Der Brooklyn Cocktail ist der zweite Cocktail der legendären New York Cocktail Anthologie – jener Reihe von Drinks, deren Herkunft des Namens nach die niemals schlafende Stadt ist. Zumeist sind diese Drinks strukturell mit dem berühmten Manhattan Cocktail verwand – so wie in diesem Falle auch – doch offenbaren sie eine gänzlich eigene Geschichte. So wie Ihr Stadtteil. Die Geschichte des Brooklyn Cocktails und wie Du diesen mixt, erfährst Du hier in 6 Minuten.
Brooklyn – eine schnelllebige Geschichte
Bevor Brooklyn 1898 ein Stadtteil der immer weiterwachsenden Metropole New York wurde, war es eine eigenständige Stadt im Kings County. Noch Ende des 18. Jahrhunderts lag die Einwohnerzahl der Gemeinde (Brooklyn bekam erst 1834 das Stadtrecht) bei beschaulichen 4500 Personen. Ende des 19. Jahrhunderts waren es schon über eine Million Menschen, die der Anziehungskraft des Großraums folgten und sich gegenüber von Manhattan in einer durch Industrie und Handel geprägten Stadt niederließen. Vor allem das Ende der 13jährigen Bauzeit, der heute bei Touristen beliebten, Brooklyn Bridge im Jahr 1883, sorgte für einen enormen Aufwind in den Straßen um den Prospect Park und Brooklyn Heights.
Menschen aus der ganzen Welt trafen und treffen sich in Brooklyn und so wurde die Stadt schnell zur drittgrößten Stadt der USA. Kurz darauf, im Jahr 1898, wurde in einem Volksentscheid der Zusammenschluss mit Manhattan, der Bronx (schon 1874 Stadtteil von New York zusammen mit Manhattan), Queens und Staten Island zu New York City beschlossen und so das Fundament gelegt für die wohl berühmteste Metropole der Welt.
Der Blick nach Manhattan
Es war vor allem die infrastrukturelle Nähe zu Manhattan, nach der Eröffnung der Brooklyn Bridge, die für das schnelle Wachstum verantwortlich war. Und sowie so war und ist es gefühlt immer der Blick nach Manhattan, der für Dynamik aber auch Ambivalenz in der Identität der Stadtbezirke steht – damals und heute.
Und für die Geschichte des Brooklyn Cocktails gilt dies natürlich auch, denn unbestreitbar ist dieser inspiriert durch den schon in den späten 1870er Jahren populären Manhattan Cocktail – dessen Geschichte wir hier niedergeschrieben haben.
Jacob A. Grohusko und das Baracca’s
Die älteste schriftliche Dokumentation eines Brooklyn Cocktails findet sich in dem 1910 erschienenen Buch „Jack’s Manual on The Vintage and Production, Care and Handling of Wines, Liquors etc.“. Dieses Handbuch für den Club, das Hotel aber auch die Heimbar wurde von Jacob A. Grohusko veröffentlicht.
Grohusko war zu diesem Zeitpunkt Headbartender im Baracca’s Restaurant in der Wall Street in Lower Manhattan. Seine veröffentlichte Rezeptur beinhaltet einen Dash Amer Picon Bitters, einen Dash Maraschino und jeweils 50% Rye Whiskey und 50% italienischen Vermouth – alles auf Eis verrührt und abgeseiht. Strukturell also schon deutlich inspiriert vom legendären Manhattan Cocktail, wobei Amer Picon und Maraschino hier kleine aromatische Spielereien sind, die jedoch dem Drink final seine wundervolle Tiefe und Eigenheit geben.
Warum aber benannte Grohusko einen Drink, der dem Manhattan nahekommt und dazu noch in Manhattan serviert wurde, nach einem anderen Stadtteil? Die Antwort ist wahrscheinlich recht einfach: er wollte seinem Chef imponieren, denn Victor Baracca kam aus Brooklyn.
Der Brooklyn Cocktail, legendäre Barbücher und die Rolle der Prohibition
Das Rezept von Jacob Grohusko wurde schon ein paar Jahre später – 1913 – von Jacques Straub für dessen „Straub’s Manual of Mixed Drinks“ aufgegriffen, doch an einer Stelle entschieden verändert. Straub ersetzt den süßeren, roten italienischen Vermouth durch einen trockenen französischen Vermouth. Diese scheinbar kleine Anpassung veränderte den Drink recht nachhaltig, denn so fand er auch Aufnahme in das vielleicht berühmteste Barbuch des 20. Jahrhunderts.
