Mit dem Bulleit Rye 95 widmen wir uns einem amerikanischen Roggen-Whiskey, der in den letzten Jahren eine enorme Präsenz in den Rückbuffets der hiesigen Cocktailbars zeigte. Ein Klassiker der modernen Barkultur, den es so jedoch erst seit einigen Jahren überhaupt gibt. Darüber hinaus ist Bulleit ein umstrittenes Markenprojekt, wie Du im Artikel erfahren wirst. Und dennoch ist er es wert, hier genauer betrachtet zu werden. Und was den Bulleit Rye 95 ausmacht, wie er schmeckt und warum es nicht immer einfach mit der Geschichte ist, das erfährst Du hier in 6 Minuten.
Bulleit – Ein Frontier Whiskey
Wenn man eine Flasche Bulleit Rye sieht, dass ist die korrespondierende Flasche Bulleit Bourbon keinesfalls weit. Ein Paar wie Pech und Schwefel, oder eher wie Mais und Roggen, das eines eint: ein großes und deutliches Statement: Frontier Whiskey. Ein Whisky also für einen ur-amerikanischen Mythos.
Diese Frontier ist das berühmte Synonym für den Alten Westen, den Wilden Westen. Jenes Land, das hinter den bekannten Siedlungsgebieten der europäischen Siedler der Ostküste Amerikas im ausgehenden 17. Jahrhundert liegt. Dieses Folklore-Konglomerat war über Generationen ein prägender Teil der Lebensweise der kolonisierenden (späteren) US Amerikaner und ist uns vor allem durch Wild West Verfilmungen und zahlreiche Mythen bekannt.
Dabei war diese Grenze oder vielmehr das Gebiet dahinter damals ziemlich genau definiert, als ein Gebiet mit weniger als 2 Menschen pro Quadratmeile. Also 0,77 Menschen pro Quadratkilometer (siehe hier).
Doch es sind vor allem die Legenden und Geschichten, die diese Region ausmachen. Und in diese Geschichten webt sich die Idee von Bulleit ein.
August Bulleit – französischer Wirt und Namensgeber
Benannt ist der Bulleit Rye – wie auch der Bourbon – nach Augustus Bulleit, einem französischen Auswanderer, welcher im Jahr 1805 wohl in Frankreich geboren wurde und im Alter zwischen 20 und 30 New Orleans erreichte. Er betrieb dort wohl mehrere Tavernen und zog später nach Kentucky, wo er begann, Whiskey zu brennen.
Einige Generationen später ist es Tom Bulleit, der im Jahr 1987 die Marke Bulleit Whiskey gründete und anfing, Whiskey zu produzieren, welcher dann ab dem Jahr 1995 vermarktet wurde. Später übernahm die Firma Seagrams die Marke und mit der Aufteilung dieses alten Spirituosengiganten kam Bulleit als Marke in das Portfolio von Diageo. Und damit, und dafür muss man Diageo dankbar sein, sehr zuverlässig auch in unsere Bars.
Das ist die, wenn auch kurze, so doch aber offiziell kolportierte Geschichte.
Bulleit und eine Geschichte die eine Geschichte ist
Etwas anders sieht es aus, wenn man der Diskussion u.a. auf dem in den USA bekannten Chuck Cowdery Blog für Whiskey folgt. Der berühmte Autor und Whiskey Blogger ist unter anderem Mitglied der Kentucky Bourbon Hall of Fame – einer der wichtigsten Auszeichnungen der Bourbon-Kultur in den USA. Eine Ruhmeshalle des destillierten Mais.
Die gesamte Diskussion um die Geschichte der Marke Bulleit werde ich an dieser Stelle nicht wiedergeben, sondern möchte auf den konkreten Artikel verweisen. Also, wenn Du es genau wissen möchtest, dann klicke einmal hier um zum Artikel zu gelangen. Aber man lernt recht schnell, dass kaum etwas, das man über Bulleit aus Marketingbroschüren liest, einem wissenschaftlichen Abgleich standhält.
Schlussendlich muss man wohl zugestehen, dass es sich bei Bulleit Whiskey in erster Linie um eine konstruierte Marke handelt, deren Geschichte wohl ausgedacht ist. Dies ist vielleicht gar nicht schlimm, gibt es doch dafür unzählige erfolgreiche Geschichten in der Spirituosenindustrie. Nur oftmals finden wir solche ausgedachten Erzählungen im schnelldrehenden Gin- oder Vodka-Geschäft.
