Die Rebsorte Aligoté ist die zweitwichtigste weiße Rebsorte der berühmten Weinbauregion Burgund. Und dennoch ist sie vielen unbekannt. Was genau hinter diesem liquiden Geheimtipp liegt, was Aligoté auszeichnet und warum Du unbedingt ein paar Flaschen davon daheim haben solltest, erfährst Du hier in 6 Minuten
Aligoté – im Schatten von Chardonnay
Für kleine Geschwister ist es manchmal schwer, im Schatten der erfolgreichen großen Brüder und Schwestern zu bestehen. Wenn andere strahlen kann man leicht übersehen werden. So ähnlich geht es der Rebsorte Aligoté. Auch wenn Sie der zweitwichtigste Weißwein aus dem Burgund ist, so haben doch viele – vor allem außerhalb der Sommelier-Szene – noch nie etwas von Aligoté gehört. Dabei stellt sie eine tragende Rolle in der Weinkultur des Burgunds dar und ohne sie wäre der so beliebte Crémant de Bourgogne wohl kaum vorstellbar, denn hier spielt Aligoté die Hauptrolle. Aber vielleicht ist dies auch zugleich ihr Fluch und Segen.
Berühmte Eltern
Die Herkunft der heute eher proletarisch – im Vergleich zum königlichen Chardonnay – anmutende Rebsorte hat dabei eine herausragende Abstammung. Sie entstand aller Wahrscheinlichkeit nach im 17. Jahrhundert durch eine spontane, also ungewollte Kreuzung zwischen Pinot Noir – dem berühmten Rotwein des Burgunds – und der Gouais Blanc.
Gouais Blanc ist eine noch viel ambivalentere Rebsorte als es Aligoté ist. Denn Hand aufs Herz: kanntest Du Gouais blanc? In Deutschland ist sie unter dem Namen Weißer Heunisch nicht wirklich bekannter und ehrlicherweise habe ich noch nie eine Flasche davon getrunken. Bei einer gesamtdeutschen Rebfläche von 2 Hektar ist dies aber auch kaum verwunderlich.
Selbst wenn Gouais Blanc in der heutigen Weinwelt abgefüllt keine Rolle spielt, so ist dieser Wein für die vinophile Kulturgeschichte von enormer Relevanz, stammen doch unter anderem der Riesling, als auch der so bedeutsame Chardonnay von ihr ab. Im übrigen stammen auch Gamay (das rote Pendant zu Aligoté und der österreichische Blaufränkische) von Gouais Blanc ab.
So lassen sich die Familienzusammenhänge im Burgund recht einfach darstellen. Pinot Noir ist der Vater der Aligoté und der Chardonnay seine Schwester. Etwas kompliziert, aber gut zu wissen.
Eine terroirbezogene Traube mit Ansprüchen
Der Anbau von Aligoté erfolgt heute im Burgund auf knapp 2.000 Hektar – bei einer ungefähren Gesamtanbaufläche von 24.000 Hektar. Außerhalb des Burgunds wird sie vor allem in der Schweiz, am meisten jedoch in Osteuropa angebaut. Dort sind rund 20.000 Hektar mit Aligoté bestockt, wobei es sich dabei vornehmlich um Weinbau zur Schaumweingewinnung handelt. Stillweine sind ganz klar die vielleicht versteckte Superkraft dieser Rebsorte.
Erstaunlicherweise ist Aligoté eine Rebsorte, die trotz ihres nicht vorhandenen Rufs unglaublich terroirbezogen und anspruchsvoll ist. Viel stärker als Chardonnay, was wohl auch dazu führte, dass dieser sich ob seines leichteren Anbaus durchsetzte.
Aligoté liebt kühles Klima (hier merkt man die Verwandtschaft zum Riesling deutlich) und kalkhaltige Böden. Durch ihre doch sehr kleinen und dichten Trauben ist sie stark anfällig für Pilzerkrankungen und benötigt daher optimale Lagen. Und sie muss gepflegt werden. Dazu ist sie deutlich ertragsärmer als ihre große Schwester.
Appellationen AOC Bourgogne Aligoté
Die Terroir-Affinität der Rebsorte und die grundsätzliche Weinphilosophie bedingen sich einander und so ist es nicht verwunderlich, dass es natürlich auch für Aligoté ein Appellationsgesetz gibt. Die grundlegende Appellation (A.O.C. Bourgogne Aligoté) wurde zum 31.Juli 1937 gültig und verteilt sich eigentlich über die gesamte Weinbauregion Burgund vom nördlichen Chablis, hinein in die Côte de Nuites über die Côte de Beaune bis in das Mâconnais.
Die Appellation umfasst dabei vier Departements (Côte d’Or, Rhône, Sâone-et-Loir und Yonne) mit insgesamt 384 Gemeinden.
Eine herausragende Stellung dabei besitzt die Gemeinde Bouzeron. In dieser Ortschaft, welche keine 150 Anwohner zählt, spielt Aligoté eine besondere Rolle, denn seit dem 17. Februar 1998 ist Bouzeron die einzige Gemeinde mit einem eigenen AOC. Zwar genoss sie schon seit 1979 den Status der Etikett-Nennung (wie bei den Grand Cru Gemeinden darf der Ortsname auf der Flasche vermerkt werden), doch es war vor allem die Arbeit von Aubert de Villaine und seine Leidenschaft für Aligoté, die dazu führte, dass die hier entstehenden Weine von herausragender Qualität sind. Und mit weltberühmter Qualität kennt sich der Winzer Villaine aus, ist er doch Miteigentümer der legendären Domaine de la Romanée-Conti. Aber dies ist eine andere Geschichte.