1930 veröffentlichte Harry Craddock sein bis heute legendäres Savoy Cocktail Buch und dort findet sich der Brooklyn Cocktail mit einer Rezeptur von 2/3 Canadian Club Whisky und 1/3 französischem Vermouth.
Das nun der Roggenwhisky durch den bekannten Canadian Club ersetzt wurde, hat vor allem etwas mit der Prohibition zu tun und der daraus resultierenden Tatsache, dass amerikanischer Whiskey nur in schlechter Schwarzbrand-Qualität erhältlich war. Zudem weist Canadian Club einen recht hohen Anteil an Roggen in der Mash Bill auf – etwas, das selbst in Deutschland noch bis vor gut 15 Jahren der Grund war, warum viele klassische Drinks damit gemixt wurden.
Diese von Craddock niedergeschriebene Rezeptur des Brooklyn Cocktails mit französischem Vermouth ist auch die bis heute am meisten publizierte und verwendete.
Auf der Suche nach Identität
Bekanntlich ist der Held im eigenen Land manchmal nichts wert – und so erging es auch dem Brooklyn Cocktail schon bald nach seiner Publizierung. Vor allem weil das Savoy Cocktail Buch von 1930 eher in Europa an Bedeutung gewann, kam es doch aus der Bar des berühmten Londoner Hotels. Und in den USA herrschte zu diesem Zeitpunkt noch immer ein offizielles Alkoholverbot.
Schon in den 1910er Jahren gab es weitere Drinks, die sich mit dem Namen Brooklyn Cocktail schmückten. Unter anderem Rezepturen mit Absinth und Ginger Ale oder ein Perfect Manhattan mit Himbeersirup. Keiner dieser Cocktails setzte sich durch – doch leider kann man auch vom Rezept Grohuskos nicht behaupten, dass es weite Berühmtheit erlangte.
Und dennoch trieb die Suche nach einem Stadtteil-Drink die Leute um. Dass es zu dieser Zeit schon einen Bronx Cocktail gab, der äußerst populär war (dies ist eine andere Geschichte), verbesserte die Situation nicht. Scheinbar ging es hier um einen kulturellen Kampf um liquide Anerkennung und Identität. Und auf gewisse Art und Weise wurde dies zu einem Politikum.
Auf der Suche nach dem Brooklyn Cocktail
Wie bedeutsam solche Details wie ein eigener Drink waren, zeigt sich auf einer Dinner-Veranstaltung, auf der der Präsident des Brooklyn Press Clubs in aller Öffentlichkeit einen Bronx Cocktail bestellte. Um danach einen Manhattan zu ordern. Er würde ja einen Brooklyn trinken, aber es sei ja keiner bekannt. Scheinbar hat es der Cocktail aus dem Baracca’s nicht über die Brücke geschafft. Hier kann man kaum eine gewisse Ironie der Geschichte absprechen. Zumal es noch frapierder kommen sollte.
In einem Artikel des Brooklyn Eagle im Dezember 1934 stellt der Journalis Art Arthur die fordernde Frage, warum es einen Manhattan- und einen Bronx-Cocktail gäbe, aber keinen Brooklyn Cocktail. Auch wenn es wohl keine offizielle Ausschreibung gab, so wurden Überlegungen für einen offiziellen Stadtteil-Cocktail angestellt.
Angeblich spielte bei jenen Überlegungen auch das Rezept von Jacob Grohusko eine Rolle, wurde jedoch verworfen, da es nicht in Brooklyn kreiert wurde. Statt dessen wurde ein Rezept Brad Deweys aus dem Gage & Tollner’s – unter diesem Namen seit 1884 eines der ältestens Restaurants Brooklyns – herangezogen, der offizielle Drink-Vertreter Brooklyns zu werden. Die Mischung aus Gin, Grapefruitsaft und Grenadine versank jedoch umgehends wieder in der Bedeutungslosigkeit, so dass sich die Frage nach dem Brooklyn Cocktail einige Jahre später wieder stellte.
Anmerkung: Noch heute gibt es das Gage & Tollner’s und auf der Drink-Karte findet sich: ein Manhattan aber kein Brooklyn Cocktail.