Bulleit Rye wird bei MGP destilliert
Ein für amerikanische Whiskeys gängiges Thema ist außerdem die Frage nach der tatsächlichen Brennerei hinter einer Marke. Auch wenn es nun seit einigen Jahren eine Bulleit Brennerei gibt – in der mittlerweile der Bourbon destilliert wird; so wird der Bulleit Rye weiterhin bei MGP (Midwest Grain Products) in Indiana destilliert.
Mit einer schottischen Brille klingt das vielleicht befremdlich, aber in Amerika ist es tatsächlich gängig, da hier weniger um Brennereistil- also die Form einer Brennblase geht, als um die Zusammensetzung der Mash und der verwendeten Hefe.
Und außerdem kommen ja auch weitere fantastische Whiskeys wie Grass Widow, einige Willets, Abfüllungen der SMWS oder einige High West Ryes von dort.
Diese Welt lebt davon, dass Geschichten ausgeschmückt und ausgedacht werden. Und besonders in der Spirituosen-Welt sind Geschichten immer mit gesundem Menschenverstand zu genießen. Doch wie geht man als Konsument damit um?
EXKURS: Über den Umgang mit Geschichten und Marketing
Wer sich nur dafür interessiert, wie der Bulleit Rye 95 schmeckt, der kann an dieser Stelle etwas weiter klicken bis zum nächsten Abschnitt. An dieser Stelle möchte ich ein paar kurze und zum Teil noch ungeordnete Gedanken zum Thema Geschichten und Marketing darlegen.
Und diese Darlegung beginnt mit dem Wort „Authentizität“. Ein wahrlich beeindruckendes Wort, nicht nur nach ein paar Drinks und einer gelösten Zunge. Vor allem aber ein aufgeladenes Wort, das auch mir regelmäßig über die Lippen kommt, nicht ohne dass ich mich dabei ertappe, über mich selber zu schmunzeln.
Ein guter Song zum Thema: Kein Außen mehr von Kettcar.
Authentisch war und ist vieles. Doch ist es deswegen gleich automatisch gut? Wir können das Problem aus zwei Perspektiven betrachten.
Zum einen stellt sich die Frage, ob gute Spirituosen, Weine oder Getränke im Allgemeinen und natürlich auch Speisen authentisch sein müssen, um wirklich gut zu sein. Und zum anderen kann man fragen, ob Authentizität tatsächlich ein erstrebenswerter Wert ist, oder ob Qualität nicht viel wichtiger ist.
Beide Fragen zielen auf das gleiche Problem ab: unsere Sehnsucht nach Geschichten und unser Verlangen nach Glaubwürdigkeit abseits der eigentlichen Qualität. Denn Geschichten kann ich fühlen, Qualität nicht immer erkennen. Denn um ein Produkt ehrlich zu bewerten, muss man sich doch etwas auskennen und dahinter schmecken.
Und glaube mir eines: für mich ist das kein einfacher Diskurs, arbeite ich doch selbst in genau diesem Metier, das bekannt ist als Spirituosen-Marketing.
Vermeintlich authentische Aspekte in der Geschichte, der Produktion oder der Beschaffung der Rohstoffe werden häufig bevorzugt. Der Fokus liegt oft auf der wahrgenommenen Relevanz der Argumente, wobei das eigentliche Argument selten im Vordergrund steht.
Vielleicht ist es auch einfach nur die Sehnsucht, sich darauf verlassen zu können, dass all diese tollen Geschichten wahr sind, denn ich liebe sie auch. Aber das kann man einfach nicht gänzlich garantieren und daraus folgt, dass man die Geschichten überprüfen muss.
Den eigenen Erkenntnisgewinn fördern
Ohne jetzt eine elendige Debatte aufzumachen, würde ich gerne viele argumentatorische Schritte überspringen, denen ich mich gerne an anderer Stelle widmen wollen würde und einen produktorientierten Lösungsvorschlag voranstellen:
Wie wäre es mit der Bewertung eines Genussmittels durch den Genuss selbst? Lernen wir die Produkte konkret kennen und bewerten. Und das kannst Du auch ganz einfach: kosten, probieren und austauschen. Und immer mal wieder in Frage stellen. Ein also ganz einfach kritischer Umgang mit dem, was Du da im Glas hast. Und die ehrliche Frage: wie schmeckt es und wie wurde es hergestellt.
Wenn Du dir dabei sicher bist, dann sind schöne Geschichten spannend zu lesen aber beeinflussen Dich weniger und Du kannst Deiner Nase und Deinem Gaumen vertrauen.