Typisch Burgund: Alte Weine und klassisches Handwerk – eine Moderne Herangehensweise
Der von Villaine eingeschlagene Weg, Aligoté mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Rebe auch ihren Ansprüchen folgend zu behandeln schlossen sich im Laufe der Zeit mehrere Winzer an. Die sogenannten Aligoteurs – eine Winzergruppe von ca. 60 Betrieben setzte sich zum Ziel, Weine zu kreieren, die im Weinberg entstehen und zeigen, was Aligoté in der Flasche vermag.
Und der erste Schritt dazu war eine Ertragsreduzierung. Der oben erwähnte Fluch und Segen der Schaumweinproduktion verlangt in erster Linie viel Lesegut. Dieses reduzierte man durch Grünschnitt (Fokussierung auf wenige Trauben am Stock) im Frühsommer. Somit ging alle Energie der Rebe in nur wenige Trauben; und diese ließ man nun deutlich länger hängen und ausreifen. Teilweise wird Aligoté mittlerweile nach dem Chardonnay, im September, gelesen. Wobei dieses Thema sich durch den Klimawandel Jahr für Jahr komplizierter gestaltet.
Die gelesenen Weine – zumeist handelt es sich hierbei um Handlese – werden schonend abgepresst und der Most vorwiegend in Edelstahltanks unter strenger Temperaturkontrolle kühl vergoren. Im Schnitt liegt die Temperatur bei 12 bis maximal 14°C um die feine, elegante Säurestruktur des Weins beizubehalten. Jene ist es auch, die eines der Hauptaromastrukturen des Aligoté ausmacht – gepaart mit einer feinen Floralität und einer stets untermalenden Mineralik.
Spannend ist heute der teilweise Einsatz von Fässern in der Reifung der Weine auf einem Feinhefelager. Damit erzielt man Abfüllungen, die eine wundervolle Tiefe und Dichte präsentieren. Gute Beispiele hierfür sind die Weine von David Moret oder Sylvain Pataille.
Man stellte zum Glück irgendwann fest, dass diese besondere und so typisch burgundische Rebsorte viel mehr kann als Masse für Crémant, denn dass Aligoté so lange im Schatten von Chardonnay stand (und leider immer noch steht) ist in erster Linie die Schuld von Winzern, die Massenweine herstellen. Die Traube selbst ist zu größerem geeignet. Auch wenn ich natürlich diesen Charme des Underdogs und Arbeiterweins sehr schätze.
Von Finesse, Mineralik und Einfachheit
Und irgendwie trifft es Arbeiterwein ganz gut. Zumindest was die Einstiegsqualitäten betrifft. Ein großer Vorteil gegenüber dem Chardonnay liegt in der Tatsache, dass man Weine aus Aligoté schon recht jung mit sehr viel Freude genießen kann.
Die Balance zwischen Frucht und Säure, gepaart mit Mineralik und teilweisem Fasseinfluss lässt Weine entstehen, die zwischen dienstaglichem Mittagswein und fulminanten Speisebegleitern Dimensionen erreichen können, die tatsächlich für jeden Anlass etwas bieten. Sich durch diese Welt zu trinken ist vielleicht nicht immer einfach – die meisten Winzer produzieren nur kleine Mengen und generell ist Aligoté nicht sehr verbreitet in den Regalen unserer Weinhändler. Aber es lohnt sich!
Für junge, einfache Weine, welche gut gekühlt sind, passt ein Weißweinglas für Riesling ganz hervorragend, um eben jene Fruchtstrukturen von grünen Äpfeln oder von Zitrusfrüchten zu forcieren. Größere Weine verlangen förmlich nach Burgundergläsern – ganz gemäß ihrer Herkunft. Hier trumpfen dann gerne einmal Aromen von Stachelbeere, Birne und Haselnuss auf.
Mich begeistert bei aller Vielfältigkeit jedoch auch immer die Idee, dem teilweise prätentiösen Burgund den Daumen zu zeigen mit einem Wein, der all das bietet, was die gefeierten Weine auch haben – nur halt für deutlich weniger Geld. Und immer mit der Attitüde, dass es sich hier um den typischen Wein des Landes handelt. Immer etwas Labour, immer etwas Dreck unter den Fingernägeln und weniger Glitzer und Glamour.
Der Kir – ein weiterer Fluch und Segen
Und natürlich spielt für den Charme der Weine auch ihre Geschichte im berühmtesten aller burgundischen Aperitifs eine entscheidende Rolle. Es sind die einfachen, frischen Weine die die Basis bilden für den Kir. Jenen Drink aus Aligoté und Crème de Cassis, der dank des ehemaligen Bürgermeisters von Dijon – Felix Kir – heute einer der berühmtesten Getränke der Grande Nation ist. Dessen Geschichte erfährst Du hier.
Ab ins Glas und an den Tisch!
Und was wäre eine Flasche großartigen Weins ohne das passende Essen?
Auch wenn das Burgund recht weit weg von jeglichem Meer liegt, so ist Aligoté natürlich ob seiner feinen, frischen Säure ein herrlicher Partner für Meeresfrüchte aller Art. Durch seine strukturelle Stärke kann der Wein auch formidabel mit kräftigen Gewürzen mithalten und harmoniert ganz wunderbar mit Curry; auch hier merkt man die Verwandtschaft mit dem Riesling.
Doch auch ein Feldsalat mit Nüssen und Ziegenkäse passt ganz hervorragend oder ein Kaninchen in Estragon-Sauce. Und wenn es um einen Aperitifservice geht, dann eignen sich Thymian-Gougères ganz fantastisch oder einfach nur ein guter Schinken.
Das Wichtigste jedoch – und das ist es ja immer: gute Freunde, nette Menschen und ein kurzer Moment der Entspannung, um das Leben zu feiern. Genau für solche Anlässe ist sie gemacht: die verborgene Weinperle des Burgunds.