er Jahren gerade feststellten, dass es mehr als einen Gin gibt und das Old Fashioned Cocktails mehr sein können als Kirsch-Orangenbrei mit verwässertem Bourbon, beschäftigt sich Murray Stenson mit klassischen Rezepturen.
Zu dieser Zeit arbeitet er schon (seit 2002 bis 2011) im ZigZag Café in Seattle und begründete dort moderne Mixology. Ohne viel Aufsehen zu erregen, denn dies widerspricht seinem Naturell.
Der Last Word Cocktail, grüner Chartreuse und globaler Ruhm
2003 stößt Stenson auf der Suche nach Inspiration für neue alte Drinks in dem schon erwähnten Bottoms Up! Von 1951 auf den Last Word Cocktail und setzt ihn auf die Karte. Und rasend schnell entwickelt sich der Drink zu einem wahren Geheimtipp!
Dies liegt wohl an der wirklich überraschenden Rezeptur und am Zeitgeist der 2000er Jahre.
Ein Drink mit dieser Rezeptur kann nur herausfordern. Und wenn Neugierde mit einer solch beeindruckenden Komplexität und Aromaintensität belohnt wird, dann haben wohl alle gewonnen. Und dann kommt dazu, dass vor allem europäische Liköre zu Beginn der Cocktail-Renaissance en Vogue sind – wie wir ja auch im Artikel über den Amer Picon gesehen haben.
Maraschino und Chartreuse sind alkoholische Legenden der Bargeschichte vor der Prohibition und da in den 2000er Jahren genau dieser Stil immer mehr an Bedeutung gewann, konnten Drinks damit nur Neugierde hervorbringen. Und vor allem Chartreuse.
Chartreuse – der vielleicht legendärste Likör der Welt, welcher seit 1605 von Mönchen in Frankreich hergestellt wird, ist auch hierzulande sagenumwoben und gehört zu den Flaschen, die eine moderne und hochwertige Bar auszeichnen. Was hinter dieser grünen (und gelben) Legende steckt, haben wir hier für Dich aufgeschrieben.
Ein stiller Held
Und so kommt es, wie es kommen musste – der Last Word Cocktail verbreitet sich rasant an den Bar. Nicht nur in den USA, sondern weltweit. In den Vereinigten Staaten auch dank berühmter Bars wie dem Pegu Club, der in New York dafür sorgt, dass der Last Word immer populärer wird.
Und doch kann die Bedeutung von Murray Stenson nicht ausreichend genug herausgestellt werden. Er hatte das glückliche Händchen, genau dieses eine Barbuch zur Inspiration zu lesen und genau diesen Drink herauszupicken. Er fand die goldene Nadel im Strohhaufen und dies hat man ihm jenseits des Atlantiks nie vergessen.
Der Barkeeper, der bis kurz vor seinem Tod am 22.09.2023 noch an der Bar arbeitete wurde 2010 auf den Tales of the Cocktails in New Orleans zum besten Barmixer der USA gewählt und ausgezeichnet. Er selbst blieb der Zeremonie fern. Er scheute das Rampenlicht, das ihm nie wichtig war; und er hatte eine Bar-Schicht an diesem Abend.
An dieser Stelle möchte ich auf einen Artikel in der New York Times aufmerksam machen, die Murray Stenson einen Nachruf schrieb, der seine Bedeutung für die Geschichte der modernen Barkultur wundervoll porträtiert und uns eine Lektion in Demut beschert: klicke hier zum Artikel.
“I enjoy being behind the bar. That’s where you meet all the really interesting people.”
Last Word Cocktail – Summenspiel in Perfektion
Es sind vier singuläre Momente der Cocktailgeschichte, die für den Last Word Cocktail relevant sind: seine Kreation im Detroit Athletic Club, der Besuch Frank Fogertys dort und die Mitnahme des Rezepts, der Abdruck des Rezepts durch Ted Saucier und schlussendlich die Wiederentdeckung durch Murray Stenson.
Und vier ist auch die Anzahl der Zutaten für diesen einzigartigen Drink, dessen Rezeptur so einfach wie beeindruckend ist:
- 22,5ml Gin (klassischer London Dry Gin) – ich empfehle hier den Tanqueray London Dry
- 22,5ml Maraschino (ich habe immer eine Flasche von Luxardo daheim)
- 22,5ml Grüner Chartreuse
- 22,5 ml frischer Limettensaft
Natürlich kann man die Menge auch auf 20ml pro Zutat reduzieren, damit es sich leichter abmessen lässt. Dies alles kräftig schütteln und in eine gekühlte Coupette doppelt abseihen. Mit einer Limettenzeste aromatisieren und servieren.
Man sollte Vorsicht walten lassen, denn dieser Drink hat es gehörig in sich. Und die viel zitierten letzten Worte werden nach einem Last Word Cocktail nicht leichter – und dennoch solltest Du diesen Drink unbedingt probieren!
Schließlich ist er Bestandteil der einzigartigen Cocktailrenaissance und seit vielen Jahren auch Vorlage vieler mittlerweile selbst berühmter Twist wie dem Paper Plane Cocktail oder dem Naked & Famous – aber dies sind andere zu erzählende Geschichten.
Und um dem Thema gerecht zu werden, schließe ich den Artikel über den Last Word Cocktail mit den passenden letzten Worten Johannes Brahms: „Oh, das schmeckt gut!“.