Vielleicht lässt es sich auf die einfache Floskel von „weniger Hörensagen, mehr eigene und begründete Erkenntnis“ herunter brechen. Im Übrigen eine Herangehensweise, die nicht nur für Genussmittel hilfreich ist, sondern auch im Alltag ganz hilfreich wäre. [Exkurs Ende].
Und dem gehen wir nun nach und öffnen eine Flasche Bulleit Rye 95. Auch wenn bestimmt einige Fragezeichen im Raum stehen bleiben.
Bulleit Rye und seine zurückhaltende und zärtliche Nase
Im Glas präsentiert sich der Bulleit Rye in einem kupfernen Braun mit leicht goldenem Einschlag. Unabhängig von den historischen Ungereimtheiten in der Geschichte, kann man sich bei Bourbon und Rye sicher sein, dass dank des strengen Gesetzes hier die Farbe wirklich aus dem Fass kommt.
Der Whiskey präsentiert sich im ersten Eindruck mit einer sehr klaren und zugleich feinen Struktur. Der Bulleit Rye wirkt fast schon schüchtern im ersten Eindruck und das trotz seiner 45% Vol. Alkohol und den kräftigen 95% Roggen in der Maische – der Fakt hinter der Zahl auf dem Etikett.
Es sind feine Nuancen und eine filigrane Säure des Roggens, die sich präsentiert und eine Zeit benötigen, bis sie sich weiter öffnen. Doch langsam kommt die so typische Roggenwürze in der Nase an. Dazu eine tolle Fruchtigkeit von Apfel und Birnen in einem reifen, fast rotbackigen Zustand.
Nach einigem Anlauf und etwas Luft präsentieren sich die typischen Holznoten amerikanischer Whiskeys: eine Melange aus diesem typischen Klebstoff, der einfach dazugehört und weißen Gewürzen wird intensiver. Weißer Pfeffer, geriebene Muskatnuss und vielleicht etwas Zimt finden sich und fügen sich in das anfängliche Birnenaroma herrlich ein.
Ich bin wirklich überrascht über diese grundsätzlich elegante Zurückhaltung und Zärtlichkeit.
Komplex, Fruchtig und stets elegant: Bulleit Rye
Im Mund verliert er von der Schüchternheit schnell einiges und ist recht präsent mit Roggenwürze und Röstaromen, schwarzem Pfeffer und irgendwie dem Eindruck, einen rundum kompletten Rye Whiskey auf der Zunge zu haben. Dabei behält der Bulleit Rye dennoch seine Eleganz und spielt mit einer feinen und harmonischen Säure des Roggens – ähnlich einem guten Brot.
Die gesamte Wahrnehmung ist feingliedrig und elegant. Und nach dem ersten Schluck findet sich eine cremige süße Textur, die einfach freundlich wirkt. Die Roggenwürze tritt etwas in den Hintergrund und überlässt der Süße den Raum.
Aromen von gebackener Ananas entfalten sich und finden dunkel Kirschnoten als Partner, deren Spiel auf dieser wundervollen Balance von Würze und Süße aufgeführt wird und deren Dynamik mit jedem Schluck zunimmt.
Es finden sich nun auch schokoladige Anklänge, die sich wunderbar eingliedern in das Aromenspiel und die Harmonie des Bulleit Rye. Auch Noten von kandierten Orangen entwickeln sich und erweitern die Fruchtigkeit und erzeugen eine Komplexität, die einfach Freude bereitet.
Es ist wirklich beeindruckend, wie durchziehend sich das Stilelement der Eleganz im Bulleit Rye abbildet. Damit ist er bestimmt kein Roggenwhiskey, der für Fans enormer Intensität geschaffen wurde. Aber für diejenigen, denen Harmonie und Balance wichtig ist, ist der Bulleit Rye eine fabelhafte Flasche!
Und doch ein bisschen Cowboy
Und er ist eine Allzweckwaffe für klassische Rye-Cocktails wie einen Manhattan oder dessen Umkehrung: den Reverse Manhattan. Um ganz versöhnlich das evozierte Cowboybild eines Frontier-Whiskeys noch einmal aufzugreifen: ein Glas Bulleit Rye 95 und dazu ein Bier sind auch eine ganz fabelhafte Kombination, zu der ein paar BBQ-Rippchen ganz hervorragend passen.
Allgemeine Informationen
Hersteller: Midwest -grain Products
Alter: 4-7
Alkoholgehalt: 45% Vol.
Farbstoff: Nein
Kühlfiltration: n.n.
Vielen Dank an DIAGEO Deutschland für eine Flasche Bulleit Rye 95. Außer Whiskey ist für diesen Artikel nichts geflossen.