Die Suche geht weiter und der Blick in die Vergangenheit
Alsbald sollte das Thema wieder auf die Tagesordnung von Lokalpolitikern gelangen, denn 1945 stichelte der damalige Stadtteilpräsident der Bronx, James J. Lyons, und fragte öffentlichkeitswirksam nach dem Drink der Nachbargemeinde. Dies führte zu einer nun wirklich offiziellen Ausschreibung und der Suche nach dem offiziellen Cocktail für Brooklyn.
Dafür wurde in Archiven gestöbert und so manche alte Rezeptur in Betracht gezogen. Es wurde unter anderem ein Drink gefunden, der schon 1883 als Brooklyn Cocktail im gleichnamigen Brooklyn Club angeboten wurde. Dabei handelte es sich um eine Manhattanabwandlung, bei dem der Whiskey durch Jamaikarum ersetzt und der anlässlich der Eröffnung der Brooklyn Bridge 1883 serviert wurde. Jedoch war dieser Drink außerhalb des Clubs irrelevant und wurde so nicht zur offiziellen Rezeptur.
Selbst ein Expertengremium wurde einberufen, um ein für alle Mal dem Missstand des fehlenden Brooklyn Cocktails Abhilfe zu leisten. Es wurden hunderte Cocktails kreiert, doch keine einzige Rezeptur hatte einen wirklichen Nachhall. Und so ging Sie weiter, die Suche nach dem Brooklyn Cocktail.
Die Cocktail-Renaissance und ein eventuelles Finden
Es schien, als ob die Suche ewig weitergehen würde. Und während die Zeit verging und die Menschen Manhattans und Old Fashioneds tranken, darbte Brooklyn ohne einen eigenen Drink dahin.
Erst mit dem Aufkommen der Cocktail-Renaissance in den 2010er Jahren und dem Stöbern in alten Cocktailbüchern tauchte das Rezept von Grohusko wieder auf. Auch ich habe in den 2010er Jahren in der Bar Rückholz in Potsdam einen Brooklyn Cocktail auf der Karte gehabt – mit trockenem Vermouth.
Und so könnte man meinen, ist die Suche nach dem offiziellen Drink zumindest pausiert, da es scheint, als sei Grohuskos Rezept der common sense der internationalen Barszene. Vielleicht ist dieser informelle Charakter aber ganz passend zu Brooklyn – jenem Stadtteil New Yorks, der wie kaum ein Anderer für Gegensätze und Dynamiken steht. Ich weiß gar nicht, ob es einen offiziellen Status gibt, wichtig jedoch ist ein gutes Rezept für den Brooklyn Cocktail und dieses hier garantiert einen ganz hervorragenden Drink:
- 30ml Rye Whisky – ich mag den Wild Turkey Rye 101
- 30ml trockener, französischer Vermouth – am liebsten aus dem Hause Dolin
- 5ml Amer Picon
- 5ml Luxardo Maraschino
Alles auf Eis gerührt und dann in eine gekühlte Coupette abgeseiht und vielleicht mit einer Cocktailkirsche garniert.
Aus der Not eine Tugend machen oder aus dem Nichts alles
Fast ein ganzes Jahrhundert hat ein Stadtteil seinen repräsentativen Drink gesucht und ihn irgendwie gefunden. Das große Problem jedoch an der Rezeptur von Grohusko ist die Verwendung von Amer Picon. Dieser frasnzösische Bitterlikör mit Orangenaroma ist in den USA nicht zu bekommen. Und so haben in den letzten Jahren viele Barleute Wege gefunden, diesen mit einem kleinen Twist zu ersetzen.
Dabei herausgekommen sind eine Vielzahl von Drinks, die allesamt Teile von Brooklyn reflektieren und somit eine Vielfältigkeit auf die Barkarten des Stadtteils bringen, die einmalig ist. Einige, wie der Greenpoint oder der Red Hook haben es sogar in die Cocktailkarten auf der ganzen Welt geschafft.
Es bedarf also eigentlich gar keines offiziellen Drinks für Brooklyn – dieser Stadtteil ist so vielfältig, dass die Menschen einfach aus der Not eine Tugend machten und Ihre Geschichte erzählen. Und ihre Drinks mixen. So wie einst Jacob A. Grohusko im Jahre 1910.
Cheers.